Schwarzenbach-Experiment

Unerwünschte "Gäste"

Rohit Jain im Gespräch mit Janis El-Bira · 28.08.2021
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In der Schweiz sei es sehr schwierig, über Rassismus zu sprechen, sagt Rohit Jain vom Projekt "Schwarzenbach-Komplex“. Dieses erinnert mit künstlerischen Mitteln an die rassistische Volksabstimmung gegen "Überfremdung von Volk und Heimat" von 1970.
Zehn Prozent Ausländeranteil in der Schweiz maximal, nicht mehr. Mit diesem Ansinnen war der rechte Zürcher Nationalrat James Schwarzenbach im Jahr 1970 auf Stimmenfang gegangen.
Seine Initiative gegen die "Überfremdung von Volk und Heimat" schaffte es bis auf die Schweizer Wahlzettel, wo sie nur äußerst knapp mit 54 zu 46 Prozent abgelehnt wurde – andernfalls hätten bis zu 400.000 vor allem italienischstämmige Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter das Land verlassen müssen. Bis heute eine gern verschwiegene Episode in der Geschichte der direkten Demokratie in der Schweiz.


Schon seit dem vergangenen Jahr forscht und erinnert ein Kollektiv aus Zeitzeuginnen, Wissenschaftlern und Theaterleuten im Rahmen des Zürcher Theaterspektakels zum "Schwarzenbach-Komplex", wie es sein Projekt selber nennt.

Versteckte Kinder

Für den Sozialanthropologen und Mitinitiator des Projekts, Rohit Jain, sind in der Schwarzenbach-Initiative die "Widersprüche des Migrationsregimes" exemplarisch sichtbar geworden, wie er sagt: "Einerseits braucht die Schweiz Migrantinnen und Migranten, um diesen Wohlstand, den berühmten, aufrechtzuerhalten – gleichzeitig will sie sie nicht haben."
Die Schwarzenbach-Initiative sei eine "brutale Form" gewesen, dies "auf eine typisch Schweizerische Art sichtbar zu machen", nämlich mittels direkter Demokratie.
Dabei sei die Volksabstimmung selbst nur die "Spitze des Eisbergs" der Ressentiments und "strukturellen Gewalt" gegen die Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter gewesen: "Ganz viele Gastarbeiter durften ihre Familien nicht nachholen. Das heißt: Zehntausende von Kindern waren versteckt, illegalisiert, lebten immer ein halbes Jahr, wenn der Brief der Fremdenpolizei kam, auf einem Dachboden oder in einem Zimmer und durften nicht raus. Oder die Männer lebten in Baracken, segregiert von der Öffentlichkeit."

Schichten der Erinnerung

Für das Projekt "Schwarzenbach-Komplex", das sich in Form von Arbeitstreffen seit einem Jahr verstetigt hat, sei es auch deshalb wichtig gewesen, bewusst künstlerische Wege zu gehen, weil es sehr schwierig sei, in der Schweiz über Rassismus zu sprechen, so Jain: "Das wird sofort abgeblockt. Man stößt auf taube Ohren." Die Kunst, auch das Theater, seien da sehr produktiv, um "Schichten der Erinnerung" hervorzuholen. Es brauche "viel Vertrauen, viel Zeit", bis Menschen begännen, über Erlebtes zu sprechen.

Reparation der Beziehungen

Zudem schaffe das Theater Öffentlichkeit und generiere Aufmerksamkeit, wo gerne weggeschaut werde. "Diese Dinge sind eigentlich bekannt. Man weiß von den versteckten Kindern, man weiß von der Linie des Rechtspopulismus bis Schwarzenbach, aber irgendwie ändert es nichts. Das heißt: Man muss die Leute anders erreichen. Man muss den Widerstand wieder stärker aktivieren. Und erst dann, wenn diese kollektiven Prozesse stattfinden, ist eine Reparation der Beziehungen zwischen einem 'Wir' und den 'Anderen' möglich."
(jeb)

Das Projekt "Schwarzenbach-Komplex" endet vorerst am 30. August mit der Performance "Not the Same Procedure!" beim Theaterspektakel Zürich.

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