Schwäbisches Traditionsprodukt

Die Guten ins Töpfchen

Grüne Linsen
Nach Jahrzehnten wieder im Trend: deutsche Linsen aus eigenem Anbau © picture alliance / Stephan Persch
Von Anette Selg |
Linsen und Spätzle - das schwäbische Nationalgericht - war bis in die Mitte des 20. Jahrhunders ein nahrhaftes Arme-Leute-Essen. In einer russischen Saatgutbank ist die Linsensorte wieder aufgetaucht und erlebt nun eine Renaissance.
Sie ist eine unscheinbare Pflanze, die Linse. Mit kleinen fiedrigen Blättern und weiß-violetten Blüten, die gerade einmal einen halben Zentimeter groß werden. Und in die Höhe wächst die Linse nur, wenn sie sich an einer Stützfrucht – meist Hafer oder Gerste – empor ranken kann.
"Das ist aber sehr schwierig, die Pflanze in der Natur draußen zu erkennen. Weil wir sie ja immer mit Getreide anbauen und der Acker sieht aus wie ein Getreideacker mit viel Unkraut unten drin. Aber das Unkraut sind doch meistens die Linsen dann, und die werden gar nicht von den Leuten gesehen."
Angefangen hat alles mit einem Zufall
Woldemar Mammel, der die Alb-Linsen wieder zurück auf die Äcker brachte, ist ein schmaler Mann mit weißen Haaren und weißem Vollbart. Er hat ein fein geschnittenes Gesicht, sehr blaue Augen und eigentlich sieht er gar nicht aus wie ein Bauer. Tatsächlich hat der 70-Jährige auch zunächst Biologie studiert und war danach sieben Jahre lang Gymnasiallehrer.
"Dass wir dann, mei Frau und ich, in der Landwirtschaft gelandet sind, das war halt auch ein Zufall. Weil wir so über Selbstversorger-Garten und Selbstversorger-Bienen und Selbstversorger-Schafe dann immer mehr in die Landwirtschaft reingerutscht sind und dann gemerkt haben, wir könnten vielleicht auch davon leben."
Seit 1975 lebt Familie Mammel in Lauterach, einem kleinen Dorf am Südrand der Schwäbischen Alb. In der Nähe mündet das Flüsschen Lauter in die Donau. Woldemar Mammel sitzt am Schreibtisch in seinem großen Arbeitszimmer. Auf dem Fußboden liegen stapelweise Faxe und Papierausdrucke, fast alles sind Bestellungen für Alb-Linsen.
"Ja, wie das alles angefangen hat mit der Linse, das war eigentlich alles Zufall. Ich bin hier in der Wirtschaft g'sesse und hab mit ein paar Kollegen so überlegt: Was ist denn früher alles hier angebaut worden, und könnten wir net wieder alte Früchte auf dem Feld anbauen? Und etwas, was hier noch in bester Erinnerung war, des war die Leisgerscht. Das ist eine Mischung aus Linsen und Gerschte. Am Anfang hab ich gar net gewusst, was des für ein Wort ist. Was des bedeutet... Dass das also Linsen und Gerschte ist und nicht eine ganz spezielle Pflanze, die Leisgerscht."
Ideale Bedingen für den Anbau
So rau und steinig die Schwäbische Alb auch ist – mit ihrem wasserdurchlässigen Jurakalk-Gestein bietet sie ideale Bedingungen für den Linsenanbau. Scherbenfunde von der keltischen Heuneburg an der oberen Donau belegen, dass in dieser Gegend schon vor zweieinhalbtausend Jahren Linsen angebaut wurden. Im 19. Jahrhundert wuchsen sie im Königreich Württemberg noch auf mehreren Tausend Hektar. Und bis zum Zweiten Weltkrieg war die Hülsenfrucht für viele Kleinbauern auf der Schwäbischen Alb ein Grundnahrungsmittel – und wegen ihres hohen Eiweißgehalts ein besonders nahrhaftes.
"Was interessant ist, dass die Linsen in der Zeit, also während des Krieges bis 1945 und in den Jahren danach, bis zur Währungsreform. Dass die Linsen hier auf der Alb nicht nur zur Ernährung angebaut wurden, sondern auch als Tauschartikel, als Schwarzgeld. Man hat damit bezahlen können. Die Linsen sehen ja auch aus wie Münzen. Also ein Pfund Schmalz soll so wertvoll gewesen sein bei den Reutlinger Schwarzhändlern wie ein Pfund Linsen."
