45 Minuten bis Europa
Sie pendelt täglich zwischen zwei politischen Welten: Die Autofähre zwischen Friedrichshafen und dem Schweizerischen Romanshorn. Deutsche setzen über, um in der Schweiz zu arbeiten. Schweizer wollen in Deutschland günstig einkaufen. Ein Zwischenstandsbericht.
"Wir fahren von Friedrichshafen nach Romanshorn in die Schweiz. Wir sind nicht mehr in der EU, wenn wir in Romanshorn ankommen."
Sechs mal am Tag steuert Dieter Krafft die Autofähre "Friedrichshafen" vom deutschen zum schweizer Ufer, pendelt im Stundentakt von der Europäischen Union in das Nicht-EU-Land Schweiz. In dem geräumigen Bordrestaurant der 55 Meter langen Fähre ist kaum etwas los. Nur eine Handvoll Fahrgäste sitzt an den Tischen.
Werner Bröhmann fährt jeden Morgen von Friedrichshafen hinüber ans Schweizer Ufer, arbeitet im Kanton St. Gallen als Logopäde an einer Klinik. Er hat den Ausgang des Volksentscheides vergangene Woche genau mit verfolgt.
"Meine erste Reaktion… ich war schon überrascht, dass es dazu eine Mehrheit gegeben hat. Aber gleichzeitig muss man sich darüber auch wieder nicht wundern. Also ich meine, solche rechtspopulistischen Strömungen gibt es ja überall, selbst in der EU, in Deutschland auch. Dies SVP, das kennt man ja, hat da offensichtlich sehr gut die Stimmung in der Bevölkerung getroffen."
Der 52-Jährige lehnt sich zurück, blickt auf das langsam vorbeigleitende Alpenpanorama. Dass das Ende der Personenfreizügigkeit am Ende vielleicht auch ihn treffen könnte - das glaubt er nicht.
"Also ich rechne überhaupt nicht mit irgendwelchen Auswirkungen auf mich persönlich. Also diese Kontingente, die werden nicht so restriktiv sein. Die Arbeitgeber haben doch alle ein Interesse an uns. Das muss man wirklich gelassen sehen."
Ähnlich sieht das Anuk Baumann, eine elegant gekleidete Frau Mitte 30. Die Mitarbeiterin eines Modehauses sitzt nur ein paar Tische weiter und pendelt täglich von Friedrichshafen in die Schweiz.
"Abwarten. Weil es passiert erst etwas in drei Jahren. Und drei Jahre - das ist noch ziemlich weit. Von dem her - mal schauen, was es gibt."
Die Schweizer kommen
Eine Dreiviertelstunde braucht die Fähre, um von Friedrichshafen ins Schweizerische Romanshorn zu gelangen. In wenigen Minuten sind alle Fahrgäste von Bord. Jetzt kommen viele Schweizer aufs Schiff. Sie wollen ans deutsche Ufer.
Plötzlich ist das Fähre-Restaurant voll; kein Sitzplatz mehr frei - viele Schweizer wollen eine Reitsportmesse in Friedrichshafen besuchen. Dazu zählt auch Kurt Kessler aus St. Gallen. Mit seinen hellen, strähnigen Haaren wirkt er wie ein in die Jahre gekommener Hippie. Der Leitartikel auf der ersten Seite seiner Tageszeitung stellt die brisante Frage: Führt der Schweizer Volksentscheid zu einer Art Eiszeit in den Beziehungen zur EU?
"Kann möglich sein. Weil: Wir können im Moment noch nicht absehen, wie das am Ende ausschaut. Wir müssen jetzt erst einmal abwarten, absitzen. Ich persönlich verstehe auch nicht ganz, warum das angenommen wurde..."
Kessler hat gegen die Volksinitiative zur Massenarbeitslosigkeit gestimmt. Aus seinem Bekanntenkreis weiß er, dass sich manche Deutsche, die in der Schweiz leben, dort zunehmend unwohl fühlen.
"Wir haben jetzt auch schon einige Deutsche, die wieder zurückgegangen sind. Zum Teil fühlen sie sich nicht so zuhause, wie sie sich das vorgestellt haben. Und ich würde sagen: Es gibt ja wahrscheinlich auch eine Hassliebe zwischen Schweiz und Deutschland."
Gesprächsthema Volksentscheid
Das deutsche Bodensee-Ufer rückt immer näher. Aus dem Hintergrund schälen sich die Konturen der Schlosskirche Friedrichshafens heraus, daneben viele moderne Flachdachbauten. Oliver Novineck, ein stämmiger Typ, sitzt konzentriert vor seinem Labtop. Der Manager aus St. Gallen ist einer der wenigen Pendler, die in der Schweiz wohnen und in Deutschland arbeiten. Mit seinen deutschen Kollegen hat er oft über den Volksentscheid gesprochen.
"Und das Verständnis für den Entscheid ist nicht so riesig. Allerdings hat die Schweiz eine besondere Demokratieform. Und da muss man aufpassen, dass man das nicht mit Ausländerfeindlichkeit in Verbindung bringt. Das wäre sicher nicht richtig."
Die Demokratie, sagt Oliver Novineck, sei in der Schweiz nun mal ein hohes Gut. Das Ergebnis einer Volksabstimmung müsse man akzeptieren. Eine Einschränkung macht er aber doch.
"Man sollte nicht jede verrückte Sache als Vorlage vors Volk bringen."
Zurück in Friedrichshafen: Diesmal sind es die Schweizer Fahrgäste, die von Bord gehen. Schon wenige Minuten später wird die Autofähre erneut Kurs auf die Schweiz nehmen. Die aber ist seit dem Volksentscheid am 9. Februar noch ein Stückchen weiter von der EU weggerückt.