Schussbereite Selbstherrlichkeit
Es ist eine frustrierende Realität: Die USA verstehen sich durch viele ihrer Repräsentanten als das auserwählte Volk Gottes. In "Mission und Verführung" verfolgt der US-Theologe Robert Jewett mit dem deutschen Lehrer Ole Wangerin "Amerikas religiösen Weg in vier Jahrhunderten". Die Autoren konzentrieren sich auf die misslichen Folgen des "missionarisch eifernden Nationalismus".
Heute sind die USA ein religiöser Flickenteppich sondergleichen – gezählt werden rund 2300 Gruppierungen diverser Bekenntnisse. Schon an der Besiedlung der Ostküste im frühen 17. Jahrhundert nahmen Baptisten, Quäker, Hugenotten, Mennoniten, Herrnhuter, Anglikaner und viele andere teil. Vor diesem Hintergrund stellen Robert Jewett und Ole Wangerin in ihrem Buch "Mission und Verführung" zunächst die maßgeblichen Glaubensrichtungen des kolonialen Amerikas vor.
Sie verschweigen nicht, dass religiöse Toleranz und Friedensutopien ein uramerikanisches Erbe sind. Einflussreicher war indessen die apokalyptische Weltsicht der Puritaner, die in der Naherwartung des Reiches Gottes lebten. Obwohl ihr theokratisches Experiment scheiterte, wurde der (End-)Kampf des Guten gegen das Böse nach dem Drehbuch der Offenbarung zum zentralen Motiv der amerikanischen Zivilreligion.
Der Endzeitglaube trieb auch säkulare Blüten. Wer nicht das Gottesreich erwartete, glaubte an ein goldenes Zeitalter auf Erden – natürlich unter dem Sternenbanner. "Unsere reine, tugendhafte, föderative Republik wird auf ewig Bestand haben, den Globus beherrschen und die Vollendung der Menschheit einleiten", frohlockte John Adams, zweiter US-Präsident, im Jahr 1813. Der Tonfall solcher Zitate verweist suggestiv auf die Gegenwart.
Wer die früheren Belobigungen von Amerikas Einzigartigkeit liest, der hört unwillkürlich Ronald Reagan, George W. Bush und andere mit. Es ist ein Vedienst von "Mission und Verführung", die Kontinuität der Auserwähltheitsrhetorik präzise nachzuzeichnen. Die Beweislage ist erdrückend: Wenn amerikanische Politiker religiöse Metaphern verwenden, ist das ebenso wenig Zierwerk wie die Bomben, die bisweilen den Reden nachfolgen.
Jewett und Wangerin porträtieren die großen Prediger der Erweckungsbewegungen (Great Awakening) im 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts. Theologisch bewandert unterscheiden sie post- und prämillennistische Strömungen, charakterisieren den Französisch-Indianischen, den Unabhängigkeits-, selbst den Zweiten Weltkrieg als Religionskriege, zeigen die Entstehung des modernen Fundamentalismus und fragen:
"Das amerikanische Christentum – Eine Gefahr für die Welt?"
Bedrohlich erscheint, dass manche Fundamentalisten glauben, dem Friedensreich Gottes werde unabänderlich ein Endkampf vorausgehen, weshalb ihnen immer tiefere Verstrickungen der US-Streitkräfte im Nahen Osten und selbst ein Atom-Angriff auf den Iran wünschenswert erscheinen. Gegen solchen religiösen Idealismus setzen die Autoren den "prophetischen Realismus" in der Tradition Abraham Lincolns und Martin Luthers Kings: die Erlösung der Welt durch friedliches Miteinander und Herrschaft des Rechts.
