Schwarz-Weiß-Aufnahmen unter der roten Fahne
Heimlich sammelte die Prager Publizistin Daniela Mrazkowa sowjetischen Fotos aus den Jahren 1918 bis 1941. Mehr als 200 Werke aus dieser spannungsvollen Epoche, die von revolutionären Aufbruchsgefühlen bis zur Repression unter Stalin reicht, werden nun im Kölner Museum Ludwig ausgestellt.
Soviel Aufbruch war selten - leidenschaftliche Künstler versuchten nach der Oktoberrevolution neue Formen zu finden, um die glorreiche Zeit massenwirksam zu propagieren und den Alltag umzukrempeln. Mit im Zentrum: der Fotograf Aleksandr Rodtschenko.
Um den Menschen zum neuen Sehen zu erziehen, müsse man alltägliche Objekte auf unerwartete Weise zeigen. "Wir sind verpflichtet zu experimentieren”, forderte er. Nicht jeder seiner Mitkämpfer wählte derart gewagte Perspektiven und kippte Straßenszenen, Planetarien und Kraftwerke in die Diagonale, aber die Anforderungen an die moderne Kunst, insbesondere die Fotografie, glaubte man doch verstanden zu haben - mithilfe Aleksandr Rodtschenkos. Bodo von Dewitz, der Kurator in Köln:
"Das Ganze war wirklich ein Aufbruch, der keine Rückkehr erlaubte. Es ging voran, es gab kein Zurück in den ästhetischen Programmen und der journalistischen Arbeit. Es ging ja nicht um eine ästhetische Leidenschaft, sondern darum, gesellschaftliche Kräfte zu mobilisieren für diesen Neubeginn. Und da haben alle auf ihn gehört - wenn sie auch die Programmatik verschieden umgesetzt und dann auch wieder ganz traditionell gearbeitet haben. Auch dieser Formalismus-Vorwurf, der ihm gegenüber 1929 geäußert wurde, traf im Kern auch alle anderen."
Die Avantgarde unter den Fotografen sah sich zunehmend mit diesem vernichtenden Urteil konfrontiert - und fand sich dann in einer staatskonformen, von Stalin beherrschten Propaganda wieder. Rodtschenkos Freund Georgij Petrusow fällt in der Ausstellung durch idyllische Fotos auf: Kolchosbäuerinnen und -bauern sind fröhlich zu gemeinsamer Mahlzeit versammelt, treffen sich zu Tanz und Gesang.
Optimismus war von den Mächtigen verordnet und wurde mit dem "sozialistischen Realismus” bald zum Programm. Wie Arbeiter zufrieden leben, ständig lernen und in Familie und Betriebskollektiv ihren Rückhalt finden - das wurde in ganzen Fotoserien in Szene gesetzt und teils auch in Deutschland gedruckt, so 1931 in der "Arbeiter-Illustrierten-Zeitung”. "Glaube, Hoffnung, Anpassung” hieß treffend vor Jahren eine Ausstellung in Essen zur Entwicklung der sowjetischen Kunst. Im Grunde eine Tragödie, die in der Kölner Fotokollektion besonders anschaulich wird:
"Wenn Sie sich die Lebensdaten dieser Fotografen einmal ansehen: Diese Künstler haben jene Zeit überlebt. Sie haben sich also angepasst, sie haben gedacht, sie könnten sich arrangieren und so sind sie mehr oder weniger in die Falle gegangen."
Dabei geben auch die Fotos späterer Jahre noch Aufschluss über die damalige Zeit: Wenn in einer Bauernhütte mit großem Stolz eine Glühbirne eingeschraubt wird, man weitab von der Metropole zum ersten Mal an einem kleinen Empfänger "Radio Moskau” hört oder ein Grammofon aufstellt; wenn man in fernen Provinzen vor der Jurte aus der Prawda vorliest oder wenn auf einem Karren ein ärmliches Wanderkino durch die Gegend zieht. Und atemberaubende Aufnahmen von sowjetischen Eisbrechern erzählen von der Größe des Imperiums und dessen Rändern. Wir sind bei den Ausschachtungsarbeiten für einen Hochofen dabei und beim Bau einer Eisenbahntrasse, die bis nach Sibirien reicht. Von den Opfern jener Zeit aber erfahren wir nichts.
