Schwarzer, Hoeness, Wulff & Co.

Medien, Skandale und die Opferrolle

Hans Mathias Kepplinger im Gespräch mit Julius Stucke · 07.02.2014
Die Masse der Beiträge bei einem Skandal entfaltet eine ungeheurere Wirkung, sagt Hans Mathias Kepplinger. Die betroffene Person fühle sich deshalb begründet als Opfer, besonders wenn in der Berichterstattung Fehler auftauchten, so der Kommunikationsforscher.
Julius Stucke: Wir sind ein Volk von Sündern, könnte man nach dieser Woche wieder mal meinen: Steuersünder wohin das Auge blickt. Man könnte es frei nach Alice Schwarzer natürlich auch umdrehen und sagen: Wohin wir schauen, überall Opfer. Sie zumindest sieht sich als Opfer der Medien, und das ist keine unbekannte Strategie. Wenn in den Medien der Skandal auftaucht, dann sehen sich die Skandalisierten als Opfer. Ob jetzt Alice Schwarzer, ob Christian Wulff, ob Karl-Theodor zu Guttenberg, diese und ähnliche Fälle beobachtet der Kommunikationsforscher Hans Mathias Kepplinger von der Uni Mainz. Guten Morgen, Herr Kepplinger.
Hans Mathias Kepplinger: Guten Morgen, Herr Stucke!
Stucke: Ich habe es jetzt gerade als Strategie bezeichnet, wenn sich skandalisierte Personen in der Öffentlichkeit als Opfer bezeichnen. Ist es das, eine Strategie der Verteidigung?
Kepplinger: Nein, das wird der Sache nicht gerecht. Alle Personen, die zum Gegenstand eines Skandals werden, sind aus ihrer Sicht wirklich Opfer, und das hat im Grunde zwei Ursachen. Die eine Ursache besteht in der Tatsache, dass in einem solchen Skandal eine unglaubliche Menge an Beiträgen erscheint. Und diese Beiträge, die haben eine enorme Wirkmacht, weil die Menschen, die Betroffenen das möglichst alles lesen, um zu sehen, was auf sie zukommt. Und in diesen Beiträgen ist vieles richtig, aber auch einiges falsch und dagegen können sie sich effektiv nicht wehren.
Dann gibt es noch einen zweiten Grund. Wenn ich den zweiten Grund noch nennen darf? Alle Menschen, die handeln, führen ihr Handeln überwiegend auf die Umstände zurück. Sie haben deshalb so gehandelt, weil die Umstände so waren. Die Beobachter dieses Geschehens kennen aber die Umstände nicht, oder nur unzureichend, und führen das gleiche Verhalten auf die Persönlichkeit und auf die Motive zurück. Nun sind Journalisten berufsmäßige Beobachter und stellen das Verhalten dieser jetzt skandalisierten Menschen im Grunde als Folge ihres Charakters dar. Die gleichen Personen sehen sich aber als Opfer der Umstände, und es entsteht dadurch ein Widerspruch zwischen dem, wie sie die damalige Situation wahrgenommen haben, nehmen Sie Frau Schwarzer, als sie das Geld in die Schweiz gebracht hat, und wie sie das heute dargestellt sieht. Insofern ist die Idee, die Vorstellung, ich bin ein Opfer, die ist durchaus aus der Sicht der Betroffenen realistisch und begründet.
Stucke: Und da ist es auch eher zweitrangig, ob diese Menschen ihre Schuld auch mal zugegeben haben, und sie können sich dann trotzdem als Opfer fühlen?
Kepplinger: Es gibt viele Fälle, in denen Menschen ihre Schuld zugegeben haben. Ein prominenter Fall ist etwa Joschka Fischer. Nachdem klar wurde, dass er der Täter ist, der da einen Polizisten, am Boden liegend, im Grunde misshandelt, da hat er das ja zugegeben. Aber er hat sich trotzdem als Opfer der Berichterstattung gesehen, der Darstellung seines Verhaltens gesehen. Weil er nämlich durchaus plausibel argumentieren konnte, ich war ja damals nicht nur Täter, ich war ja auch Opfer, Opfer von Polizeigewalt. Nur kommt das jetzt nicht mehr herüber. Insofern ist da nicht nur Rhetorik in der Behauptung, ich bin ein Opfer, sondern da steckt ein erheblicher Kern Wahrheit drin.