Bei der Aufbereitung des gewaltigen Stoffs gehen Jewett und Wangerin zuweilen stilistische und kompositorische Kompromisse ein. Man sieht es ihnen nach, denn der Ertrag ist hoch. Die religiösen Elemente und Ursprünge des amerikanischen Selbstbewusstseins werden mit der Realgeschichte verzahnt, der Zusammenhang von Theologie und Krieg tritt offen zutage. Nach der Lektüre von "Mission und Verführung" fürchtet man, von der Fortsetzung der Geschichte des gefährlichen Glaubens demnächst in den Nachrichten zu hören.
Rezensiert von Arno Orzessek
Robert Jewett / Ole Wangerin: Mission und Verführung, Amerikas religiöser Weg in vier Jahrhunderten
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2008
340 Seiten, gebunden, 34,90 Euro
Sie verschweigen nicht, dass religiöse Toleranz und Friedensutopien ein uramerikanisches Erbe sind. Einflussreicher war indessen die apokalyptische Weltsicht der Puritaner, die in der Naherwartung des Reiches Gottes lebten. Obwohl ihr theokratisches Experiment scheiterte, wurde der (End-)Kampf des Guten gegen das Böse nach dem Drehbuch der Offenbarung zum zentralen Motiv der amerikanischen Zivilreligion.
Der Endzeitglaube trieb auch säkulare Blüten. Wer nicht das Gottesreich erwartete, glaubte an ein goldenes Zeitalter auf Erden – natürlich unter dem Sternenbanner. "Unsere reine, tugendhafte, föderative Republik wird auf ewig Bestand haben, den Globus beherrschen und die Vollendung der Menschheit einleiten", frohlockte John Adams, zweiter US-Präsident, im Jahr 1813. Der Tonfall solcher Zitate verweist suggestiv auf die Gegenwart.
Wer die früheren Belobigungen von Amerikas Einzigartigkeit liest, der hört unwillkürlich Ronald Reagan, George W. Bush und andere mit. Es ist ein Vedienst von "Mission und Verführung", die Kontinuität der Auserwähltheitsrhetorik präzise nachzuzeichnen. Die Beweislage ist erdrückend: Wenn amerikanische Politiker religiöse Metaphern verwenden, ist das ebenso wenig Zierwerk wie die Bomben, die bisweilen den Reden nachfolgen.
Jewett und Wangerin porträtieren die großen Prediger der Erweckungsbewegungen (Great Awakening) im 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts. Theologisch bewandert unterscheiden sie post- und prämillennistische Strömungen, charakterisieren den Französisch-Indianischen, den Unabhängigkeits-, selbst den Zweiten Weltkrieg als Religionskriege, zeigen die Entstehung des modernen Fundamentalismus und fragen:
"Das amerikanische Christentum – Eine Gefahr für die Welt?"
Bedrohlich erscheint, dass manche Fundamentalisten glauben, dem Friedensreich Gottes werde unabänderlich ein Endkampf vorausgehen, weshalb ihnen immer tiefere Verstrickungen der US-Streitkräfte im Nahen Osten und selbst ein Atom-Angriff auf den Iran wünschenswert erscheinen. Gegen solchen religiösen Idealismus setzen die Autoren den "prophetischen Realismus" in der Tradition Abraham Lincolns und Martin Luthers Kings: die Erlösung der Welt durch friedliches Miteinander und Herrschaft des Rechts.
Bei der Aufbereitung des gewaltigen Stoffs gehen Jewett und Wangerin zuweilen stilistische und kompositorische Kompromisse ein. Man sieht es ihnen nach, denn der Ertrag ist hoch. Die religiösen Elemente und Ursprünge des amerikanischen Selbstbewusstseins werden mit der Realgeschichte verzahnt, der Zusammenhang von Theologie und Krieg tritt offen zutage. Nach der Lektüre von "Mission und Verführung" fürchtet man, von der Fortsetzung der Geschichte des gefährlichen Glaubens demnächst in den Nachrichten zu hören.
Rezensiert von Arno Orzessek
Robert Jewett / Ole Wangerin: Mission und Verführung, Amerikas religiöser Weg in vier Jahrhunderten
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2008
340 Seiten, gebunden, 34,90 Euro