Schwarz-Gelb und die Kultur

Von Stephan Speicher |
Die neue Bundesregierung rüttelt sich langsam zusammen, die große Neuausrichtung wird es kaum geben. Zumindest in der Kulturpolitik geht es wohl auf dem eingeschlagenen Weg weiter, vermutlich auch mit dem bekannten Mann, mit Kulturstaatsminister Bernd Neumann.
Die neue Bundesregierung rüttelt sich langsam zusammen, die große Neuausrichtung wird es kaum geben. Zumindest in der Kulturpolitik geht es wohl auf dem eingeschlagenen Weg weiter, vermutlich auch mit dem bekannten Mann, mit Kulturstaatsminister Bernd Neumann.

Angela Merkel wird erkannt haben, dass das vergleichsweise kleine Amt – Kabinettsrang kommt ihm nicht zu – starke Außenwirkung hat. Ihre parteipolitische Generallinie, die CDU als moderne, weltoffene Partei zu zeigen, wird durch Neumann sehr wirkungsvoll verstärkt. Ausgerechnet durch Bernd Neumann, den ewigen Bremer Parteivorsitzendem im Blazer, über den bei seinem Amtsantritt alle spotteten! Aber dann hat er sich bald Respekt verschafft, mehr Geld als seine Vorgänger mobilisiert, still und geschickt die Probleme gelöst.

Und ließ sich etwas nicht lösen, so hat er es beerdigt, nicht weniger still und geschickt. Was Merkels Beliebtheit in der Bevölkerung ausmacht, das ist auch Neumanns Vorzug: Beide vermitteln den Eindruck, ihre Aufgaben ohne ideologische Überhitzung und ohne Männchentum anzugehen. Ist Merkel Mutti, ist Neumann Papa: der Mann, der alle um sich herumtoben lässt und zuletzt doch dafür sorgt, dass die Streitpunkte geordnet werden. Selbst seine Gegner haben Neumanns organisatorische Qualitäten anerkannt.

Barbara Kisseler zum Beispiel, im Schattenkabinett von Frank-Walter Steinmeier vorgesehen für Kultur.

Doch ist es nicht etwas zu wenig, allein Geld zu beschaffen und Verfahren zu organisieren? Wäre vom Kulturstaatsminister nicht zu erwarten, dass er die großen geistigen Debatten anstößt oder sie wenigstens durch eigene Beiträge weitertreibt? Es wird in solchem Zusammenhang dann gern auf die sozialdemokratischen Vorgänger Neumanns hingewiesen, auf den Verleger und Publizisten Michael Naumann, den Philosophen Julian Nida-Rümelin, auf Christina Weiss, Literaturkritikerin und zwischenzeitlich Leiterin des Literaturhauses Hamburg. Große Erleuchtungen verdanken wir ihnen aber auch nicht. Am ehesten Naumann, doch seine Feuerwerkereien – der Spott zum Beispiel über den Kulturföderalismus als "Verfassungsfolklore" - brachten ihn seinen Zielen nicht näher.

Die Sehnsucht nach einem Kulturstaatsminister mit eigenem kritischen Gewicht ist ein Missverständnis. Die klassischen Ressorts, Außen und Innen, Finanzen, Verteidigung, Justiz, zeigen ihre Minister als die selbstständig Handelnden: unter Bedingungen natürlich und doch einem selbst formulierten Ziel folgend. Ein Kulturpolitiker ist in viel stärkerem Maße angewiesen auf das, was andere vorgeben. Erst kommt die Kunst, dann kann sich die Politik dazu verhalten, fördernd oder nicht. Und auch wenn sie das nach Maßstäben zu tun hat, über die sie sich Rechenschaft ablegen muss – unsere Vorstellung von Kunstfreiheit ziehen dem Urteil von Staat und Staatsführung enge Grenzen. Kulturpolitik verlangt Zurückhaltung.

Die öffentliche Debatte ist Sache des Betriebs selbst, der Künstler, der Kritiker, des Publikums. Ein Politiker, der sich hier zu laut einmischt, weckt Zweifel an seiner Unparteilichkeit. Kein Minister dürfte es sich erlauben, nach einer Opernaufführung auch nur das technische Niveau des Orchesters oder der Sänger öffentlich zu bemängeln, selbst dann nicht, wenn seine Urteilsfähigkeit außer Zweifel stünde. Ist es Zufall, dass die Kulturstaatsminister, die sich selbst als Intellektuelle ansahen, rasch wieder aus dem Amt schieden?

Und da ist ein zweiter Gesichtspunkt: Der Kulturstaatsminister des Bundes muss Unterstützung vor allem für die Projekte von nationaler Bedeutung zusammenbringen, und das sind oft die Projekte in den großen Städten. Die politische Macht in Deutschland aber, auf den Parteitagen kann man es regelmäßig beobachten, kommt aus der Fläche: Kreis Viersen, Alb-Donau-Kreis, Bautzen I. Bei deren Abgeordneten muss der Kulturstaatsminister um Unterstützung werben und den Verdacht zerstreuen, es solle die Steuerleistung des Landes verjubelt werden für den Zeitvertreib des metropolitanen Klugschmus. In solchen Gesprächen, glanzlos und wichtig, bewährt sich der Kulturpolitiker. Und das gelingt dem zurückhaltenden Typus am besten.


Stephan Speicher, Jahrgang 1955, studierte Rechtswissenschaften, Geschichte und Germanistik in Münster und Bonn. Nach einigen Jahren als wissenschaftlicher Angestellter für Neuere Germanistik an der Universität Wuppertal wechselte er in den Journalismus. 1991/92 war er Redakteur des Berliner "Tagesspiegels", 1992 - 1996 der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", 1996 – 2007 bei der "Berliner Zeitung". Seit 2008 arbeitet er für die "Süddeutsche Zeitung".