„Ein Kind in diese Welt gebären, schwanger sein, das sind einfach ganz existenzielle Themen, und so was wie Schiss haben oder Respekt kriegen, oder wie auch immer man das jetzt nennen mag, das ist vollkommen normal. Es gehört offenbar zum Schwangersein dazu, und sich dem zu stellen, darum geht es ein bisschen. Und die Paare auf dem Weg dabei zu begleiten, das ist für mich meine Aufgabe als Hebamme.“
Kareen Dannhauer
Schwangerschaft als Risiko
Nach Turbulenzen gut gelandet: Wegen einer besorgniserregenden Frühdiagnose sah Tabea Hosche der Geburt ihrer Tochter Uma mit Hoffen und Bangen entgegen. © Kirsten Kofahl
Der Mut zur guten Hoffnung
08:36 Minuten
Wird eine Frau schwanger, dann ist sie „guter Hoffnung“. Doch nicht nur die Redewendung ist aus der Mode gekommen, auch die Schwangeren selbst tun sich mit der Hoffnung in Krisenzeiten wie diesen zunehmend schwer.
„Die Zeiten sind halt einfach auch nicht so, dass man berechtigterweise guter Hoffnung sein kann", sagt die Frauenärztin Regina Lutterbeck. "Von daher bewundere ich immer Frauen, die in diese etwas unruhige Welt mit guter Hoffnung ein Kind setzen wollen."
Lutterbeck hat in ihrer Praxis über Jahrzehnte schwangere Frauen betreut. Schwangerschaft und Geburt, sagt sie, sind immer noch eines der wenigen Ereignisse, wo es einfach keine Planungssicherheit gibt:
„Was ja das Faszinierende und das Schöne daran ist, und es ist immer wieder eine Überraschung. Aber sich auf diese Überraschung einlassen zu können, das braucht ein Selbstvertrauen, Gottvertrauen, Weltvertrauen, was irgendwie weniger geworden ist.“
Und zwar für alle Beteiligten: Wer als Ärztin versäumt, auf bestimmte Methoden der Diagnostik hinzuweisen, riskiert Schadensersatzklagen. Auch wem viele Untersuchungen überflüssig erscheinen: Darauf verzichten, das machen nur die wenigsten.
„Heute wird immer der Worst Case gesehen“
Die Kulturwissenschaftlerin Marita Metz-Becker kann sich über diese Entwicklung richtig aufregen: „Wenn ich eine junge Frau interviewe, die sagt: ´Ich wollte ins Geburtshaus, da hat meine Mutter und meine Schwiegermutter gesagt, bist du denn verrückt? Du kannst doch das Kind nicht im Geburtshaus kriegen, da sind nur Hebammen. Stell dir vor, da ist was. Was machst du denn dann?` Es wird immer heute der Worst Case gesehen. Und das ist das Gegenteil von guter Hoffnung.“
Es gibt ein Datum für diesen Wandel, jedenfalls ein ungefähres: In den 1960er-Jahren wurde die Geburt vom Alltag in die Krankenhäuser verlegt. Mit allen Konsequenzen:
„Ärzte sind anders ausgebildet, sie sind anders geschult. Ärzte sehen immer das Pathologische, dafür sind sie da. Das ist ihre berufliche Daseinsberechtigung", sagt Metz-Becker. "Sie müssen jemanden, der krank ist, heilen. Sie müssen immer mit Patienten umgehen – und eine Schwangere ist keine Patientin.“
Die Schwangere, davon ist die Kulturwissenschaftlerin fest überzeugt, ist in der Regel mit einer Hebamme besser versorgt.
Selbstständiger Umgang mit der Schwangerschaft
Kareen Dannhauer betreut Schwangere in einer Praxis in Berlin-Prenzlauer Berg und ist Autorin. „Guter Hoffnung sein“ – unter diesem Titel will sie Schwangere und ihre Partner oder Partnerinnen zu einem selbstständigen Umgang mit der Schwangerschaft ermutigen.
Es gibt allen Grund dazu. Denn tatsächlich ist in den letzten hundert Jahren die Sterblichkeit bei der Geburt in Deutschland drastisch gesunken. Bei den Kindern liegt sie im einstelligen Promillebereich – drei von 1000 Kindern sterben –, bei den Gebärenden noch weit niedriger.
Warum ist trotz dieser ermutigenden Entwicklung gleichzeitig die Sorge gewachsen? Dannhauer vermutet:
Die Frauenärztin Regina Lutterbeck sieht es auch als eine Frage der Haltung: „Was ist das für ein Kind, das ich möchte? Möchte ich das perfekte Kind, oder nehme ich ein Kind, dieses Leben, was da entsteht, mit seinen möglicherweise Defekten an? Und das fällt natürlich heutzutage auch vielen Frauen schwer.“
Hoffnung neu definieren
Gemeinschaft hilft, das hat Frauenärztin Regina Lutterbeck bei ihrer ehrenamtlichen Arbeit für die Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung in Berlin gelernt. Ihre Patientinnen dort haben in der Regel eine Fluchtgeschichte und keinen gesicherten Aufenthalt in Deutschland – aber sie haben eine Gemeinschaft.