Zusammengetragen hat all diese Fotos Daniela Mrázkowá, die sich zunächst als Mitarbeiterin und von 1971 an als Chefredakteurin einer modernen, auch in Russland begehrten Prager Fotozeitschrift für die sowjetische Fotografie interessierte:
"Ich bin oft nach Russland gereist und habe selbstverständlich die Fotografen oder ihre Angehörigen getroffen. Sie hatten den Eindruck, niemand sei wirklich an den historischen Werken interessiert. Die offizielle Meinung war, das Menschenbild auf diesen Fotos entspreche nicht sowjetischen Vorstellungen - man wollte die 20er- und 30er-Jahre nicht durch diese Bilder repräsentiert sehen. Wir waren sehr glücklich, dass die Fotografen, deren Familien und einige Historiker uns halfen, diese Bilder zu sammeln, damit ich sie in meiner Zeitschrift und in Büchern veröffentlichen konnte."
Sie schmuggelte Fotos außer Landes, publizierte sie und veranstaltete Ausstellungen - und richtete das Augenmerk auf den Niedergang der sowjetischen Fotografie:
"Sie waren alle so begeistert in den Anfängen und verloren diesen Elan nach und nach - selbst Aleksandr Rodtschenko. Als ich seine Familie in Moskau aufsuchte, musste ich es heimlich tun. Das durfte in offiziellen Kreisen, auch bei Publizisten und Funktionären nicht bekannt werden. Einer meiner Freunde brachte mich auf Schleichwegen zur Familie. Diese Konspiration war auch bei anderen Fotografen nötig. Maks Alpert zeigte mir ein Porträtfoto von Stalin, aber beschwor mich, es bloß nicht zu veröffentlichen, er könnte Probleme bekommen. Das war alles schon sehr merkwürdig."
Kein Künstler könnte diese Ausstellung mit historischen Fotos besser zur Gegenwart hin ergänzen als Rudolf Herz mit seinen Aufnahmen, die in Köln den Rundgang abschließen. 2004 hatte er Teile eines in Dresden nach der Wende abgebauten Lenin-Denkmals auf offenem Wagen durch Ost- und Westeuropa gefahren. Entstanden sind geradezu surreal wirkende Fotos: Lenin und zwei weitere Genossen erscheinen vor schnöden Supermärkten, an einem Autobahnkreuz und vor dem bunten Legoland:
"Insgesamt gab es sehr kontroverse Meinungen: von historischer Unkenntnis amerikanischer Touristen, die die Figuren für Kennedy oder Gagarin hielten, bis zu weitgehenden philosophischen Reflexionen über den Zusammenbruch der Sowjetunion und die Folgen für eine kritische Kultur im Westen."
Der Welt von heute Lenin zu zeigen, Lenin wiederum die Welt von heute - das war das Ziel jener Aktion. Fragt sich nur, was Lenin bei dieser Fahrt gesagt hat. Rudolf Herz:
"Lenin ist merkwürdigerweise immer stumm geblieben, hat sich aber sehr viel anhören müssen. Wie man diese Stummheit interpretiert trotz unserer Versuche, ihn zu verlebendigen, das überlasse ich den Betrachtern."
Um den Menschen zum neuen Sehen zu erziehen, müsse man alltägliche Objekte auf unerwartete Weise zeigen. "Wir sind verpflichtet zu experimentieren”, forderte er. Nicht jeder seiner Mitkämpfer wählte derart gewagte Perspektiven und kippte Straßenszenen, Planetarien und Kraftwerke in die Diagonale, aber die Anforderungen an die moderne Kunst, insbesondere die Fotografie, glaubte man doch verstanden zu haben - mithilfe Aleksandr Rodtschenkos. Bodo von Dewitz, der Kurator in Köln:
"Das Ganze war wirklich ein Aufbruch, der keine Rückkehr erlaubte. Es ging voran, es gab kein Zurück in den ästhetischen Programmen und der journalistischen Arbeit. Es ging ja nicht um eine ästhetische Leidenschaft, sondern darum, gesellschaftliche Kräfte zu mobilisieren für diesen Neubeginn. Und da haben alle auf ihn gehört - wenn sie auch die Programmatik verschieden umgesetzt und dann auch wieder ganz traditionell gearbeitet haben. Auch dieser Formalismus-Vorwurf, der ihm gegenüber 1929 geäußert wurde, traf im Kern auch alle anderen."
Die Avantgarde unter den Fotografen sah sich zunehmend mit diesem vernichtenden Urteil konfrontiert - und fand sich dann in einer staatskonformen, von Stalin beherrschten Propaganda wieder. Rodtschenkos Freund Georgij Petrusow fällt in der Ausstellung durch idyllische Fotos auf: Kolchosbäuerinnen und -bauern sind fröhlich zu gemeinsamer Mahlzeit versammelt, treffen sich zu Tanz und Gesang.
