Schwan gegen Köhler

Der Bundespräsident hat seinen Amtssitz zwar in einem Schloss, aber der König von Deutschland ist er nicht. Er ist genau so demokratisch legitimiert, wie die Mitglieder der Bundesregierung und die Abgeordneten der Parlamente. Der Bundespräsident wird gewählt und natürlich gehört es sich für eine Demokratie überhaupt nicht, so zu tun, als dürfe es dabei nicht auch eine echte Wahl geben.
Gesine Schwan wäre die erste Frau im höchsten Staatsamt. Und ihre Wahl wäre der erste Fall in der dann 60-jährigen Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik, in der ein amtierender Bundespräsident schlicht abgewählt würde. Und doch wäre das eine wie das andere nichts als demokratische Normalität.

Wo Wahl ist, kann Abwahl sein und gehört auch Wahlkampf dazu. Den müssen uns die Kandidatin und der Kandidat im Präsidentenamt jetzt vorleben. Das macht die Politik wieder spannend. Wo es vor kurzem noch allein um Profilierung und Positionierung der Parteien in einer ermatteten Koalition ging, steht nun auch die Statik in einem Kernbereich der Verfassung zur Disposition. Wie politisch darf ein Bundespräsident sein? Wie weit muss er über den Dingen schweben? Wie groß ist die Unabhängigkeit des Amtes wirklich, wenn sie sich im echten Wettstreit der Personen bewähren muss? Auf diese zentralen Fragen werden wir in einem Jahr wahrscheinlich ganz neue Antworten gefunden haben.

Versuche, die Grenzen der präsidialen Befugnisse auszuloten, hat es immer wieder gegeben. Dennoch hat sich im Laufe der Jahrzehnte ein mehr gewachsenes als festgeschriebenes Amtsverständnis herausgebildet. Vor allem "mahnen, warnen und ermuntern" könne der Bundespräsident, schrieb ein angesehener Staatsrechtler einmal in einem wissenschaftlichen Kommentar zum Grundgesetz. Der Autor hieß Roman Herzog. Als Bundespräsident verkörperte er später selbst das Bild des manchmal strengen, manchmal verschmitzten Patriarchen im höchsten Staatsamt.

Auch Horst Köhler fügt sich in vorgeprägte Rollenmodelle: Als Kritiker der Parteipolitik bedient er in der Tradition des späten Richard von Weizsäcker populäre Erwartungen. Als Redner blieb Köhler dennoch blass. Sein Engagement für Afrika wird mehr in Form folkloristischer Reisephotos, als durch neue Perspektiven auf alte Probleme in Erinnerung bleiben. Ein eigenes Profil muss Köhler nun als ein wahlkämpfender Bundespräsident gewinnen. Das ist für ihn Herausforderung und Chance zugleich.

Köhler aber wird es schwer haben, im Wettstreit der Persönlichkeiten gegen Gesine Schwan.

Als kluge Wissenschaftlerin, quirlige Kommunikatorin und fröhliche Demokratin hat sie Alles, um das Herz der breiten Öffentlichkeit für sich zu gewinnen. Die SPD ist schwankend und wankend in diese Nominierung hineingestolpert. Gesine Schwan selbst dagegen zeigt mit allen ihren Äußerungen, dass sie die Risiken und Nebenwirkungen dieser Kandidatur im Blick hat. So klar, so kritisch, so konsequent wie Schwan haben nur wenige insbesondere die Rolle der Linken in diesem Wahlverfahren analysiert. Von dieser Kandidatin hätte die SPD viel früher lernen können und müssen. Schwan zeigt heute, wie man sich unmissverständlich von dem unreifen Gemisch aus Verstörten, Verqueren und Verunsicherten hätte abgrenzen können, - um dennoch das kontroverse Gespräch mit der postkommunistischen Partei zu führen.

Die jetzigen Beteuerungen der SPD aber, die gemeinsamen Stimmen eines linken Lagers für Gesine Schwan seien kein Vorzeichen für viel weiter gehende Kooperationen, Absprachen und Koalitionen sind längst unglaubwürdig geworden. In der bürgerlichen Mitte wird die SPD in dem bevorstehenden Präsidentschaftswahlkampf nahezu zwangsläufig an Rückhalt verlieren. Das Bündnis für die Bundesversammlung setzt schon jetzt einen fatalen Mechanismus in Gang, in dem sich die SPD täglich aufs Neue gezwungen sieht, der Linken abzuschwören. Jeder dieser Schwüre aber birgt den Meineid bereits offen sichtbar in sich.

Ein Wahlsieg Gesine Schwans in der Bundesversammlung kann unter diesen Vorzeichen nicht ohne Makel bleiben. Das Risiko, dass die Politikwissenschaftlerin bei ihrem zweiten Anlauf auf das höchste Staatsamt sehenden Auges in Kauf nimmt ist – anders als vor vier Jahren – ein höchstpersönliches: Die engagierte Antikommunistin ist in einer Jahrzehnte langen wissenschaftlichen und politischen Karriere keiner Auseinandersetzung mit ihrer Partei, der SPD, aus dem Weg gegangen war, wenn es darum ging, die Grenze zwischen einer liberalen Sozialdemokratie und totalitär geprägtem Sozialismus scharf zu markieren. Jetzt droht sie selbst zum Instrument derjenigen zu werden, die genau diese Grenze im Interesse der Macht verwischen möchten.