Schulfach Geld
Statt Geld haben sie Schulden. Jeder zehnte Jugendliche sitzt in der Schuldenfalle. Und so kommt schon mal die Schuldnerberaterin in die Schule. Um aufzuklären, rechtzeitig aufzuklären - jedenfalls in Berlin. Dort läuft das Pilotprojekt "Geldkunde", wird der richtige Umgang mit Geld unterrichtet. Denn nur Zinsrechnung im Mathe-Unterricht reicht nicht für das ganze Leben.
"Es gibt ja ganz viele Menschen, die Schulden haben. Das muss ja nicht sofort ein Problem sein. Aber wenn es eine bestimmte Grenze erreicht, das heißt, die Leute können langfristig ihre Verbindlichkeiten nicht begleichen, dann kann ne Situation eintreten, wo man von Überschuldung spricht. Gründe dafür: Arbeitslosigkeit – steht ganz oben!"
Tafel, Taschenrechner und Tabelle. Berlin-Charlottenburg-Wilmersdorf, in der Peter-Ustinov-Overschule. Bettina Heine von der Schuldnerberatung des Diakonischen Werks klärt anhand von Modellrechnungen über Finanzlöcher auf, die junge Menschen in Not bringen können.
"Und genau diese Situation hab ich zum Anlass genommen, so ein kleines Spiel für Sie zu entwickeln, das nenne ich das Was-was-kostet-Spiel. Das ist ein so genanntes Haushaltsplanspiel und da geht’s darum, dass Sie sich in die Situation versetzen: erster eigener Haushalt. Sie sind gefragt bei den so genannten Fixkosten."
Die Teilnehmer des Was-Was-Kostet-Spiels: 14-, 15-jährige Schüler, die bereits eigene Erfahrungen mit Kaufrausch, Geldmangel und Schulden gemacht haben. Auch Extrem-Erfahrungen.
"Ja, ich hatte mal eine hohe Handyrechnung, als ich noch Vertrag hatte. Da hab ich immer alle meine Freunde telefonieren lassen, hatte ich glaub ich 600 Euro oder so Handyrechnung. Dann hat meine Mutter mir auch weggenommen."
Die 14-Jährige Roxy etwa überschlägt nur selten, was sie sich leisten kann und was nicht. Denn Geld zum Ausgeben ist immer da.
"Also eigentlich hab ich das ja nicht ausgegeben, ich geb' nie Geld irgendwie aus. Also … doch schon! Eigentlich geben immer Leute nur für mich ihr Geld aus. Also meine Mutter hat schon Geld ausgeben viel für meine Schuhe. So ne italienischen Stöckelschuhe habe ich ganz viele. Ich hab schon voll viele Schulden. Also so bei meinen Eltern und bei meinen Freunden und bei meinen Geschwistern hab ich ganz viele Schulden. Ich krieg das immer nur mit, wenn irgendjemand zu mir kommt und sagt: Jaja Roxy, du schuldest mir noch dies und das. ich weiß nicht, wie viel Schulden ich noch hab."
Und Klassenkamerad John Kevin, ein türkischstämmiger Schüler, kann sich an Imbiss-Stuben nicht zurückhalten.
"Auf jeden Fall Döner. Sind zwei Monate jeden Tag mal essen gegangen, weil wir sehr oft Döner essen. Dann summiert sich das ganz schön – also gehen schon mal so 50 Euro drauf oder so. Und dann geht schon gut Geld weg."
"Also Stromverbrauch kann man steuern. Hier noch mal die Frage: Was schätzen Sie, wie viel an Stromkosten man im Monat für einen Ein-Personen-Haushalt einplanen muss? Alle ausgefüllt?"
Bettina Heine, die Expertin vom Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg, hat Broschüren, Spiele und Unterrichtsmodule zum Thema Umgang mit Geld entwickelt. Mit dem Material klingelt sie von sich aus bei Schulen an, um vor Klassen sprechen zu können.
"Aus den Beratungsstellen, Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen in Berlin machen wir die Erfahrung, dass die Verschuldung oder Überschuldung ein Thema auch bei jungen Erwachsenen ist und um diese Situation vorzubereiten beziehungsweise vorzubeugen ist es sinnvoll, dieses Thema in der Schule zu behandeln."
