Schweiz

Abschied vom Bankgeheimnis

Blick auf Zürich und die Limmat, sowie den Zürichsee
Die Schweizer Bankenidylle findet auch in Zürich ein Ende. Die neue Transparenz könnte einige Bankkunden abschrecken. © picture-alliance/ dpa
Christoph Türcke im Gespräch mit Nana Brink  · 30.12.2016
Das Bankgeheimnis lockte Steuerbetrüger aus aller Welt in die Schweiz. Nun beteiligt sich das Land ab 2017 am Automatischen Informationsaustausch. Der Philosoph und Geldexperte Christoph Türcke begrüßt die neue Transparenz im Bankensektor.
Für Schweizer Banken war es ein erfolgreiches Geschäftsmodell: Sie halfen ihren ausländischen Kunden dabei, Geld vor den heimatlichen Steuerbehörden zu verstecken. Nach Enthüllungen in den Medien, dem Auftauchen von Daten-CDs und dem politischen Ruf nach mehr Transparenz im Finanzsektor geriet das Schweizer Bankgeheimnis durch solche Praktiken zunehmend in Verruf. Nun beteiligt sich die Schweiz ab 1. Januar genauso wie rund 100 weitere Länder an dem von der OECD ausgearbeiteten Automatischen Informationsaustausch.

Neue Transparenz

Manchmal sei "Liebeskummer" ganz gut, sagte der Philosoph und Geldexperte Christoph Türcke im Deutschlandradio Kultur über die Beziehung der Schweizer zum Geld. Bei einigen Symbiosen sei es gut, wenn sie sich lockerten. Die neue Transparenz sei sehr zu begrüßen. "Sicher ist es so, dass Geld und der Umgang damit, was ich mit meinem Verdienten mache, zunächst einmal niemanden etwas angeht." Aber der Bankensektor hole nach, dass bestimmte Formen der Privatheit so nicht mehr aufrecht erhalten bleiben könnten.

Andere Schlupflöcher

Nach Einschätzung von Türcke gibt es aber längst andere Schlupflöcher. "Der Bankensektor ist nicht der Finanzmarkt", sagte der Philosoph. Es gebe unverändert viele Möglichkeiten, das Geld im Kapitalmarkt, in Stiftungen und in Fonds zu verstecken. "Es wird nicht das ganze Geldsystem transparent durch die neuen Regelungen." Das Geld finde weiter seinen Weg, ehe nicht ganz andere Maßnahmen der internationalen Staatengemeinschaft ergriffen würden. "Das ist ja nur ein Anfang", sagte Türcke.

Das Interview im Wortlaut:

Nana Brink: In der Einleitung zu seinem Buch "Mehr! Philosophie des Geldes" spricht Christoph Türcke, der Philosophie an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst lehrt, über die fast intime Beziehung des modernen Menschen zum Geld. Das Geld begleitet ihn ja ein Leben lang, das beschäftigt ihn, wenn wir mal ganz ehrlich sind, ja jeden Tag, ständig müssen wir darauf achten, dass wir genug haben. Und selbst wenn wir dann mal in Gelddingen verkracht sind, dann schafft das doch irgendwie eine Bindung. Das ist ein bisschen so wie mit einem Lebensgefährten.
Weshalb erzähle ich Ihnen das? Weil vielleicht die Schweiz Liebeskummer bekommen könnte. Denn auch hier tritt 2017 der automatische Informationsaustausch für Steuerdaten in Kraft. Heißt: Das Bankgeheimnis, sozusagen das Schweizer Erfolgsmodell für eine glückliche Beziehung, das wird zumindest teilweise aufgehoben. Christoph Türcke ist jetzt mit uns hier im "Studio 9", ich grüße Sie!
Christoph Türcke: Schönen guten Morgen!
Brink: Sie haben bestimmt genau hingeguckt in die Schweiz. Was bedeutet denn jetzt so was wie die Aufhebung des Bankgeheimnisses für das Verhältnis zum Geld der Schweizer?
Türcke: Na, dass sich die Symbiose vielleicht ein bisschen lockert. Sie hatten das schöne Wort Liebeskummer verwendet, manchmal ist Liebeskummer ja auch ganz gut, nicht? Es gibt also Symbiosen, denken Sie an Mutter-Kind-Symbiosen, die zunächst mal ihr gutes Recht haben, wenn die dann aber nach 30 Jahren immer noch so bestehen, dann ist vielleicht ein bisschen Liebeskummer ganz gut, damit sich das ein wenig auflöst. Insofern denke ich, dass die neue Transparenz, die jetzt da auch von der Schweiz übernommen wird als einem von, wenn ich recht orientiert bin, 51 Staaten, so ist das zunächst mal nur zu begrüßen.
Sicher ist es so, dass Geld und der Umgang damit, was ich mit meinem Verdienten mache, zunächst mal niemanden etwas angeht, ganz richtig. Genauso wie das, was ich in meinen vier Wänden mache, niemanden etwas angeht: Ob ich mit Messer und Gabel esse oder mit den Händen, ist meine Privatsache. Aber wenn ich dann anfange, meine Kinder zu misshandeln oder meine Frau, dann hört die Privatheit auf. Und wenn Sie so daran denken: Der Rechtstatbestand oder Unrechtsstatbestand Vergewaltigung in der Ehe, den es ja lange nicht gab, war ein Eingriff in die Privatsphäre. Und in gewisser Weise holt jetzt der Finanzsektor oder das Bankensystem so etwas nach, dass also ganz bestimmte Formen von Privatheit so nicht mehr aufrechterhalten werden können.

