Schweizer Kunstszene

Raus aus dem goldenen Käfig

Mehrere schwarze Mobiles und Stablies von Alexander Calder sind verteilt in einem leeren Raum mit weißen Wänden.
Die Ausstellung "Alexander Calder und Fischli/Weiss" in der Fondation Beyeler in Basel. Fischli/Weiss gehören zu den Stars der Schweizer Kunstszene. Doch viele Kreative ziehen mittlerweile ins Ausland. © dpa/ picture-alliance/ Georgios Kefalas
Von Jennifer Rieger  · 12.09.2016
Die fünfte Schweiz, so heißt eine wachsende Gruppe von im Ausland lebenden Menschen. Mit rund 750.000 "Einwohnern“ ist sie inzwischen quasi der drittgrößte Kanton. Auch Künstler und Kreative zieht es mehr und mehr ins Ausland – droht der Schweiz ein kulturelles Ausbluten?
(Einspielung: Kuhglocken, Alphorn, Jodeln)
Der Sound der Schweiz …
Das ist natürlich ein schlimmes Klischee – der Alpenstaat hat noch sehr viel mehr kulturelle Exportprodukte als Alphörner und Kuhglocken: Fischli/Weiss zum Beispiel. Das Künstlerduo gehört zu den bekanntesten Gegenwartskünstlern der Schweiz. Ihren ersten Film, "Der geringste Widerstand", drehten sie 1980.
Doch wie gut ist es heute um Schweizer Künstler und Kreative bestellt? Immer mal wieder hört man vage Befürchtungen, die Kreativ-Köpfe strömten in Massen ins Ausland.
"Das ist sicherlich eine interessante Beobachtung."
So die diplomatisch formulierte Einschätzung von Christoph Weckerle. Er leitet die Abteilung für Kulturanalyse an der Zürcher Hochschule der Künste und sagt zu dem Thema:
"Ich weiß nur nicht ob diese Beobachtung generalisierbar wäre. Wenn wir unsere Zahlen nehmen, dann ist es einigermaßen stabil, es zeichnet sich auch nicht ab, dass sich das in den letzten Jahren groß verändert hätte."

Rund 275.000 Menschen arbeiten in der Kreativwirtschaft

Weckerle ist einer der Autoren des Schweizer Kreativwirtschaftsberichts für 2016. Designwirtschaft, Buchmarkt, Architektur, Software – in diesen und weiteren Branchen arbeiten in der Schweiz rund 275.000 Menschen, verteilt auf etwa 70.000 Betriebe.
Insgesamt, so Weckerle, ähnelt die Entwicklung der Kreativwirtschaft der Schweiz der im Rest Europas. Man könne sagen,
" …dass der Anteil der Betriebe in der Gesamtwirtschaft etwa bei rund 10% liegt und der Anteil der Beschäftigten bei gut 5% und dass der Anteil der Bruttowertschöpfung der Kreativwirtschaft an der Gesamtwirtschaft bei 5% liegt." "Wir machen eine Informations- und Bildungsreise!"

Schweizer Kreative mit Reisefieber

Schweizer Kreative mit Reisefieber sind leicht zu finden.
"Ich war zuerst in New York. Und dann bin ich nach Amsterdam zweieinhalb Jahre und dann nach Korea und dann nach Vietnam und nach Singapur. jetzt bin ich zurückgekommen, kurz, und jetzt bin ich schon wieder in Maputo."
Warum haben sie ihre Heimat verlassen?
"Mein Name ist Flo Baumann, ich bin ein Filmemacher. Oder ich hoffe, ich bin ein Filmemacher. Ich schreibe an einem ersten Drehbuch für einen langen Spielfilm hier in den USA."
Der Schweizer Filmmarkt sei konstruiert, sagt Flo Baumann:
"Da wird viel Geld investiert, aber eigentlich geht niemand den Film gucken zum Schluss. Und wenn man aus der Filmschule kommt, das ist extrem frustrierend, wenn man das realisiert."

Der Maler Giacomo Santiago Rogado zog nach Berlin

Viel Geld, wenig Publikum – ein typisches Problem für Schweizer Kreative. Für den Maler Giacomo Santiago Rogado war das ein Grund, nach Berlin zu ziehen:
"Die Schweiz ist ja nicht so groß. Auch wenn es viele Museen gibt, begrenzen sich da irgendwann auch mal die Möglichkeiten, auszustellen oder auch neue Leute kennenzulernen. Man hat ja irgendwie auch als Kreativschaffender den Drang Neues zu entdecken, zu erleben und zu erforschen und das treibt einen auch sich zu bewegen und zu reisen und auszuwandern letztendlich."
Auch, wenn man sich anderswo sehr viel mehr Konkurrenz stellen muss. Doch das kann auch ein Vorteil sein. Die gut organisierte Schweiz mit ihren perfekt ausgestatteten Ateliers und Kunsthochschulen kann auch einengen, erzählt Stéphanie Baechler.
"Ich bin Künstlerin, ich arbeite mit Keramik und Stoff aber auch mit ganz vielen anderen Materialien und bin jetzt in Paris, habe ein Atelierstipendium in der Cité des Arts. Ich habe auch in Basel die Schule gesehen und es hatte einfach alles. Es hatte irgendwie fünf Bügeleisen, 20 Nähmaschinen und in Holland hatten wir ein Bügeleisen. Wir mussten wirklich Schlange stehen manchmal zum Bügeln."

Viele Künstler hangeln sich von Kleinprojekt zu Kleinprojekt

Dafür lernt man, zu improvisieren – und nicht zuletzt die gute Förderung schätzen. Aber, sagt Sylvain Gardel von der Kulturstiftung Pro Helvetia: Der Markt sei fragmentiert, nicht zuletzt wegen der vier verschiedenen Landessprachen deutsch, französisch, italienisch und rätoromanisch. Viele Künstler und Kreative hangeln sich von Kleinprojekt zu Kleinprojekt, berichtet Gardel:
"In der Schweiz ist es nicht so, dass man sagt: 'Ok, du bist ein Talent. Und ich glaub an dich, ich geb Dir jetzt 300.000 Schweizer Franken, mach mal.' Sondern man glaubt's erst, wenn die Leute dann irgendwie in den Staaten oder sonst wo rausgekommen sind und dann finden alle, ja, isch ä Schwiizer, oder?"
Ähnlich ging es auch Stars der Schweizer Kunstszene wie Pipilotti Rist oder Fischli/Weiss. Dass Künstler und Kreative gelegentlich aus der Schweiz abwandern ist wohl unvermeidlich. Grund zur Besorgnis ist deswegen noch nicht, glaubt Sylvain Gardel.
"Die Frage ist eigentlich, wann gehen diese Leute? Ich glaube unser Ziel muss es sein, die Leute so stark aufzubauen, dass die dann gehen, wenn sie hier etwas hinterlassen haben und auch als Vorbild gedient haben für andere, wo sie sich dran messen und den Leuten Mut gemacht haben, dass man's schafft. Und ich glaube, das fehlt den Schweizern noch, dieser Mut oder auch dieser Wille, damit man's wirklich packt."
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