Die Fachfrau vom kirchlichen Krisendienst klagt, viele Heranwachsende hätten niemals gezeigt bekommen, Ein- und Ausgaben aufzuschreiben, über längere Zeit für ein Produkt zu sparen, zwischen wichtigen und unwichtigen Anschaffungen zu unterscheiden oder einfach mal zu verzichten.
"Zum einen liegt's natürlich am Elternhaus. Wenn die Eltern selber in finanziellen Angelegenheiten überfordert sind, das nicht offen legen in der Familie, also über Geld nicht gesprochen wird. Kreditaufnahme oder Verschuldung schon im Elternhaus immer Thema war, fällt's natürlich den Jugendlichen aus diesem Muster auszubrechen. Das heißt, in der Schule ist oft der einzige Raum, wo das flächendeckend ne Chance hat, dass sie an das Thema heran geführt werden und auch einen Raum haben, wo sie das spielerisch einüben können."
"Also ich red also gar nicht über Geld so außer es betrifft mich, außer ich möchte irgend etwa haben. Sonst nicht."
Roxy etwa hat niemals Taschengeld bekommen von ihrer Mutter. Noch nie hatte die 14-Jährige ein eigenes, kleines Budget zu verwalten.
"Ja, ich will gar kein festes Taschengeld. Weil dann könnte sie das besser einschätzen, was ich kriege. Sonst kann ich immer hingehen und sagen: Gib mal bitte noch ein bisschen!"
Die Experten wissen: Viele Eltern fühlen sich überfordert bei der Erziehung in Geldfragen. Entweder haben sie selbst nie gelernt, eine Haushaltskasse zu führen oder sie wollen keinen Stress mit den heranwachsenden Kindern. Eine Berliner Krankenschwester, die ihren anonym bleiben will, gesteht: Sie habe einen hoch verschuldeten 22-jährigen Sohn, der jahrelang auf Pump einkaufen durfte.
"Ich hab mich da nicht so direkt eingemischt, nee. Aber wenn Jugendliche in einer bestimmten Clique sind, dann machen sie eben das, was da aktuell ist und nicht, was die Eltern da sagen. Ich hab was gesagt, aber ich hab nicht viel erreicht – sagen wir mal so."
Für die 45-jährige Mutter aus Berlin-Marzahn kam das böse Erwachen, als die Inkasso-Briefe und Gerichts-bescheide im Briefkasten des Sohnes überhand nahmen. Aber da war es bereits zu spät.
"Mein Sohn hat mich gebeten, ihm Geld zu geben, ihm was zu Essen zu kaufen oder eben mit ihm einkaufen zu gehen, dass er nicht verhungern muss. Und da wir nicht mehr zusammen wohnen hab ich das eigentlich nicht so mitbekommen, dass es so krass ist. Und im Prinzip musste ich ihn noch mit durchfüttern, dass er überhaupt hier leben kann."
"So, interessant jetzt die Haftpflichtversicherung. Was schätzen Sie, sind die monatlichen Kosten für die Haftpflichtversicherung/20!/60 würden Sie für eine Haftpflichtversicherung ausgeben?/100!/ 100 Euro – also interessante Ergebnisse und sehr weit auseinander! Wir haben einen mittleren monatlichen Preis für einen 20 Jahre alten Single ermittelt unter zehn Online-Angeboten: sind 5,80 Euro! Mehr darf das im Monat nicht kosten!"
Wenn die Eltern versagen und die Schule dies wettmachen soll – reichen dann einzelne Pilotprojekte aus? Muss "Geldkunde" dann nicht zu einem eigenen, regulären Unterrichtsfach werden? Der Berliner Landesschulrat Hans-Jürgen Pokall schüttelt den Kopf.
"Ich halte von diesen einzelnen Fächerkategorisierungen nicht viel. Sondern ich meine, wir müssen einen lebensnahen Unterricht in der Schule gestalten, der Schülerinnen und Schüler so anspricht, dass sie sich auch angenommen fühlen in ihrer heutigen Situation. Und deshalb müssen solche Dinge im Unterricht gemacht werden, aber nicht in einem eigenen Fach."
