Schwejk, das Bier, die Liebe und die Anarchie

Von Rolf Cantzen · 14.10.2006
Hašek, geboren 1883, war ebenso wenig harmlos wie "sein" Schwejk: In seiner Jugend agitierte er Arbeiter für den Anarchismus, versoff aber gut gelaunt die von den Arbeitern eingetriebenen Beiträge für eine anarchistische Zeitschrift (nebst Redaktionsfahrrad). Frisch verliebt sicherte er seinem Schwiegervater in spe bereitwillig zu, den Anarchismus sein zu lassen und bürgerlich zu werden. Liebe und bürgerliches Leben scheiterten, weil ihn als Redakteur einer Zeitschrift für Kleintierhalter seine Kreativität übermannte und er exotische Tiere erfand und darüber mit ernsthaften Experten korrespondierte. Als Parteigründer und Politiker der "Partei des maßvollen Fortschritts im Rahmen der Gesetze" wurde er bekannt. In den feucht-fröhlichen Versammlungen amüsierte sich unter anderem Franz Kafka.
Seinen Lebensunterhalt finanzierte er mit dem Honorar humoristischer Kurzgeschichten - insgesamt etwa 1500. Er schrieb in Kneipen, trank, brachte die Geschichten in die Redaktionen, bekam sein Geld und trank weiter. Während des Krieges desertierte er, avancierte dann - auf russisch-revolutionärer Seite - zum Politkommissar und gab diverse revolutionäre Zeitschriften in verschiedenen Sprachen heraus. Von der Revolution enttäuscht kehrte er nach Prag zurück, schrieb den Schwejk und soff sich bis 1923 zu Tode. Hašek über Hašek: "In der Geschichte der ganzen Menschheit gibt es nur ein allseitig vollkommenes Wesen, und das bin ich."

Jaroslav Hašek bei Wikipedia
Homepage über Jaroslav Hašek

Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk bei uni-protokolle.de
Literarische Wanderung zu Jaroslav Hašek nach Lipnice
Prof. Dr. Ekkehart Krippendorff
"Der Hauptpunkt ist, diese Haltung. Weil das der Lebensnerv von Hašek ist, ist ja auch schwer, ihn auf irgend eine ideologische Linie zu bringen. Dann kann man ihn nicht als Revolutionär oder Sozialisten oder eben als Verkünder der sozialistischen Utopie oder wie auch immer da vereinnahmen, auch als Realist, er passt da nirgendwo rein."

Es ist ein wahrer Genuss, auch nur eine Zeile aus meinen Werke zu lesen - und wenn Sie dies tun, werden Sie sehen, welcher Zauber in Ihre Seele dringt.
Prof. Dr. Ekkehart Krippendorff: "Wie alle ernsthaften Menschen und ernsthaften Positionen lässt sich auch Hašek nicht auf einen Ismus festlegen."

Autor: Ekkehart Krippendorff ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft. Er interpretiert Hašek "politisch".
Prof. Dr. Ekkehart Krippendorff: "Was heißt denn Anarchismus? Anarchismus ist ja etwas sehr Nobles, heißt ja nichts anderes als Herrschaftsfreiheit oder Selbstbestimmung und das hat er eigentlich praktiziert, indem er Herrschaft denunziert, Herrschaft der Lächerlichkeit preisgibt, ihre Würde nimmt, ob es die Bürokratien oder die Franz-Josefs sind und insofern ist er ein Mann der Anarchie, der Herrschaftsfreiheit und der Rückgewinnung der Autonomie des Individuums."
Dr. Ute Rassloff
"Ich muss gestehen, als ich den Hašek übersetzt habe, das ist eine existenzielle Erfahrung, dass man am falschen Ort ist. Das ist eher eine sehr böse oder bittere Erfahrung gewesen. Möchten Sie einen dicken Roman schreiben und die Leute damit nerven, dass es einfach alles furchtbar und schlimm und grotesk ist. Er war ein anderer Typ. Er wollte die Leute ja unterhalten und die Leute zum Lachen bringen. Das heißt, diese Situation, die unerträglich war, die hat er immer noch so erzählt, das man darüber lachen kann. Aber das weinende Auge, das gibt es auch."