Doch auch wenn das schwäbische Nationalgericht unverändert "Linsen mit Spätzle" heißt – Ende der 50er Jahre ging der Linsenanbau auf der Alb zu Ende, weil er sehr viel Arbeit machte und vergleichsweise wenig Ertrag brachte.
Die Währungsreform 1948 hat dem Linsenanbau dann den Todesstoß gegeben. Man konnte plötzlich wieder alles kaufen, man konnte wieder Linsen kaufen und musste sich mit dieser mühsamen Arbeit nicht mehr abplagen.
Die Linse ist tatsächlich eine sehr anspruchsvolle Frucht, nicht nur, weil sie gemeinsam mit einer Stützfrucht angebaut werden muss. Während Getreide wie Hafer, Weizen oder Gerste auf den Feldern gleichmäßig abreifen, wächst die Linse – vor allem in regenreichen deutschen Sommern – und wächst und wächst. Zur Erntezeit sind die unteren Hülsen dann zwar reif, die in der Mitte aber noch grün und oben blüht die Linse weiter. Auch gedeihen Unkräuter – oder Ackerwildkräuter, wie sie im Öko-Landbau heißen – auf einem Linsenfeld geradezu wunderbar. Deshalb ist – nach dem Mähen und Dreschen der Ernte – das Trocknen und Reinigen sehr wichtig.
"Ich weiß halt noch, wenn man es verlesen hat aufm Tisch: jetzt muss man noch – jetzt mo mr no Leise vertläse. Oh."
Früher war das Verlesen der Linsensamen vor allem Kinderarbeit: Daran erinnert sich auch die bald 90-jährige Johanna Maier aus dem schwäbischen Inneringen noch gut. Ihre Familie hatte in dem kleinen Dorf auf der Albhochfläche zwischen Sigmaringen und Gammertingen einen Bauernhof. Und natürlich wurden jedes Frühjahr auch Linsen ausgesät.
"Wenn man es daheim gekocht hat, hat man am Tag vorher eine Schüssel von dem sauber zusammengefirbt ... gekehrt und hat das dann in der Stube mitten auf den Tisch geleert und alle sind drumrum gesessen und haben angefangen zu verlesen."
Ein Stunde dauerte es, die Linsen zu putzen
Mindestens eine Stunde lang saßen die vier Kinder dann mit ihren Eltern um den Wohnzimmertisch, um die Linsen für das Mittagessen am nächsten Tag zu säubern.
"Aber meistens hat man komische Gesichter gemacht, wenn die Mutter noch mal eins gebracht hat. Jetzt hat man doch gemeint, es sei aus. Und die Kinder haben gesagt: 'Dann wollen wir lieber keine Leise, wenn man sie noch verlesen muss.' Aber gut wared se."
In der hügeligen Landschaft des Unteren Lautertals fangen Woldemar Mammel und seine Frau Hildrun Mitte der 80er Jahre wieder mit dem Linsenanbau an. Mammels sind neugierig auf die ausgestorbenen Kulturpflanze – und außerdem mögen sie Linsen mit Spätzle so gern.
"Der Anbau ist ja vollkommen erloschen gewesen in ganz Deutschland. Kann man sich kaum vorstellen, dass so eine Pflanze, die für die Selbstversorgung ja sehr wichtig gewesen ist, hier auf der Alb, aber nicht nur auf der Alb, auch in Thüringen, Eifel, Saarland, im Hohenloheschen, in den Gäulandschaften zwischen Stuttgart und dem Schwarzwald zum Beispiel, dass die so völlig von der Bildfläche verschwinden kann."
Die Linsen in deutschen Lebensmittelläden stammen heute vor allem aus der Türkei und anderen Mittelmeerländern oder aus Kanada. Fast immer handelt es sich dabei um die großen Tellerlinsen, die früher einmal – ihrer Münzen ähnlichen Form wegen – auch Hellerlinsen hießen.
Die ersten Versuche machen die Mammels mit kleinen italienischen Berglinsen in ihrem Bauerngarten. Im nächsten Frühjahr säen sie sie dann schon auf dem Acker aus – auf einer Sähmaschinenbreite.