Der Vertreter der Berliner Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport verweist darauf, dass in vielen Unterrichtsfächern wie Arbeitslehre, Sozialkunde oder Wirtschaft bereits über Finanzen gesprochen wird.
"Also der heimliche Lehrplan zum Beispiel des Mathematikunterrichtes ist ja in vielen Fällen das Lehrbuch. Und wenn Sie in ein solches Buch hineinschauen und sich die Aufgabensammlung einmal ansehen, dann sehen Sie natürlich da vielfältige Dinge, die mit Geld zu tun haben. Und Sie sehen natürlich auch vielfältige Dinge, die mit einem rationalen Wirtschaften der handelnden Personen einhergehen sollen. Und da ist es ganz selbstverständlich, dass das natürlich auch Gegenstand des Unterrichts ist. Da wird nicht einfach an der Tafel von oben nach unten durchgerechnet, sondern da wird über den Text gesprochen."
Das Problem: Der Lehrplan für die jeweiligen Fächer enthält nur Empfehlungen, letztlich bleibt es dem jeweiligen Lehrer überlassen, ob er tatsächlich mit den Schülern über Geld redet. Bettina Heine von der Schuldner- und Insolvenzberatung des Diakonischen Werks beobachtet außerdem, dass die Verschuldungsproblematik für die Pädagogen häufig eine völlig fremde Materie ist.
"Bei Lehrern ist es oft so, dass die in einem andern finanziellen Rahmen auch schon leben und ihre Lebenswelt haben und unter Umständen gar nicht so sich so mit diesen Themen befassen."
Während an der Spree die schulische Geldkunde noch in den Kinderschuhen steckt - und nur vom Diakonischen Werk als eigene Unterrichtseinheit angeboten wird - ist man da am Rhein schon weiter. Alexander Schink, Staatssekretär Im Nordrhein-Westfälischen Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft und Verbraucherschutz berichtet, in seinem Bundesland habe sich ein breites Netzwerk gegründet, das bereits an den Grundschulen aktiv ist.
"In diesem Netzwerk haben sich Lehrer und Erzieher und andere zusammengetan und haben für die Grundschulkinder Module entwickelt. Die heißen: Money and Kids, Moky abgekürzt. Und bei diesen Modulen geht es darum, dass spielerisch erlernt werden kann, mit Geld umzugehen. Es gibt da verschiedene Bereiche. Das eine heißt Wünsche und Bedürfnisse, das Zweite Taschengeld, das Dritte 'Das Geld in der Familie', das Vierte 'Kreislauf des Geldes' und das Fünfte Werbung. Und so glauben wir, dass wir jedenfalls in der Grundschule mit diesen Modulen den Kindern schon sehr früh mitgeben, was Geld bedeutet."
Das Land Nordrhein-Westfalen unterstützt außerdem ein Geldkunde-Projekt für 14-, 15-jährige Schüler. Mit einem Riesenerfolg.
"Der Bedarf ist da. Das Projekt heißt 'Alles im Griff'. Wir hatten ursprünglich gedacht, dass wir 500 Unterrichtseinheiten dazu durchführen wollten. Es haben sich aber 1043 Schulklassen in 275 Schulen und deshalb haben wir das Projekt so aufgestockt, dass wir nun 1000 Unterrichtseinheiten machen können und dafür auch die finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt."
Schüler: "Seine eigene Bude zu haben, selbständig und unabhängig zu sein, das ist ziemlich cool, findet Andy. Wenn da nicht nur die ganzen Kosten wären. Die Kosten, die jeden Monat regelmäßig anfallen – egal, was passiert – nennt man Fixkosten."
In Berlin muss Einzelkämpferin Bettina Heine dagegen bei Sponsoren aus der Wirtschaft um Almosen bitten für ihr vierstündiges Unterrichtsprojekt. Denn von der Landesregierung bekommt sie kein Geld.
"Sie müssen sehr stark Klinken putzen und Überzeugungsarbeit leisten. Das ist wohl wahr. Und das kostet auch viel Energie, die vielleicht hier besser eingesetzt wäre, wenn sich das etwas einfacher gestalten würde."