Stucke: Dann müssen wir natürlich auch nach der Rolle von uns, nach der Rolle der Medien fragen. Indem wir skandalisieren, machen wir die Täter dann damit auch immer wieder ein bisschen zu Opfern?
"Das führt zu einer ungeheueren Wirkungswelle"
Kepplinger: Das ist richtig und hier gibt es im Grunde zwei Probleme. Das eine Problem ist: In dieser Skandalisierungsphase will jeder möglichst schnell mit Informationen oder zumindest mit einem Beitrag auf den Markt kommen. Und die Konsequenz ist: Einer schreibt vom anderen ab, und zwar auch die Fehler. Es wird relativ wenig eigenständig recherchiert, es wird sehr viel im Grunde nachgeahmt. Das führt zu einer ungeheueren Wirkungswelle. Das ist der eine Grund. Und der zweite Grund besteht darin, dass man sich als Berichterstatter oft nicht wirklich ernsthaft mit den Umständen des Handelns dieser Personen auseinandersetzt und die Frage aufwirft, welche realistischen Alternativen hätte es denn gegeben und wären die denn, diese Alternativen, wirklich so viel besser gewesen. Das kann ein außenstehender Beobachter schwer beurteilen, aber mehr Interesse an dieser Frage wäre im Journalismus wünschenswert.
Stucke: Aber kann man es nicht bei so einem Fall Steuern zahlen oder Steuern nicht zahlen eigentlich relativ einfach sagen, was die Alternative ist?
Kepplinger: Das ist vollkommen richtig. Und trotzdem: Gehen wir noch mal zu dem Fall Schwarzer. Es ist aus meiner Sicht – ich bin gerade kein Anhänger von Frau Schwarzer – durchaus nachvollziehbar, dass sie am Anfang oder am relativen Anfang ihrer öffentlichen Karriere das Gefühl hatte, ich bin in diesem Land gefährdet, es kann sein, dass ich irgendwann mal den Druck nicht mehr aushalte, und dann will ich einen sicheren Hafen haben und auch ein finanzielles Polster. Das ist keine Rechtfertigung ihres Verhaltens. Das ist so oder so nicht richtig, das Verhalten. Aber es erklärt das Verhalten und es macht es verständlich. Das hat jetzt nichts damit zu tun, dass sie die Konsequenzen tragen muss, aber es mildert die öffentliche Empörung.
Stucke: Wegsehen können wir als Medien bei solchen ja auch irgendwo öffentlich relevanten Fällen natürlich nicht. Was also tun?
Kepplinger: Wegsehen wäre ganz und gar falsch. Aber nehmen Sie als Extrembeispiel den Fall Wulff. Hier wäre es sehr sinnvoll gewesen, wenn die Mehrzahl der Journalisten, die sozusagen mehr oder weniger blind in die gleiche Kerbe gehauen haben, wenn diese Journalisten sich mal überlegt hätten, in welcher Relation steht eigentlich der Vorwurf, um den es hier geht. Und es waren ja unzählige, Dutzende von Vorwürfen. In welcher Relation steht das eigentlich zu dem Amt und der Sache, um die es geht. Und da hätte man bei nüchterner Betrachtung sagen müssen, das ist im Grunde absurd. Das kommt ja jetzt auch bei dem Prozess so heraus.
Stucke: Medien, Skandale und die Opferrolle – dazu der Kommunikationsforscher Hans Mathias Kepplinger von der Uni Mainz. Herr Kepplinger, danke Ihnen fürs Gespräch.
Kepplinger: Ich danke Ihnen!
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