"Im Jahr darauf haben wir dann Saatgut aus Frankreich bekommen über den Bio-Großhandel und zwar diese kleine grüne marmorierte, die als Puy-Linse sehr bekannt ist. Seit dieser Zeit bauen wir diese Linse an, die war noch besser im Geschmack, noch ertragreicher. Und wir haben nicht eine Sähmaschinenbreite – nicht nur zwei Meter und 200 Meter lang – ausgesät, sondern gleich ein Drittel Hektar und im Jahr drauf ein ganzer Hektar."
"Alb-Leisa" heißen die Linsen auf Schwäbisch
In den 90er-Jahren vergrößern die Mammels kontinuierlich ihre Linsenanbaufläche und bauen auf dem Hof in Lauterach nach und nach eine funktionierende Linsen-Trocknung und -Reinigung auf. Die selbst geernteten Linsen zu den Spätzle schmecken hervorragend – und langsam spricht es sich herum, dass es im Hofladen bei Mammels wieder eigene Linsen zu kaufen gibt, französische zwar, aber doch auf der Schwäbischen Alb gewachsen.
2001 gründet Woldemar Mammel mit zehn weiteren Bauern aus der Umgebung die Öko-Erzeuger-Gemeinschaft "Alb-Leisa" – so heißen die Linsen im rauen Älbler Schwäbisch. Alle Mitglieder gehören einem ökologischen Anbauverband wie Bioland, Demeter oder Naturland an. Sie verwenden keine Pestizide, keinen Kunstdünger, und natürlich arbeiten sie ohne Gentechnik.
Auch Rose Weber baut Linsen im Lautertal an. Ein steiler kurvenreicher Weg führt von Bichishausen zu den oberhalb des Ortes liegenden Steighöfen.
"Ja, hallo",
Die Bäuerin ist eine lebhafte Frau mit kurzen braungrauen Haaren. Sie ist um die Fünfzig und hat als die Jüngste der Familie vor rund zehn Jahren den elterlichen Hof übernommen.
"Ja, also man kann nicht nur sagen, ich bau' Linsen an und de Herrgott lässt mr 'n guete Mann sein. Das stimmt nicht. Also es gehört schon eine gewisse Erfahrung dazu. Und ich muss persönlich sagen, jedes Jahr isch anders. Entweder stimmt's Wetter nicht oder ist der Unkrautdruck auf'm Acker sehr stark. Also so richtig sagen, top, das sind wirklich wenige Jahre."
Auch Rose Weber hat ihren Bauernhof im Jahr 2000, bald nach der Übernahme, auf ökologische Landwirtschaft umgestellt.
"Ich mach's auch aus Überzeugung. Also ich find, dieser Weg auf der Schwäbischen Alb, denke ich, ist ein sehr guter Weg. Ökologische Landwirtschaft, für kleine Betriebe, um zu überleben. Und – man lebt anders. Man lebt mit der Natur. Weil die Natur riecht im Frühling anders wie im Herbst. Und in der ökologischen Landwirtschaft ist es ganz arg wichtig, mit der Natur zu arbeiten."
Nur alle sieben Jahre auf demselben Acker
Das traditionelle Prinzip der Fruchtfolge, der Felderwirtschaft, spielt eine große Rolle im biologischen Landbau. Ihre Linsen baut Rose Weber deshalb nur alle sieben Jahre auf dem gleichen Acker an, um sie vor Pilzbefall und anderen Krankheiten zu schützen.
"Und natürlich passen Hülsenfrüchte, Leguminosen wunderbar in den Ökolandbau, weil sie in der Lage sind, Stickstoff aus der Luft zu binden durch die Knöllchenbakterien. Das heißt, sie können sich einen Teil ihrer Nährstoffe selber besorgen, vor allem den wichtigsten, den Stickstoff. Und da im Ökolandbau ja kein Kunstdünger erlaubt ist, ist das ne wertvolle Leistung einer Feldfrucht, die im Ökolandbau gern gesehen wird. Da passen Leguminosen auch in die Fruchtfolge rein. Da ist es bekannt, dass man damit eine Bodenverbesserung erreichen kann etc."
Doch was in der Erfolgsgeschichte des schwäbischen Linsenanbaus bis vor einigen Jahren noch fehlte, war eine traditionelle Sorte. Zuletzt wurde auf der Schwäbischen Alb vor allem die Linse des Züchters Fritz Späth aus Haigerloch angebaut, eine Züchtung aus den 30er-Jahren.