Heine stößt in der Wirtschaft auf viel Ablehnung. Kaum ein Berliner Unternehmen ist bereit, ein Projekt zu unterstützen, das Jugendliche vom Geldausgeben abhält.
"Gerade das Thema Schuldner- und Insolvenzberatung, da geht's immer um Negativimage. Also das ist ja erstmal negativ belegt. Das heißt, für ein Haus ist es schwierig, sich dazu zu bekennen, dass es vielleicht Mitverursacher von Verschuldungsproblemen ist und damit dann auch noch Werbung zu machen. Aber die Verursacher einfach mit ins Boot zu holen ist, denke ich, ein sinnvoller Weg, Aufklärung zu machen und allen ne Chance zu geben."
Umfrage unter Jugendliche:
"Markensachen sehen viel schöner aus als markenlose Sachen."
"Mit einer Marke kann man wenigstens angeben, da musst du dir ein Beispiel dran nehmen."
"Weil die gut aussehen!"
"So kriegt man Mädchens ab, so wie ich aussehe. Mädchen!"
Die Schuldner- und Insolvenzberater kritisieren: Die Firmen steckten ihr Geld nicht in Aufklärungskampagnen, sondern lieber in Werbung, um bei den Teenagern den Konsum anzukurbeln. Und die geballte Fernseh-, Kino-, und Zeitungswerbung führe bei den Jugendlichen zu einem regelrechten Kauf- und Markenzwang.
"Markenzwang – Konsum bei Jugendlichen, bei jungen Erwachsenen spielt im Bereich Selbstbewusstsein eine große Rolle. Das heißt bei Jugendlichen, wo das Selbstbewusstsein nicht so stark ausgeprägt ist, neigen die oft dazu auf solche Markenartikel zurückzugreifen, um Anerkennung zu bekommen. Das ist ne Gefahr, zu der wir Erwachsenen auch greifen, aber bei jungen Menschen, da geht’s oft in Extreme, dass dann eben nur noch teure Produkte überhaupt im Leben ne Rolle spielen. Und dass das eben nicht im Verhältnis zu ihrem Budget steht."
Umfrage:
"Ein T-Shirt, eine Hose – Dolce Gabbana"
"Adidas-Fitness-Tasche"
"Nike-Schuhe, weiße Nike-Schuhe, weiße Nike-Socken"
"Fielmann-Brille"
"Nike-Käppi"
"Reebok"
"Slip: Dolce Gabbana"
"Alles, was halt geil aussieht!"
Besonders bizarr: Die Unternehmen dürfen sogar – indirekt - an den Berliner Schulen werben – ganz offiziell. Da es zu wenig Unterrichtsmaterial zum Thema Finanzen und Haushalten gibt, greifen Lehrer etwa gerne auf Handreichungen von Banken zurück. Für Landeschurrat Hans-Jürgen Pokall kein Problem.
"Also das sehen wir heute nicht mehr ganz so eng. Wenn da irgendwo das Logo einer Bank drauf steht, wichtig ist nur, dass damit nicht durch Lehrerinnen und Lehrer damit einseitige Indoktrination betrieben wird, sondern dass natürlich die Pluralität gewährleistet ist. Man kann aber auch auf die besondere Situation hinweisen, wenn man ein solches Material verwendet, dass das natürlich ein Material eines Unternehmens ist und nicht in dem Sinne in allen Punkten etwa nur der Objektivität verpflichtet ist, sondern auch natürlich dem Interesse des jeweiligen Unternehmens."
"So! Wenn man diese Werte zusammen rechnet, sind wir bei 496 Euro und 38. Und wer von unseren Mitspielern ist damit am nächsten an dieser Auflösung dran? / Jelena!/Wow! Der Gewinner ist Jelena. Applaus!"
Bettina Heine von der Schuldner- und Insolvenzberatung des Diakonischen Werkes gibt nicht auf. Die große Resonanz der Schüler motiviert sie, ihr Geldkunde-Projekt weiter an der Berliner Schulen anzubieten. Auch wenn es nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist, bilanziert sie.
