Schwedisch sein lernen

Von Michael Laages |
Das Staatstheater Braunschweig zeigt mit "Montecore, ein Tiger auf zwei Beinen" ein Stück von Jonas Hassen Khemiri. Der Autor wurde 1978 als Kind einer Schwedin und eines Tunesiers geboren. Er erzählt in seinem Roman seine Geschichte und die seines Vaters: eine Migrationsgeschichte.
Die Parallelen sind unübersehbar - auch der schwedische Autor Jonas Hassen Khemiri wuchs als Kind einer schwedischen Mutter und eines tunesischen Vaters auf; und in Khemiris zweiten Roman, 2006 erschienen und jetzt in Braunschweig für die Bühne entdeckt, bekommt der Autor eines Tages Post von einem alten Freund des Vaters, der vor Jahren zurück nach Tunesien flüchtete vor dem neuen rechten Terror in Schweden.

Ob sie beide, der alte Freund des Vaters und dessen junger Sohn, nicht gemeinsam ein Buch schreiben wollten über Abbas, den Vater zwischen den Welten – das fragt Khadir den jungen Jonas. Das Spiel mit dem biographischen Spiel hat natürlich eine Finale Pointe – in der Frage, ob nicht vielleicht auf diese Weise der Vater selber wieder in Kontakt treten wolle mit dem verlorenen Sohn.

Schon in der Roman-Erzählung steckt eine gehörige Menge an Spiel-Material – über Abbas und Khadir, die alten Freunde eben von anno dazumal: wie sie beide als Waisen der Unabhängigkeits-Revolten gegen die Kolonialmacht Frankreich die hübschen Traum-Jungs am Strand sind für die Touristinnen aus dem Norden; wie Abbas mit einer schwedischen Stewardess (und Khadirs erpokertem Geld) nach Stockholm auswandert; wie dort, in der Fremde und mit der Gründung eines Fotostudios, der Kampf ums familiäre Überleben beginnt für Abbas.

Khemiri fächert auf Vater-Suche die Geschichte von Immigration und Anpassung auf – derart gründlich lernt Abbas über die Jahre hin, was es bedeutet, schwedisch zu sein, dass er sich schließlich schwedischer gibt als die meisten Schweden selber; und sogar den Sohn und dessen Freunde verpfeift, als sie gegen die neue Rechte im Land eine anti-rassistische Polit-Zelle gründen, die nachts durch die Straßen zieht und Graffitti an die Wände sprüht. Das ist der Bruch zwischen Vater und Sohn – acht Jahre später (und mit dem von Khadir, oder Abbas selber, angestoßenen Buch-Projekt) beginnt die Geschichte.

Mina Salehpour, in Teheran geboren und als junge Regisseurin bislang vor allem in Frankfurt und Hannover aufgefallen (und ausgezeichnet mit Festival-Einladungen), mag auch in der eigenen Biografie ein Motiv für die Beschäftigung mit Khemiris biographischem Spiel gefunden haben; zu sehen ist das aber nicht. Vielleicht zu hören, denn die beiden Braunschweiger Darsteller, Phlipp Grimm und Hans Werner Leupelt, haben sich vor allem an eine äußerst überraschungsreiche Sprache gewöhnen müssen, eine aus vielerlei Quellen gespeiste Mischmach-Rhetorik, die Susanne Dahmann aus Khemiris Schwedisch auch in die deutsche Fassung übertragen hat.

Da finden sich Bruchstücke vom alten, tunesischen Französisch wieder, und "Succés" steht darum immer für Erfolg. Da plustern die Exilanten den Dialog vorzugsweise mit steilen Fremdwörtereien auf – und "lokalisieren", wo sie "finden" meinen. Das Spiel mit Wort und Sinn hat viel Witz, lässt die Geschichte ein bisschen überkandidelt und verzweifelt zugleich klingen, dabei aber gerade in den Irrungen und Wirrungen der Wortfindung immer auch ziemlich komisch.

Leupelt und Grimm finden und vermitteln obendrein und überhaupt viel Vergnügen im dauernden Wechselspiel der Rollen; falsche Bärte, schrille Perücken und andere optische Phantastereien inklusive. Eigenes aus der Wortspielschublade haben sie wohl auch beigesteuert, und vor einer Art Einbauküchendekoration (mit vielen Auftritten aus dem Kühlschrank heraus) entfesseln sie eine pfiffige Two-Man-Show.

Da mag das Immigrationsmärchen aus tausendundeiner tunesisch-schwedischen Nacht zuweilen vielleicht ein wenig übertrieben unterhaltsam wirken, obwohl es doch letztlich auch (und vielleiht vor allem) vom Scheitern erzählt und vom Verlust der Identitäten, macht nichts. Salehpours Team ist mit genügend Ernst bei der Sache, und der Abend ist kein Missverständnis - stattdessen eine kleine, feine Entdeckung, wie sie jenseits größerer Ereignisse auf deutschen Stadt- und Staatstheaterbühnen zum Glück immer wieder zu finden sind.