"Linsen mit Spätzle ist eine schwäbische Nationalspeise, isch klar. Da möchte man natürlich auch die eigenen Linsen im Griff haben, sozusagen. Späth hat dann erkannt, dass hier Verbesserungsbedarf da ist. Er hat Sorten gezüchtet, die – er hat selber behauptet – die auch frei stehen können, ohne Stützfrucht, was natürlich im Anbau nur in den wenigsten Jahren funktioniert hat. Und dann hat er auch noch zwei Sorten, die in sich unterschiedlich sind, gemacht, nämlich ne große und ne kleine Linse. Und kleinere Linsen haben einen höheren Schalenanteil und deshalb sind die aromatischer."
In landwirtschaftlichen Büchern aus den 50er-Jahren wird die Linse des Züchters Späth noch als eine der bedeutendsten Linsen in Deutschland aufgeführt. In den 60ern werden überhaupt keine Linsensorten mehr erwähnt.
Auch Woldemar Mammel suchte Jahre lang nach original schwäbischen Linsen. Doch aus dem Bundessortenregister waren sie lange schon gelöscht, und auch in der großen deutschen Saatgutbank Gatersleben wurden sie nicht archiviert. Im Jahr 2001 erklärte Woldemar Mammel Späths Linsen endgültig für ausgestorben.
"2006 hat mich dann der Klaus Lang aus Wolfegg angerufen, so ein Hobbysammler von alten Nutzpflanzen. Der hat gesagt, ja, seine Frau hätte da ein Päckle Linsen gekauft, und er möchte wissen, was das für ein Sorte ist? Weil er sammelt solche Sorten. Und wir haben über Sorten geredet, und ich hab ihm erzählt, dass es früher Späths Alb-Linse 1 und 2 gegeben hat. Und er hat gesagt, gut, wenn die nicht mehr da ist, dann sucht er mal danach. Und er hat mir dann nach einem dreiviertel Jahr gemailt, dass er die jetzt hat. Und ich hab gedacht, ha, des kann doch net sein."
Die älteste Saatgutbank der Welt
Im russischen St. Petersburg hütet das Wawilow-Institut einen der wichtigsten Pflanzen-Gen-Schätze der Erde. 1924 bereits wurde das Institut vom russischen Botaniker Nikolai Wawilow gegründet, der auf seinen Forschungsreisen Saatgut in allen Erdteilen sammelte. Und während die Linse des schwäbischen Züchters Späth nirgendwo in Deutschland erhalten blieb, überlebte sie im russischen Wawilow-Institut – in der ältesten Saatgutbank der Welt.
"Er war dann so erfolgreich, dass die ihm zwei kleine Tüten voll mit Linsen geschickt haben. Eine mit der Alblinse 1, eine mit der fälschlicherweise genannten Alpen-Linse, was dann doch sich als Späths Alblinse 2 sich rausgestellt hat. .Und wir haben dann im nächsten Frühjahr welche ausgesät davon. In Töpfen, im Gewächshaus und dann auch im Freiland. Und haben gesehen, die keimen ja wirklich. Und wir waren erstaunt, was da rausgekommen isch."
Fast alle der 350 Linsensamen aus dem fernen St. Petersburg gedeihen in diesem denkwürdigen Frühjahr 2007. Woldemar Mammel war bis dahin überhaupt noch nie in ein Flugzeug gestiegen. Für die wiedergefundenen schwäbischen Linsen macht er eine Ausnahme. Ende des Jahres fliegt er mit zehn weiteren schwäbischen Linsenbauern nach St. Petersburg.
"Und die Leute dort, der Direktor, die Abteilungsleiterin für Leguminosen, die ganzen Angestellten vom Wawilow-Institut waren ganz gerührt, dass Leute kommen, die net wieder nen Haufen Samen scheffeln wollen. Sondern, die nur wieder so zwei kleine Tüten mitnehmen könnten, wenn's koine Umständ macht (lacht). Und die ham wir auch gekriegt. Einfach nur gefeiert haben dann zusammen und uns bedankt haben."
Woldemar Mommel ist noch heute überwältigt von der herzlichen Aufnahme im Wawilow-Institut. Auch im Hinblick auf die schreckliche deutsch-russische Geschichte: St. Petersburg war während des zweiten Weltkriegs 900 Tage lang von der Wehrmacht eingeschlossen. Eine Million Menschen sind damals verhungert und nur den damaligen Wawilow-Mitarbeitern ist es zu verdanken, dass die Tonnen von akribisch archivierten Samen im Institut unangetastet blieben.