"Ich nenne da immer Zahnprophylaxe. Auch wenn's jetzt komisch klingt: Über Zahnprophylaxe hat man es geschafft, dass die Kinder oder die Jugendlichen bessere Zähne bekommen. Genauso kann man es im Umgang mit Geld machen. Also wir haben Zahlen von überschuldeten Haushalten, die Böses erahnen lassen. Und es wird allerhöchste Zeit, in dem Bereich mehr Prävention anzubieten, dass einfach auch junge Menschen wissen, was es bedeutet, seine finanzielle Bonität aufs Spiel zu setzen, beispielsweise nur für ein Konsumgut."
Tafel, Taschenrechner und Tabelle. Berlin-Charlottenburg-Wilmersdorf, in der Peter-Ustinov-Overschule. Bettina Heine von der Schuldnerberatung des Diakonischen Werks klärt anhand von Modellrechnungen über Finanzlöcher auf, die junge Menschen in Not bringen können.
"Und genau diese Situation hab ich zum Anlass genommen, so ein kleines Spiel für Sie zu entwickeln, das nenne ich das Was-was-kostet-Spiel. Das ist ein so genanntes Haushaltsplanspiel und da geht’s darum, dass Sie sich in die Situation versetzen: erster eigener Haushalt. Sie sind gefragt bei den so genannten Fixkosten."
Die Teilnehmer des Was-Was-Kostet-Spiels: 14-, 15-jährige Schüler, die bereits eigene Erfahrungen mit Kaufrausch, Geldmangel und Schulden gemacht haben. Auch Extrem-Erfahrungen.
"Ja, ich hatte mal eine hohe Handyrechnung, als ich noch Vertrag hatte. Da hab ich immer alle meine Freunde telefonieren lassen, hatte ich glaub ich 600 Euro oder so Handyrechnung. Dann hat meine Mutter mir auch weggenommen."
Die 14-Jährige Roxy etwa überschlägt nur selten, was sie sich leisten kann und was nicht. Denn Geld zum Ausgeben ist immer da.
"Also eigentlich hab ich das ja nicht ausgegeben, ich geb' nie Geld irgendwie aus. Also … doch schon! Eigentlich geben immer Leute nur für mich ihr Geld aus. Also meine Mutter hat schon Geld ausgeben viel für meine Schuhe. So ne italienischen Stöckelschuhe habe ich ganz viele. Ich hab schon voll viele Schulden. Also so bei meinen Eltern und bei meinen Freunden und bei meinen Geschwistern hab ich ganz viele Schulden. Ich krieg das immer nur mit, wenn irgendjemand zu mir kommt und sagt: Jaja Roxy, du schuldest mir noch dies und das. ich weiß nicht, wie viel Schulden ich noch hab."
Und Klassenkamerad John Kevin, ein türkischstämmiger Schüler, kann sich an Imbiss-Stuben nicht zurückhalten.
"Auf jeden Fall Döner. Sind zwei Monate jeden Tag mal essen gegangen, weil wir sehr oft Döner essen. Dann summiert sich das ganz schön – also gehen schon mal so 50 Euro drauf oder so. Und dann geht schon gut Geld weg."
"Also Stromverbrauch kann man steuern. Hier noch mal die Frage: Was schätzen Sie, wie viel an Stromkosten man im Monat für einen Ein-Personen-Haushalt einplanen muss? Alle ausgefüllt?"
Bettina Heine, die Expertin vom Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg, hat Broschüren, Spiele und Unterrichtsmodule zum Thema Umgang mit Geld entwickelt. Mit dem Material klingelt sie von sich aus bei Schulen an, um vor Klassen sprechen zu können.
"Aus den Beratungsstellen, Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen in Berlin machen wir die Erfahrung, dass die Verschuldung oder Überschuldung ein Thema auch bei jungen Erwachsenen ist und um diese Situation vorzubereiten beziehungsweise vorzubeugen ist es sinnvoll, dieses Thema in der Schule zu behandeln."
Die Fachfrau vom kirchlichen Krisendienst klagt, viele Heranwachsende hätten niemals gezeigt bekommen, Ein- und Ausgaben aufzuschreiben, über längere Zeit für ein Produkt zu sparen, zwischen wichtigen und unwichtigen Anschaffungen zu unterscheiden oder einfach mal zu verzichten.