Optimismus war von den Mächtigen verordnet und wurde mit dem "sozialistischen Realismus” bald zum Programm. Wie Arbeiter zufrieden leben, ständig lernen und in Familie und Betriebskollektiv ihren Rückhalt finden - das wurde in ganzen Fotoserien in Szene gesetzt und teils auch in Deutschland gedruckt, so 1931 in der "Arbeiter-Illustrierten-Zeitung”. "Glaube, Hoffnung, Anpassung” hieß treffend vor Jahren eine Ausstellung in Essen zur Entwicklung der sowjetischen Kunst. Im Grunde eine Tragödie, die in der Kölner Fotokollektion besonders anschaulich wird:
"Wenn Sie sich die Lebensdaten dieser Fotografen einmal ansehen: Diese Künstler haben jene Zeit überlebt. Sie haben sich also angepasst, sie haben gedacht, sie könnten sich arrangieren und so sind sie mehr oder weniger in die Falle gegangen."
Dabei geben auch die Fotos späterer Jahre noch Aufschluss über die damalige Zeit: Wenn in einer Bauernhütte mit großem Stolz eine Glühbirne eingeschraubt wird, man weitab von der Metropole zum ersten Mal an einem kleinen Empfänger "Radio Moskau” hört oder ein Grammofon aufstellt; wenn man in fernen Provinzen vor der Jurte aus der Prawda vorliest oder wenn auf einem Karren ein ärmliches Wanderkino durch die Gegend zieht. Und atemberaubende Aufnahmen von sowjetischen Eisbrechern erzählen von der Größe des Imperiums und dessen Rändern. Wir sind bei den Ausschachtungsarbeiten für einen Hochofen dabei und beim Bau einer Eisenbahntrasse, die bis nach Sibirien reicht. Von den Opfern jener Zeit aber erfahren wir nichts.
Zusammengetragen hat all diese Fotos Daniela Mrázkowá, die sich zunächst als Mitarbeiterin und von 1971 an als Chefredakteurin einer modernen, auch in Russland begehrten Prager Fotozeitschrift für die sowjetische Fotografie interessierte:
"Ich bin oft nach Russland gereist und habe selbstverständlich die Fotografen oder ihre Angehörigen getroffen. Sie hatten den Eindruck, niemand sei wirklich an den historischen Werken interessiert. Die offizielle Meinung war, das Menschenbild auf diesen Fotos entspreche nicht sowjetischen Vorstellungen - man wollte die 20er- und 30er-Jahre nicht durch diese Bilder repräsentiert sehen. Wir waren sehr glücklich, dass die Fotografen, deren Familien und einige Historiker uns halfen, diese Bilder zu sammeln, damit ich sie in meiner Zeitschrift und in Büchern veröffentlichen konnte."
Sie schmuggelte Fotos außer Landes, publizierte sie und veranstaltete Ausstellungen - und richtete das Augenmerk auf den Niedergang der sowjetischen Fotografie:
"Sie waren alle so begeistert in den Anfängen und verloren diesen Elan nach und nach - selbst Aleksandr Rodtschenko. Als ich seine Familie in Moskau aufsuchte, musste ich es heimlich tun. Das durfte in offiziellen Kreisen, auch bei Publizisten und Funktionären nicht bekannt werden. Einer meiner Freunde brachte mich auf Schleichwegen zur Familie. Diese Konspiration war auch bei anderen Fotografen nötig. Maks Alpert zeigte mir ein Porträtfoto von Stalin, aber beschwor mich, es bloß nicht zu veröffentlichen, er könnte Probleme bekommen. Das war alles schon sehr merkwürdig."
Kein Künstler könnte diese Ausstellung mit historischen Fotos besser zur Gegenwart hin ergänzen als Rudolf Herz mit seinen Aufnahmen, die in Köln den Rundgang abschließen. 2004 hatte er Teile eines in Dresden nach der Wende abgebauten Lenin-Denkmals auf offenem Wagen durch Ost- und Westeuropa gefahren. Entstanden sind geradezu surreal wirkende Fotos: Lenin und zwei weitere Genossen erscheinen vor schnöden Supermärkten, an einem Autobahnkreuz und vor dem bunten Legoland:
"Insgesamt gab es sehr kontroverse Meinungen: von historischer Unkenntnis amerikanischer Touristen, die die Figuren für Kennedy oder Gagarin hielten, bis zu weitgehenden philosophischen Reflexionen über den Zusammenbruch der Sowjetunion und die Folgen für eine kritische Kultur im Westen."
Der Welt von heute Lenin zu zeigen, Lenin wiederum die Welt von heute - das war das Ziel jener Aktion. Fragt sich nur, was Lenin bei dieser Fahrt gesagt hat. Rudolf Herz:
"Lenin ist merkwürdigerweise immer stumm geblieben, hat sich aber sehr viel anhören müssen. Wie man diese Stummheit interpretiert trotz unserer Versuche, ihn zu verlebendigen, das überlasse ich den Betrachtern."