"Was wir immer gefragt worden sind nach dieser Reise: Was habt ihr zahlen müssen? Denn das war doch bestimmt nicht billig, diese Rarität zu bekommen (lacht)? Wir mussten keinen Pfennig, keinen Rubel, keinen Cent, nichts dafür bezahlen. Und waren auch selbst überrascht von dieser Einstellung dieser Wissenschaftler dort. Die diese Tradition von diesem Nikolai Wawilow weiterpflegen, der gesagt hat: Das, was er aus der Welt in dieses Institut hereingebracht hat in seinen fast hundert Reisen quer über alle Kontinente, das will er auch wieder in die Welt hinausgeben."
3000 Linsenzüchtungen in der Datenbank
Das St. Petersburger Wawilow-Institut ist noch heute die drittgrößte Genbank der Welt. Mit 340.000 verschiedenen Pflanzensorten im Saatgutarchiv – darunter allein 3000 Linsenzüchtungen. Um die Keimfähigkeit der Bestände zu erhalten, werden die Pflanzen alle sechs Jahre ausgesät und weiter vermehrt. Mit Gentechnologie hat eine Genbank allerdings nichts zu tun. Ganz im Gegenteil.
"Ja, ne Genbank, das ist im Prinzip wie ein Tresor. Nicht für Euros oder Silber oder Gold, sondern für den genetischen Code, für den biologischen Charakter einer Sorte. Und das soll sichergestellt werden, dass das erhalten bleibt. Gentechnik hingegen, das sagt eigentlich der Begriff Technik schon, die möchte mit technischen Mitteln diesen genetischen Code verändern. Vielleicht um eine Resistenz einzubauen gegenüber Schädlingen oder gegenüber bestimmten Spritzmitteln. Und in der Regel wird dabei auch nicht arteigener genetischer Code eingeführt. Das heißt, man überschreitet Artgrenzen. Und das ist etwas, was die Natur in der Regel nicht vorsieht."
Auch Professor Roman Lenz reist 2007 als Vertreter der Fachhochschule Nürtingen mit nach St. Petersburg. Nach der Wiederentdeckung von Späths Alb-Linsen unterstützt die Hochschule die Linsen-Bauern bei der Vermehrung der Linsensamen und forscht begleitend im Bereich Pflanzenbau.
"Und eine Frage war zum Beispiel, was sind geeignete Stützfrüchte, wie verhalten sich die Sorten im Unterschied zu anderen Sorten bezüglich Ertrag, Pflanzenkrankheiten. Also da sind dann Versuche gelaufen an der Hochschule. Bis hin zu jetzigen Untersuchungen: Gibt es vielleicht sogar Naturschutzleistungen, die der Linsenacker vollbringt? Hab ich dort vielleicht mehr Feldlerchen, Wachteln als im konventionellen reinen Getreideanbau?"
Mehrere Semester lang führen Nürtinger Studierende über die Linsenäcker Buch. Sie dokumentieren den Ackerwildkrautbestand, die vielen Insekten, die von den Wildkräutern leben – und die Vögel, die sich auf den Feldern einfinden, um die Insekten zu fressen.
"Und die Experimente haben ganz klar gezeigt, die Beobachtungen draußen, die systematischen, durch unsere Hochschule, dass tatsächlich die Linsenäcker von der Vogelbesatzdichte deutlich über der Umgebung liegen. Das könnte man sogar bis in Euros umrechnen, was für eine Naturschutzleistung des isch."
"Hier kommen die schweren Sachen, die Steine und des isch die Speiseware hier."
Bis ins Frühjahr hinein wird in Lauterach die Ernte des vergangenen Sommers getrocknet und gereinigt. Streng getrennt nach der kleinen grünmarmorierten Puy-Linse aus Frankreich, der etwas größeren Alblinse 1 und der Alblinse 2, genannt "Die Kleine".
"... und des Leichte rutscht einfach runter ..."
Linsen statt Entwicklungshilfe
In der großen Scheune des Mammel-Hofs stehen dicht an dicht und auf mehreren Etagen Trocknungssilos und Saatgutreinigungsmaschinen – darunter der Rundkornausleser, der alles heraus sortiert, was rundlich ist und Linsengröße hat – und der Tischausleser, der diese Auswahl dann nach Gewicht sortiert und die Linsen mit Hilfe eines Luftstroms von leichteren Hülsen und Schalen oder schwereren Steinchen trennt.