"Zum einen liegt's natürlich am Elternhaus. Wenn die Eltern selber in finanziellen Angelegenheiten überfordert sind, das nicht offen legen in der Familie, also über Geld nicht gesprochen wird. Kreditaufnahme oder Verschuldung schon im Elternhaus immer Thema war, fällt's natürlich den Jugendlichen aus diesem Muster auszubrechen. Das heißt, in der Schule ist oft der einzige Raum, wo das flächendeckend ne Chance hat, dass sie an das Thema heran geführt werden und auch einen Raum haben, wo sie das spielerisch einüben können."
"Also ich red also gar nicht über Geld so außer es betrifft mich, außer ich möchte irgend etwa haben. Sonst nicht."
Roxy etwa hat niemals Taschengeld bekommen von ihrer Mutter. Noch nie hatte die 14-Jährige ein eigenes, kleines Budget zu verwalten.
"Ja, ich will gar kein festes Taschengeld. Weil dann könnte sie das besser einschätzen, was ich kriege. Sonst kann ich immer hingehen und sagen: Gib mal bitte noch ein bisschen!"
Die Experten wissen: Viele Eltern fühlen sich überfordert bei der Erziehung in Geldfragen. Entweder haben sie selbst nie gelernt, eine Haushaltskasse zu führen oder sie wollen keinen Stress mit den heranwachsenden Kindern. Eine Berliner Krankenschwester, die ihren anonym bleiben will, gesteht: Sie habe einen hoch verschuldeten 22-jährigen Sohn, der jahrelang auf Pump einkaufen durfte.
"Ich hab mich da nicht so direkt eingemischt, nee. Aber wenn Jugendliche in einer bestimmten Clique sind, dann machen sie eben das, was da aktuell ist und nicht, was die Eltern da sagen. Ich hab was gesagt, aber ich hab nicht viel erreicht – sagen wir mal so."
Für die 45-jährige Mutter aus Berlin-Marzahn kam das böse Erwachen, als die Inkasso-Briefe und Gerichts-bescheide im Briefkasten des Sohnes überhand nahmen. Aber da war es bereits zu spät.
"Mein Sohn hat mich gebeten, ihm Geld zu geben, ihm was zu Essen zu kaufen oder eben mit ihm einkaufen zu gehen, dass er nicht verhungern muss. Und da wir nicht mehr zusammen wohnen hab ich das eigentlich nicht so mitbekommen, dass es so krass ist. Und im Prinzip musste ich ihn noch mit durchfüttern, dass er überhaupt hier leben kann."
"So, interessant jetzt die Haftpflichtversicherung. Was schätzen Sie, sind die monatlichen Kosten für die Haftpflichtversicherung/20!/60 würden Sie für eine Haftpflichtversicherung ausgeben?/100!/ 100 Euro – also interessante Ergebnisse und sehr weit auseinander! Wir haben einen mittleren monatlichen Preis für einen 20 Jahre alten Single ermittelt unter zehn Online-Angeboten: sind 5,80 Euro! Mehr darf das im Monat nicht kosten!"
Wenn die Eltern versagen und die Schule dies wettmachen soll – reichen dann einzelne Pilotprojekte aus? Muss "Geldkunde" dann nicht zu einem eigenen, regulären Unterrichtsfach werden? Der Berliner Landesschulrat Hans-Jürgen Pokall schüttelt den Kopf.
"Ich halte von diesen einzelnen Fächerkategorisierungen nicht viel. Sondern ich meine, wir müssen einen lebensnahen Unterricht in der Schule gestalten, der Schülerinnen und Schüler so anspricht, dass sie sich auch angenommen fühlen in ihrer heutigen Situation. Und deshalb müssen solche Dinge im Unterricht gemacht werden, aber nicht in einem eigenen Fach."
Der Vertreter der Berliner Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport verweist darauf, dass in vielen Unterrichtsfächern wie Arbeitslehre, Sozialkunde oder Wirtschaft bereits über Finanzen gesprochen wird.
