Schweigsamer Spieler

Von Martin Becker · 29.09.2011
Bahnwärter Alois Nebel steht vor der Tür seines heruntergekommenen Bahnhofs und seine größte Freude ist es, die Fahrpläne der Nahverkehrszüge auswendig vor sich hin zu flüstern. Nebel ist die Hauptfigur in der deutsch-tschechischen Kinoproduktion gleichen Namens. Gespielt wird er von Miroslav Krobot, der zu den bekanntesten Darstellern seines Landes gehört.
Das Hinterzimmer des berühmten "Café Montmartre" mitten in der Altstadt von Prag. Der Schauspieler Miroslav Krobot, Jahrgang 1951, ist gerade von einem Festival aus Finnland zurückgekommen, hat seine Umhängetasche neben den Stuhl gestellt, trinkt starken Kaffee und raucht eine Zigarette nach der anderen.

Am nächsten Morgen wird er schon wieder für eine tschechische Serie vor der Kamera stehen, aber jetzt erzählt er: Über "Alois Nebel", die animierte Verfilmung einer Graphic Novel von Jaroslav Rudis und Jaromir Svejdik. Krobot spielt in der deutsch-tschechischen Produktion die Hauptrolle eines Bahnwärters aus dem Sudetenland, den die Gespenster der alten Zeiten nicht in Ruhe lassen.

Miroslav Krobot: "Man musste spielen wie in einem normalen Film. Es gab nur Sachen, die wir vorher nicht gewusst haben. Sie haben uns Stirnfalten gemacht, das sah sehr komisch aus. Oder sie haben gesagt: Ihr spielt da vorn, vor der Lokomotive. Aber es gab natürlich keine Lokomotive. Das war der einzige Unterschied."

Für "Alois Nebel", sagt der tschechische Schauspieler mit den markanten Gesichtszügen, gibt er gern Interviews. Weil es dem Film hilft, der kürzlich bei den Filmfestspielen von Venedig seine Premiere feierte. Ansonsten schweigt er lieber, antwortet auf Fragen mit Gegenfragen oder nur mit einem kurzen Satz. Beispielsweise, wenn er den Bahnwärter Alois Nebel beschreibt. Man spürt Krobots Nähe zu diesem anrührenden, stillen Helden von einer Bahnstation im Nirgendwo der Geschichte, ohne, dass er viel dazu sagen muss.

Miroslav Krobot: "”Ich glaube, er ist ein ganz normaler Mensch.""

Das Schweigen ist keine Pose, das merkt man schnell: Krobot sitzt einfach da und strahlt Gelassenheit aus. Immer wieder leuchten seine ausdrucksstarken Augen, immer wieder lacht er laut auf.

Und: Er nimmt sich Zeit, obwohl er viel beschäftigt ist: Krobot gehört zu den gefragtesten Schauspieler Tschechiens, gleichzeitig ist er Gründer, Intendant und Regisseur eines legendären Theaters im Prager Stadtteil Dejvice, spielt in internationalen Filmproduktionen mit und unterrichtet an der Prager Akademie der darstellenden Künste.

Geboren wurde Miroslav Krobot in Šumperk, einer kleinen Stadt am Fuß des Altvatergebirges. Sein Vater arbeitete als Elektriker, die Mutter als Verkäuferin. Trotzdem, erinnert sich der Schauspieler, hatten auch seine Eltern eine Nähe zur Bühne: Im Gasthaus einer 200-Seelen-Gemeinde spielten sie viele Jahre lang Laientheater. Seine Kindheit und Jugend im Sozialismus verklärt oder verteufelt Miroslav Krobot nicht – er ironisiert sie nur:

"Da gab es keine Hoffnungen. Da gab es keine Illusionen. Da blieb uns nur der Spaß."

Nach dem Schauspielstudium und mehreren Stationen innerhalb Tschechiens kam er 1982 nach Prag. Seit mehreren Jahrzehnten prägen seine Arbeiten als Regisseur und Schauspieler die tschechische Theaterszene. Über die Jahre hat Krobot auch mit großen Filmemachern gedreht.

In "The Man from London" von Béla Tarr beispielsweise spielte er an der Seite von Tilda Swinton die Hauptrolle. Krobot lehnt sich zurück, zündet sich nahtlos die nächste Zigarette an und denkt lange nach, bevor er spricht. Den festen Willen, ausgerechnet Schauspieler zu werden, hatte er nicht. Sagt er mit einem leisen Lächeln.

Miroslav Krobot: "Das war Zufall. In den Sechzigern gab es für mich vor allem Feiern und Musik. Die Aufnahmeprüfungen für Schauspiel fanden nun mal zuerst statt, und erst danach konnte man sich für Jura bewerben. Das war der Vorteil."

Neben seiner Arbeit als Regisseur, Schauspieler und Lehrer ist Miroslav Krobot auch noch Autor von Theaterstücken. Gerade arbeitet er an einem Stoff zum Thema "Stalking", für sein Theater hätte er gern die Geschichte von "Pu, der Bär" adaptiert, aber es gab Schwierigkeiten mit den Rechten. Was auf der Bühne geschieht, sagt er, muss nicht intellektuell sein, wohl aber zeitgemäß, unterhaltsam und authentisch.

Meine drei Kinder sind schon groß, sagt Miroslav Krobot lachend auf die Frage, ob neben der vielen Arbeit überhaupt noch Freizeit bleibe. Und, dass es da eine Datsche in den tschechischen Bergen gäbe, und dass er dort gern mit den Händen arbeite. Dann schweigt er wieder versonnen, schaut auf die Zigarette in seiner Hand – und ich bewundere seine wortkarge, warme Gelassenheit, die durch nichts zu erschüttern ist. So bleibt am Ende nur die Frage, ob man ihn überhaupt irgendwie aus der Fassung bringen kann.
Miroslav Krobot: "”Mehrere Schauspieler haben versucht, mich aus der Ruhe zu bringen. Sie haben es nicht geschafft. Ich habe erfahren, dass es seine Vorzüge hat, ruhig zu sein. Eins jedenfalls kann ich sagen: Eine Frage wäre es nicht, die mich aus der Ruhe bringen könnte.""