Schutzschild der Partei

Von Klaus Schroeder · 25.04.2006
Die PDS, die sich heute Linkspartei nennt und früher SED hieß, wird auch 16 Jahre nach dem Ende der DDR immer wieder von ihrer Vergangenheit eingeholt. Mandatsträger der PDS, sogar Bundestagsabgeordnete kommen in regelmäßigen Abständen wegen ihrer inoffiziellen Tätigkeit oder ihrer Zuarbeit für das MfS ins Gerede und werden deswegen von den anderen Parteien zum Mandatsverzicht aufgefordert.
Dem widersetzen sie sich mit Hilfe ihrer Partei mit immer gleichen Ausreden: Sie seien vom MfS ohne ihre ausdrückliche Zustimmung als Mitarbeiter geführt worden, sie hätten niemandem geschadet oder ihre Zusammenarbeit sei nur beruflich bedingt gewesen. Obschon die PDS Anfang der neunziger Jahre auf von der Stasi verübtes Unrecht hinwies, ohne freilich in ihrer Kritik konkret zu werden, steht sie im Einzelfall fast immer hinter früheren Spitzeln, wie sie auch die Anliegen ehemaliger hauptamtlicher MfS-Mitarbeiter unterstützt, wenn es zum Beispiel um deren Rente geht. Diese Doppelstrategie dient ihr zur Abgrenzung von den dunklen, das heißt für sie stalinistischen Seiten der DDR und damit gleichzeitig auch als geschichtspolitischer Schutz. Das stellt jedoch die damaligen Verhältnisse geradezu auf den Kopf.

Das 1950 gegründete Ministerium für Staatssicherheit war keineswegs wie heute oft behauptet – ein "Staat im Staate", sondern agierte auf Grundlage von Anweisungen der SED. Von der Kreis- über die Bezirks- bis zur zentralen Ebene zeichnete der jeweilige leitende Sekretär der SED für das MfS verantwortlich und war weisungsbefugt. Die Stasi war "Schild und Schwert der Partei" und nicht einmal formal dem Ministerrat untergeordnet. Sie verfügte nicht über nennenswerte Spielräume für eigenständiges Handeln jenseits der Richtlinien der SED. Gleichwohl musste sie mehrmals den Sündenbock für die SED-Führung spielen, so zum Beispiel nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953.

Wie sehr die SED das Volk fürchtete, wird an dem gigantischen personellen Umfang dieses Spitzel- und Überwachungsapparates deutlich: Zum Ende der DDR arbeiteten über 90.000 Personen hauptamtlich und etwa 180.000 inoffiziell dort, so dass auf 62 DDR-Bewohner ein MfS-Mitarbeiter kam. Weitere Sicherheitskräfte inklusive freiwilliger Helfer komplettierten das Netz – Weltrekord verdächtiger – nahezu flächendeckender Überwachung im Arbeiter- und Bauernstaat. Nach Schätzungen haben in den 40 Jahren der DDR-Existenz etwa 600.000 Personen für das MfS inoffiziell gespitzelt. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass es für die meisten überzeugten Realsozialisten seinerzeit nicht verwerflich war, mit dem MfS zum Schutz der DDR und des Sozialismus zusammenzuarbeiten. Was heute gemeinhin als schäbiges Verhalten gilt, erfüllte damals nicht wenige mit Stolz.

Da die Linkspartei unter ihren Mitgliedern und Wählern viele ehemalige hauptamtliche und inoffizielle Stasi-Mitarbeiter hat und sie gleichzeitig als SED für diesen Überwachungsapparat die Verantwortung trug, möchte die PDS das Thema am liebsten aus der öffentlichen Debatte verdammen. Ehemalige Stasi-Offiziere, die sich nun auch von ihren ehemaligen IM in der PDS an den Rand gedrängt fühlen, beharren dagegen auf der Anerkennung ihrer Arbeit im Auftrag der SED. Im Nachhinein fühlen sich viele von ihnen sogar von der SED seinerzeit und der PDS heute missbraucht. Gleichwohl betonen sie mangels Alternativen ihre kritische Verbundenheit mit den "demokratischen Sozialisten" und versuchen, über die Kommunistische Plattform und andere ihnen gegenüber loyalen Kräften massiv in die parteiinterne Meinungsbildung hineinzuwirken. Ihre Interessen- und Freundschaftsverbände arbeiten zudem in von der PDS finanzierten Netzwerken mit.

In ihrem Bestreben, die Stasi-Problematik auszublenden, erhält die PDS sogar prominente Unterstützung von sozialdemokratischer Seite. So erklärten neben anderen Egon Bahr und Günter Grass als Mitglieder des an der Schnittstelle zwischen SPD und PDS angesiedelten Willy-Brandt-Kreises, dass Stasi-Akten und Birthler-Behörde ein einseitiges Bild über die DDR vermitteln und das Ausmaß der Bespitzelung ihrer Bewohner übertreiben würden. Da zugleich emanzipatorische Elemente in der DDR, aber auch Aspekte der – wie sie sagen – bundesdeutschen Repressionsgeschichte ausgeblendet würden, entstehe ein falsches Gesamtbild der deutschen Teilungsgeschichte.

Woran es der PDS nicht nur in ihrem Verhältnis zur Stasi und bei der Aufarbeitung der DDR-Geschichte mangelt, hat sie kürzlich in der Kontroverse um eine Kuba-Resolution des Europaparlaments bewiesen, der auch drei ihrer Europaparlamentarier zugestimmt hatten. Der Parteivorstand distanzierte sich einstimmig von den Forderungen nach uneingeschränkter Achtung der Grundfreiheiten, insbesondere der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, sowie nach pluralistischer Demokratie in Castros karibischem Urlaubsparadies. Indem die Parteiführung zudem statt auf die Unteilbarkeit auf die Widersprüche von Menschenrechten hinwies, offenbarte sie ihr letztlich instrumentelles Verständnis von Freiheit und Demokratie.

Der 1949 in Lübeck geborene Klaus Schroeder lehrt an der Freien Universität Berlin Politische Wissenschaft. Der habilitierte Sozialwissenschaftler leitet an der FU den Forschungsverbund SED-Staat und die Arbeitstelle Politik und Technik. Letzte Veröffentlichungen: "Der SED-Staat. Partei und Gesellschaft 1949 - 1990", Hanser-Verlag, München 1998; "Der Preis der Einheit. Eine Bilanz", Hanser-Verlag, München 2000, "Rechtsextremismus und Jugendgewalt in Deutschland. Ein Ost-West-Vergleich", Schöningh-Verlag, Paderborn 2004.