"Also der heimliche Lehrplan zum Beispiel des Mathematikunterrichtes ist ja in vielen Fällen das Lehrbuch. Und wenn Sie in ein solches Buch hineinschauen und sich die Aufgabensammlung einmal ansehen, dann sehen Sie natürlich da vielfältige Dinge, die mit Geld zu tun haben. Und Sie sehen natürlich auch vielfältige Dinge, die mit einem rationalen Wirtschaften der handelnden Personen einhergehen sollen. Und da ist es ganz selbstverständlich, dass das natürlich auch Gegenstand des Unterrichts ist. Da wird nicht einfach an der Tafel von oben nach unten durchgerechnet, sondern da wird über den Text gesprochen."
Das Problem: Der Lehrplan für die jeweiligen Fächer enthält nur Empfehlungen, letztlich bleibt es dem jeweiligen Lehrer überlassen, ob er tatsächlich mit den Schülern über Geld redet. Bettina Heine von der Schuldner- und Insolvenzberatung des Diakonischen Werks beobachtet außerdem, dass die Verschuldungsproblematik für die Pädagogen häufig eine völlig fremde Materie ist.
"Bei Lehrern ist es oft so, dass die in einem andern finanziellen Rahmen auch schon leben und ihre Lebenswelt haben und unter Umständen gar nicht so sich so mit diesen Themen befassen."
Während an der Spree die schulische Geldkunde noch in den Kinderschuhen steckt - und nur vom Diakonischen Werk als eigene Unterrichtseinheit angeboten wird - ist man da am Rhein schon weiter. Alexander Schink, Staatssekretär Im Nordrhein-Westfälischen Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft und Verbraucherschutz berichtet, in seinem Bundesland habe sich ein breites Netzwerk gegründet, das bereits an den Grundschulen aktiv ist.
"In diesem Netzwerk haben sich Lehrer und Erzieher und andere zusammengetan und haben für die Grundschulkinder Module entwickelt. Die heißen: Money and Kids, Moky abgekürzt. Und bei diesen Modulen geht es darum, dass spielerisch erlernt werden kann, mit Geld umzugehen. Es gibt da verschiedene Bereiche. Das eine heißt Wünsche und Bedürfnisse, das Zweite Taschengeld, das Dritte 'Das Geld in der Familie', das Vierte 'Kreislauf des Geldes' und das Fünfte Werbung. Und so glauben wir, dass wir jedenfalls in der Grundschule mit diesen Modulen den Kindern schon sehr früh mitgeben, was Geld bedeutet."
Das Land Nordrhein-Westfalen unterstützt außerdem ein Geldkunde-Projekt für 14-, 15-jährige Schüler. Mit einem Riesenerfolg.
"Der Bedarf ist da. Das Projekt heißt 'Alles im Griff'. Wir hatten ursprünglich gedacht, dass wir 500 Unterrichtseinheiten dazu durchführen wollten. Es haben sich aber 1043 Schulklassen in 275 Schulen und deshalb haben wir das Projekt so aufgestockt, dass wir nun 1000 Unterrichtseinheiten machen können und dafür auch die finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt."
Schüler: "Seine eigene Bude zu haben, selbständig und unabhängig zu sein, das ist ziemlich cool, findet Andy. Wenn da nicht nur die ganzen Kosten wären. Die Kosten, die jeden Monat regelmäßig anfallen – egal, was passiert – nennt man Fixkosten."
In Berlin muss Einzelkämpferin Bettina Heine dagegen bei Sponsoren aus der Wirtschaft um Almosen bitten für ihr vierstündiges Unterrichtsprojekt. Denn von der Landesregierung bekommt sie kein Geld.
"Sie müssen sehr stark Klinken putzen und Überzeugungsarbeit leisten. Das ist wohl wahr. Und das kostet auch viel Energie, die vielleicht hier besser eingesetzt wäre, wenn sich das etwas einfacher gestalten würde."
Heine stößt in der Wirtschaft auf viel Ablehnung. Kaum ein Berliner Unternehmen ist bereit, ein Projekt zu unterstützen, das Jugendliche vom Geldausgeben abhält.
"Gerade das Thema Schuldner- und Insolvenzberatung, da geht's immer um Negativimage. Also das ist ja erstmal negativ belegt. Das heißt, für ein Haus ist es schwierig, sich dazu zu bekennen, dass es vielleicht Mitverursacher von Verschuldungsproblemen ist und damit dann auch noch Werbung zu machen. Aber die Verursacher einfach mit ins Boot zu holen ist, denke ich, ein sinnvoller Weg, Aufklärung zu machen und allen ne Chance zu geben."