Regina Lutterbeck erinnert sich an eine 41-jährige Schwangere, die sie betreute und die sie umfassend über alle diagnostischen Möglichkeiten und Risiken aufklären musste.
„Und ich hab mich hinterher so über mich selbst geärgert", sagt Lutterbeck, "weil ich diese arme Frau mit dieser Herangehensweise, die für uns Routine darstellt, so verunsichert habe, in Panik versetzt habe, weil dieses Denken ihr so fremd war. Das war schwierig. Das tu ich nicht mehr.“
Es gibt keinen Weg zurück zum ungebrochenen guter Hoffnung sein vergangener Zeiten, so viel ist klar. Vielleicht müssen alle lernen, Hoffnung und Risiko gerade in Sachen Schwangerschaft neu zu definieren. Hoffnung heißt dann nicht: Alles muss perfekt sein. Sondern: Hoffen bedeutet, zu wissen, worauf man sich einlässt.
Tabea Hosche hat das so erlebt. Als sie schon im fünften Monat schwanger war, brachte eine Routineuntersuchung an den Tag, dass ihre Tochter auf jeden Fall schwer behindert sein würde.
„Man fühlt sich ein bisschen wie in einer Falle", sagt Hosche. "Man hat das Gefühl, den einen Weg kann man sich im Moment noch nicht vorstellen, nämlich mit einem Schwerstpflegefall zu leben. Und gleichzeitig – also, falls man die Option überhaupt hat, dass Ärzte einem sagen: Sie könnten es auch abtreiben –, dann bedeutet das in diesen höheren Schwangerschaftswochen, dass man ein Kind erst mal töten muss, das wird meistens im Mutterleib schon getötet. Und dann muss man dieses tote Kind auf eine ganz normale Art und Weise, wie man ein Kind zur Welt bringt, gebären.“
Denn das wäre die einzige – "Therapie" scheint als Wort hier nicht angemessen –, die einzig mögliche Reaktion auf die Diagnose gewesen. Tabea Hosche sagt:
„Das schaff ich nicht, das kann ich nicht, ich liebe dieses Kind jetzt schon, es strampelt in meinem Bauch. Wie könnte ich das dann jetzt töten und nicht zur Welt bringen?“
Tabea Hosche
Mit dieser Klarheit kam die Hoffnung zurück. Damit – und mit weiterer Diagnostik, sagt Hosche:
„Der Arzt hat dieses sehr Dramatische absolut abgemildert und gesagt, aus seiner Sicht kann er uns nur raten, da jetzt erst mal entspannt zu bleiben, weiter untersuchen zu lassen, vielleicht wird es gar nicht so eine schwere Behinderung. Ab dem Moment, als dieser Arzt das zu uns gesagt hat, hatten wir wieder Hoffnung. Und mit dem Gefühl auch, okay, jetzt gehts eigentlich nur darum, diese Behinderung, wie auch immer sie sein wird, anzunehmen.“
Kann man heute noch hoffnungsvoll ein Kind bekommen? Diese Frage treibt viele Schwangere und ihre Partner um, sagt Hebamme Kareen Dannhauer:
„Natürlich ist das in so einer emotional fragilen Situation der Schwangerschaft spürbarer gewesen in den letzten beiden Jahren, ich thematisiere das dann, ich rede mit den Leuten darüber in einer Weise, dass ich sage:
Ganz schön heavy, das alles emotional für sich unter einen Hut zu kriegen, Vorfreude auf dieses Baby und gleichzeitig zu erleben: In welcher Welt leben wir hier eigentlich und in was für einer Gesellschaft und was für einer gesellschaftlichen Spaltung, und wie wollen wir das für unsere Kinder überhaupt wieder zusammenflicken?“
Kinderkriegen in Krisenzeiten
In Online-Foren für Schwangere, beliebter Ort des Austauschs, wird das zum Beispiel so diskutiert: „Ich will wirklich nicht undankbar klingen: Meine Schwangerschaft verlief bis jetzt traumhaft, ich hatte null Probleme und kaum Beschwerden. Nur spielt die ganze Welt derzeit einfach verrückt.“
„Ich bin ehrlich gesagt nur mehr froh, wenn unser Baby auf der Welt ist. Aber auch dann wird wieder vieles anders, als ich es mir vorgestellt habe.“
„Das ist schon ein verrücktes Jahr, aber wenigstens ist die baldige Geburt meiner Tochter ein sehr positiver Punkt, der mich stark macht.“
Wegen all der Krisen jetzt aber nicht schwanger sein zu wollen, das kann sich keine der Frauen vorstellen. „Anscheinend ist das Kinderkriegen dann eben doch etwas, was wir in all diesen Lebensphasen einfach tun", sagt die Hebamme Kareen Dannhauer. "Wenn man so will, ist ein Kind bekommen ja die Formulierung von Zukunft – ein Zutrauen in die Zukunft.“