Auch Woldemar Mammels jüngerer Sohn Lutz ist 2008 ins Lauteracher Linsenunternehmen eingestiegen. Er ist um die 40 und hat die blauen Augen und das freundliche, schmale Gesicht seines Vaters.
"Ich hab Landwirtschaft studiert mit dem Gedanken, in der Entwicklungshilfe was zu machen. Deswegen hab ich in Kassel-Witzenhausen tropische und subtropische Landwirtschaft studiert. Und dachte daran, vielleicht in Zentralasien oder Südamerika Projekte mitzumachen. Da bin ich aber davon abgekommen, als mein Vater und mein Bruder hier jemanden gesucht haben, der den Bereich Linsen weiterführt. Und da dachte ich, bevor die mit dem Linsenanbau wieder aufhören, steig ich da mit ein."
600 Kilo Linsen pro Hektar
In den fünf Jahren, in denen Lutz Mammel für die Linsen-Erzeugergemeinschaft tätig ist, hat sich die Anbaufläche von 40 auf rund 250 Hektar vergrößert. Dabei rechnet man pro Hektar mit einem durchschnittlichen Ertrag von 600 Kilo Linsen pro Jahr. 70 Bio-Bauern bauen mittlerweile Alb-Linsen an.
"Ja, also die Landwirte sind alle von sich aus auf uns zugekommen. Und ham gesagt, können wir nicht auch mal Linsen für euch anbauen. Da haben wir keine offensive Werbung gemacht. Wir versuchen das natürlich so preislich zu gestalten, praktisch den Bauern so viel für ihre Ernte zu bezahlen, dass es ähnlich wirtschaftlich ist wie Speisegetreideanbau auf der gleichen Fläche."
Die Linsenäcker liegen mittlerweile über die ganze Schwäbische Alb verteilt. Die Erzeugergemeinschaft in Lauterach übernimmt die Trocknung und Reinigung der Ernte, danach folgen Verpacken und Verkauf.
"Ungefähr 80 Prozent der Linsen verschicken wir mit Paketdienst an die Läden und Gaststätten, die wir beliefern. Das sind zur Zeit fast 500 Läden. Das sind viele Bioläden und Reformhäuser, aber auch Mühlenläden, Hofläden, Feinkostläden, Marktstände. Und dazu beliefern wir noch um die 180 Gaststätten. Und diese Abnehmer liegen alle in Baden-Württemberg und im angrenzenden Bayern. Wir beschränken bisher das Liefergebiet auf diese Region, weil wir einfach nicht genügend Ware haben, um noch darüber hinaus in das weitere Deutschland oder nach Norddeutschland zu liefern."
Jedes Jahr sind die Linsen ausverkauft
Bisher waren die Alb-Linsen noch jedes Jahr spätestens im Mai ausverkauft. Und die Chancen stehen auch weiterhin nicht gut für Linsenfreunde außerhalb Baden-Württembergs und Bayerns.
"In unserem Einzugsbereich hier von der Erzeugergemeinschaft sind schon die meisten Verbands-Biobetriebe mit dabei. Und die Zahl wächst nur langsam. Und deshalb werden wir in der Zukunft nicht ganz so schnell weiter wachsen können wie jetzt die letzten Jahre."
Sagt's und sieht kein bisschen unglücklich darüber aus, der studierte Landwirt für tropische und subtropische Gefilde Lutz Mammel – eher knitzt zufrieden.
Für Woldemar Mammel ist die Alb-Linse allerdings noch viel mehr als ein regionales Geschmackserlebnis. Für ihn ist sie eine der Antworten auf die Frage, wie sich die rasant wachsende Weltbevölkerung mit preisgünstigem pflanzlichem Eiweiß versorgen kann.
"Diese beiden Eiweiße, das Getreideeiweiß und das Hülsenfruchteiweiß, speziell jetzt hier das Linseneiweiß ergänzen sich so gut, dass wenn man das in einem bestimmten Gewichtsverhältnis zu sich nimmt, dass dann ein mit tierischem Eiweiß vergleichbares Eiweiß zustande kommt. Das ergibt ein Eiweiß vergleichbar mit dem, das im Vollei vorhanden ist."
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