Umfrage unter Jugendliche:
"Markensachen sehen viel schöner aus als markenlose Sachen."
"Mit einer Marke kann man wenigstens angeben, da musst du dir ein Beispiel dran nehmen."
"Weil die gut aussehen!"
"So kriegt man Mädchens ab, so wie ich aussehe. Mädchen!"
Die Schuldner- und Insolvenzberater kritisieren: Die Firmen steckten ihr Geld nicht in Aufklärungskampagnen, sondern lieber in Werbung, um bei den Teenagern den Konsum anzukurbeln. Und die geballte Fernseh-, Kino-, und Zeitungswerbung führe bei den Jugendlichen zu einem regelrechten Kauf- und Markenzwang.
"Markenzwang – Konsum bei Jugendlichen, bei jungen Erwachsenen spielt im Bereich Selbstbewusstsein eine große Rolle. Das heißt bei Jugendlichen, wo das Selbstbewusstsein nicht so stark ausgeprägt ist, neigen die oft dazu auf solche Markenartikel zurückzugreifen, um Anerkennung zu bekommen. Das ist ne Gefahr, zu der wir Erwachsenen auch greifen, aber bei jungen Menschen, da geht’s oft in Extreme, dass dann eben nur noch teure Produkte überhaupt im Leben ne Rolle spielen. Und dass das eben nicht im Verhältnis zu ihrem Budget steht."
Umfrage:
"Ein T-Shirt, eine Hose – Dolce Gabbana"
"Adidas-Fitness-Tasche"
"Nike-Schuhe, weiße Nike-Schuhe, weiße Nike-Socken"
"Fielmann-Brille"
"Nike-Käppi"
"Reebok"
"Slip: Dolce Gabbana"
"Alles, was halt geil aussieht!"
Besonders bizarr: Die Unternehmen dürfen sogar – indirekt - an den Berliner Schulen werben – ganz offiziell. Da es zu wenig Unterrichtsmaterial zum Thema Finanzen und Haushalten gibt, greifen Lehrer etwa gerne auf Handreichungen von Banken zurück. Für Landeschurrat Hans-Jürgen Pokall kein Problem.
"Also das sehen wir heute nicht mehr ganz so eng. Wenn da irgendwo das Logo einer Bank drauf steht, wichtig ist nur, dass damit nicht durch Lehrerinnen und Lehrer damit einseitige Indoktrination betrieben wird, sondern dass natürlich die Pluralität gewährleistet ist. Man kann aber auch auf die besondere Situation hinweisen, wenn man ein solches Material verwendet, dass das natürlich ein Material eines Unternehmens ist und nicht in dem Sinne in allen Punkten etwa nur der Objektivität verpflichtet ist, sondern auch natürlich dem Interesse des jeweiligen Unternehmens."
"So! Wenn man diese Werte zusammen rechnet, sind wir bei 496 Euro und 38. Und wer von unseren Mitspielern ist damit am nächsten an dieser Auflösung dran? / Jelena!/Wow! Der Gewinner ist Jelena. Applaus!"
Bettina Heine von der Schuldner- und Insolvenzberatung des Diakonischen Werkes gibt nicht auf. Die große Resonanz der Schüler motiviert sie, ihr Geldkunde-Projekt weiter an der Berliner Schulen anzubieten. Auch wenn es nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist, bilanziert sie.
"Ich nenne da immer Zahnprophylaxe. Auch wenn's jetzt komisch klingt: Über Zahnprophylaxe hat man es geschafft, dass die Kinder oder die Jugendlichen bessere Zähne bekommen. Genauso kann man es im Umgang mit Geld machen. Also wir haben Zahlen von überschuldeten Haushalten, die Böses erahnen lassen. Und es wird allerhöchste Zeit, in dem Bereich mehr Prävention anzubieten, dass einfach auch junge Menschen wissen, was es bedeutet, seine finanzielle Bonität aufs Spiel zu setzen, beispielsweise nur für ein Konsumgut."