Autor: Dr. Ute Rassloff hat Hašek-Texte übersetzt und sie publizierte literaturwissenschaftliche Untersuchungen zum "Schwejk". Ute Rassloff arbeitet am "Geisteswissenschaftlichen Zentrum für Geschichte und Kultur Ost-Mitteleuropas", einem "An-Institut" der Universität Leipzig.
Die Deutsch-Slowakische Gesellschaft e.V. Berlin

Auszug aus dem Manuskript:
Ich beichte Gott, dem Allmächtigen: Schon durch meine Geburt verursachte ich meiner Mutter große Unannehmlichkeiten. Sie konnte viele Tage und Nächte nicht schlafen.

Autor: Geboren wurde Jaroslav Hašek am 30. April 1883 in Prag in der Schulgasse, ganz in der Nähe vom Wenzelplatz.
Im Alter von drei Monaten biss ich meine Amme tot. Das hatte ein Nachspiel vor dem Senat des Prager Strafgerichts, der meine Mutter in meiner Abwesenheit zu drei Monaten Gefängnis wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht verurteilt.

Autor: Hašeks Vater - wie später Hašek und sein zwei Jahre jüngerer Bruder Alkoholiker - war zunächst Hilfslehrer, dann Lehrer und Versicherungsmathematiker und gehörte damit keineswegs zur Unterschicht, wie einige leichtfertige Biographen behaupten, sondern, wie Jan Berwid-Buquoys Recherchen ergaben - zum Prager Mittelstand.
Dr. Dr. Jan Berwid-Buquoy: Prag, so wie sie Hašek beschreibt - von seinen 2000 Humoresken, widmet er mindestens 1500, 1600 sind den Verhältnissen in Prag gewidmet. Keine goldene Stadt, sondern das, was er beobachtete und wo er auch aufwuchs, wo er aus bürgerlichen Kreisen kommt, aber er wurde umgeben von diesem Dreck.

Mit sechs Monaten fraß ich meinen älteren Bruder auf und stahl ihm aus dem Sarg die Heiligenbilder, die ich im Bett unseres Dienstmädchens versteckte. Sie wurde wegen Diebstahls aus dem Hause gejagt und wegen Leichenfledderei zu zehn Jahren schweren Kerkers verurteilt.
Dr. Dr. Jan Berwid-Buquoy: "Die Stadtteile wie Siskow oder Nichov, die drohten im Dreck zu versinken. Und das beschrieb er. Er macht keine Poesie daraus. Damals also die nationale, romantische Poesie war in der Mode. .. Es stimmt nicht, wenn die bürgerlichen Autoren, die verschiedenen Dichter und so weiter protestierten, er stelle sich dagegen. Er stellte sich niemals bewusst gegen etwas. Er hat also das Milieu beschrieben, was ihn umgeben hat. Und das war also sehr schmutzig. Die Arbeitslosigkeit herrschte damals in Prag, nach Wien und Paris war Prag also an dritter Stelle, was Syphilis anging und was die Anzahl der Bordelle angeht übertraf das sogar Wien in Prag. Das heißt also: Diese unterprivilegierten Schichten waren in Prag sehr stark vertreten und er bewegte sich also in diesen unterprivilegierten Schichten, obwohl er dazu gar nicht gehörte. Aber er fühlte sich dort wohl und machte seine Beobachtungen und seine Beobachtungen brachte er in satirischer Form aufs Papier."

Autor: Die Prager Polizei und Justiz spielte dabei eine gewisse Rolle und einmal auch ein dringendes körperliches Bedürfnis.
Vor drei Jahren um halb elf in der Nacht, als die Leute aus dem Theater kamen, da kam ich auch. Ich verspürte den Drang, meine Notdurft zu verrichten. Damals wurde die Polizeidirektion in der Karolina-Svetla-Strasse renoviert. Dort bei den Balken war eine himmlische Ruhe, es war kurz gesagt ein sehr geeignetes Plätzchen. Ich pfiff wie immer bei dieser Angelegenheit vor mich hin: Fiu, fiu, fiu. Plötzlich stürzt ein Wachtmeister aus dem Tor der Polizeidirektion, packt mich am Kragen und fragt: "Was machen Sie denn hier?"
Dr. Ute Rassloff: Ich lache immer schon am Anfang. Ich brauche das Ende dann nicht mehr zu hören.
Während er mich abführte, schloss ich einige Knöpfe. Auf der Wachstation wurde ich dem Inspektor übergeben, der mit mir ein Protokoll aufnahm, nachdem er von meiner Schandtat erfahren hatte.
Dr. Ute Rassloff: Das sind immer gute und originelle Einfälle, da lacht man schon vorher, wenn man so die Idee hört. Der fängt das auch an zu beschreiben, aber irgendwie tröpfelt dann nachher der Text immer aus, weil die Pointe schon am Anfang verraten worden war. Das ist so ein bisschen der Eindruck, den ich hatte, als ich das übersetzt habe.