Bestimmte Kränkungen sind heilsam

Brink: Dann muss das doch eine unglaubliche Kränkung sein, wenn ich das Wort jetzt mal so nehme. Also, weil das Bankgeheimnis dann ja so eine Art von Tröstung war, und das fällt nun weg!
Türcke: Ja, aber da kriege ich nur einen mittleren Weinkrampf. Also, diese Form von Kränkung, wie gesagt, Sie sprachen schon vom Liebeskummer … Es gibt Kränkungen, die sind außerordentlich heilsam. Wir wissen aus der Psychologie: Ein völlig ungekränktes Leben gibt es gar nicht. Und bestimmte Kränkungen sind ganz gut und ganz heilsam, damit die Selbstliebe sich in Grenzen hält. Und wenn Sie das jetzt also ins Große übertragen, so haben wir da eine bestimmte neue Form der Begrenzung von Selbstliebe, die da jetzt in Gang gesetzt wird oder die in Kraft tritt im neuen Jahr. Und das ist zunächst mal gut, zumal es ja auch problematisch ist, jetzt sagen wir mal die Schweiz da insgesamt zu behandeln wie ein Individuum.
Die Schweiz ist ja selber ein Staat und der hat ganz viele Individuen und die einen verdienen ganz wenig und die anderen verdienen sehr viel. Und da sieht das dann mit der Kränkung auch schon wieder ganz anders aus. Also, die Allerwenigsten sind personell gesehen jetzt gekränkt von den neuen gesetzlichen Regelungen. Und die sind womöglich gerade deswegen gekränkt, weil sich bei ihnen das Bankgeheimnis schlicht und einfach verbunden hat mit so etwas wie Steuerflucht. Und das kränkt natürlich Steuerflüchtlinge, aber wie gesagt, da hält sich mein Mitleid dann doch in gewissen Grenzen.

Der Bankensektor ist nicht der Finanzsektor

Brink: Wahrscheinlich wie auch bei den meisten Menschen sich das Mitleid halten wird. Trotzdem noch mal aus Ihrer Sicht des Geldphilosophen: Kommt da nicht auch eine andere Betrachtungsweise auf Geld zutage? Denn … Oder andersherum gefragt: Ist illegales Geld, also das Geld, was sozusagen aus Steuerflucht sich erwirbt, was man dann in der Schweiz deponiert, ist das emotional mehr wert, weil man es ja sozusagen irgendwie unter großem Aufwand dahingebracht hat? Oder schlägt es einem eher aufs Gemüt jetzt, wenn das wegfällt?
Türcke: Das ist generell schwer zu sagen, das hängt dann ganz von der Charakterstruktur des Steuerflüchtigen ab. Und dem einen prickelt es vielleicht, den anderen ängstigt es mehr, wie es auch ja auch schwer ist zu interpretieren, warum haben die Selbstanzeigen im letzten Jahr nachgelassen? Ja, das wurde ja in den letzten Tagen auch durch die Nachrichten gegeben und gesagt wurde, na ja, inzwischen kommt man nicht mehr so glimpflich davon, wenn man sich meldet und eingesteht, ja, ich habe Steuerbetrug gemacht.
Und trotzdem weiß man nicht: Ist das jetzt die lautere Angst, dass die Leute sich weniger melden, oder ist es das Augenzwinkern derer, die längst andere Schlupflöcher gefunden haben? Denn man muss ja eines ganz klar sehen: Der Bankensektor ist ja nicht der Finanzmarkt, sondern ist eine Firnisschicht drauf. Und die Möglichkeiten jetzt, das Geld im Kapitalmarkt, in Stiftungen, in Fonds und dergleichen zu verstecken, die ist ja nach wie vor da. Es wird ja nicht das ganze Geldsystem transparent durch die neuen Regelungen.
Brink: Also können wir dann abschließend sagen: Genau wie die Liebe wird das Geld auch immer seinen Weg finden?
Türcke: Das findet zunächst erst mal weiter seinen Weg, ehe nicht ganz andere Maßnahmen von der internationalen Staatengemeinschaft ergriffen werden. Das ist ja nur ein Anfang vielleicht, der sich da jetzt geltend macht.
Brink: Vielen Dank! Der Philosophieprofessor Christoph Türcke, herzlichen Dank für Ihre Einlassungen! Und zwar haben wir gesprochen über das Bankgeheimnis, zumindest was den Austausch von Steuerdaten angeht, das fällt auch in der Schweiz ab nächstem Jahr.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Christoph Türcke, Mehr! Die Philosophie des Geldes, Beck Verlag 2015, 29,95 Euro.

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