Jan Berwid-Buquoy
"Die Abenteuer des gar nicht so braven Humoristen Jaroslav Hašek"
Verlag HERBIA GmbH, Budweis 2002.
Gasthaus "Zum Kelch" zwischen Lengenden und Wirklichkeit
Deutsch-Tschechischer Zukunftsfonds

Ekkehart Krippendorff
Politische Interpretationen.
Shakespeare, Stendhal, Balzac, Wagner, Hašek, Kafka, Kraus.
Frankfurt/Main 1990.
Publikationen von Ekkehart Krippendorff (chronologisch)
Den Erfolg seines Großvaters erklärt Richard Hašek wie folgt:
"Hašek ist nämlich in seinem Denken dermaßen facettenreich - von der einfachen Ebene bis zum intellektuellen Ausmaß, so dass ihn alle - Intellektuelle sowie ganz normale Menschen - verstehen können. Hašek´s Stärke liegt vor allem darin, dass er alle menschliche Phänomene erfassen hat. Wenn Schwejk einen typisch tschechischen Charakter besitzt, dann nur deshalb, weil er tief menschlich ist. Und darin liegt die Allgemeingültigkeit von Schwejk."
Auszug aus: 80. Todestag von Jaroslav Hašek - Radio Prag,

Hašek Jaroslav
Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk
3 Audio-CDs.
ADD. Gelesen v. Helmut Qualtinger.
-HÖRSTURZ-
Hašek Jaroslav
Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk.
Roman.
Aus d. Tschech. v. Grete Reiner.
2003. -AUFBAU TB-
Hašek Jaroslav
Der Urschwejk
Und anderes aus dem alten Europa und dem neuen Rußland.
Aus d. Tschech. v. Grete Reiner.
Mit e. Essay v. Karel Kosik u. e. Nachw. v. Hans D. Zimmermann.
Tschechische Bibliothek. 1999. -DVA-

Auszug aus dem Manuskript:

Prof. Dr. Ekkehart Krippendorff: ".... es ist Literatur, die verändert, die verändert, indem sie einen Lachen macht - aber Dario Fo hat einmal gesagt, Lachen muss so sein, dass man sozusagen Nägel in die Köpfe schlägt. Es bleibt der Nagel im Kopf und das bleibt beim Hašek. Es bleibt der Nagel im Kopf, dass man sich dann anders verhält in vieler Hinsicht."
Autor: Kurz vor seinem Tode zog Hašek in das Dorf Lipnice in Südböhmen. Er begann mit den ersten Heften des "Schwejk" Geld zu verdienen.
Wie ein enttäuschter Bräutigam sitz ich hier, verdrossen, ganz allein in meiner Qual.
Ach, Euere treuen Herzen fehlen mir!
Ich saufe, sauf mich alle Tage voll,
allein, allein, was man vermeiden soll.


Autor: Er soff und schrieb, schrieb und soff - und er starb noch nicht einmal 40-jährig im Jahre 1923.

Hört zum Abschied schlägt nun, Freunde, schon die Glocke.
Ganz niedergeschlagen schmiegte ich, die Seele des Jaroslav Hašek, mich an meinen Körper. Er roch schon nicht mehr gut. Traurig sah ich auf meine hohe Stirn, meine hübsche Nase, und es tat mit leid, dass man in dem Nekrolog nur über meine Hände geschrieben hatte.
Als ich genug geklagt hatte, nahm ich meinen dreimal toten Körper auf den Rücken. An der nächste Ecke fiel mir ein dort angeschlagener Haftbefehl in die Augen. Als ich ihn las, begriff ich, dass es sich dort um mich handelte. Ich legte also meine körperlichen Überreste unter den Haftbefehl, man nahm mich fest, ich wurde standrechtlich erschossen und gehängt. Diesmal habe ich dafür ein Zertifikat und ich wurde endlich durch das Tor der Ewigkeit eingelassen.