Schulen bleiben hinter Erwartungen der Eltern zurück

Von Jürgen König |
Unkonzentrierte Kinder, überforderte Pädagogen und ein unbeliebter Föderalismus: Eine Allensbachumfrage unter Lehrern und Eltern offenbart Schwachstellen im deutschen Bildungssystem.
In einem sind Eltern und Lehrer sich einig: Schulen sollen mehr vermitteln als Wissen, nämlich auch Selbstbewusstsein, Leistungsbereitschaft, Hilfsbereitschaft, Höflichkeit. Doch die Erwartungen werden nicht nur erfüllt, erklärt Renate Köcher vom Institut für Demoskopie Allensbach.
"Was die Vermittlung von Wissen angeht, äußert sich die Mehrheit der Eltern eigentlich positiv. Bei der Allgemeinbildung machen viele Eltern deutliche Abstriche und sagen, da bleibt die Schule deutlich hinter unseren Erwartungen zurück. Aber die Schulen bleiben vor allem in Bezug auf die Persönlichkeitsschulung hinter den Erwartungen der Eltern zurück, insbesondere was hier das Training von Selbstbewusstsein angeht, von Konzentrationsfähigkeit; aber ganz groß ist die Kluft auch bei den guten Manieren und der Höflichkeit."

Persönlichkeitsbildung, Vermittlung von Werten – das wollen die Lehrer auch, aber nur ein gutes Drittel von ihnen ist überzeugt, dass das auch geht. An den Hauptschulen sei es "außerordentlich schwer", aber auch die anderen Lehrer halten ihren Einfluss überwiegend für gering, viel wichtiger für die Schüler seien - in dieser Reihenfolge: die Medien, ihr Freundeskreis, die Eltern, die Klassenkameraden, die Schule als Ganzes. Nur 8 Prozent der Lehrer glauben, "sehr großen Einfluss" auf ihre Schüler ausüben zu können.
"Sie beschreiben die Schüler eigentlich weit überwiegend kritisch als belastet mit Konzentrationsproblemen, sehr materialistisch, selbstbezogen und auf Äußerlichkeiten aus; dann kommen erst positive Eigenschaften wie offen und selbstbewusst."
Drei von vier Lehrern halten die Eltern mit der Erziehung ihrer Kinder für überfordert, zu wenig Zeit würden sie sich für ihre Kinder nehmen, gleichzeitig wächst die Zahl der Eltern, die versuchen, intensiv Einfluss zu nehmen auf das, was in der Schule geschieht - was von den Lehrern mehrheitlich als problematisch empfunden wird.
Die Skepsis gegenüber der vorschulischen Bildung im Kindergarten nimmt zu. Ganztagsschulen werden immer beliebter, an der Durchlässigkeit des Schulsystems dagegen wird immer stärker gezweifelt. Was Bildungsforscher seit Jahren fordern und Bildungspolitiker seit Jahren versuchen, nämlich Kinder und Jugendliche so individuell wie möglich zu fördern – das, referiert Renate Köcher, halten die Lehrer im Rahmen bestehender Lehrpläne noch nicht wirklich für möglich.

"Die große Mehrheit sagt: es ist ganz wichtig, dass eine gute Schule Kinder nach ihren Begabungen gezielt fördert, nur 24 Prozent der Lehrer attestieren dies der eigenen Schule. Da wird das Defizit sogar noch stärker bei der gezielten Förderung von begabten Kindern gesehen als bei speziellen Förderkursen für benachteiligte Schüler."

Mit der Arbeit der Kultusministerien ist die Mehrheit der Lehrer nicht zufrieden, viele Vorgaben der Behörden würden sich im Schulalltag nur schwer umsetzen lassen. Bei der Frage, in welchem Bundesland die Rahmenbedingungen für die Schulen besonders günstig seien, nannte jeder zweite Lehrer Bayern, gefolgt von Baden-Württemberg und Sachsen, so gut wie gar nicht genannt wurden Sachsen-Anhalt, Berlin, Bremen, das Saarland, Schleswig-Holstein, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Den Bildungsföderalismus lehnen die Lehrer mehrheitlich ab – was der Bundesvorsitzenden des Deutschen Philologenverbandes, Heinz Peter Meidinger, auch mit vielen "Schnellschussreformen der letzten Zeit" erklärt:
"Es ist natürlich so, dass die Bildungskompetenz sozusagen die letzte große Kompetenz der Bundesländer geblieben ist und deswegen gerade in Bildungsfragen sehr starke Änderungen von Legislaturperiode zu Legislaturperiode in verschiedenen Bundesländern vorgenommen worden sind – ich kann Ihnen sagen, dass mittlerweile die Lehrerbildung in den verschiedenen Bundesländern weiter auseinanderklafft als teilweise zwischen Deutschland und benachbarten Ländern, und natürlich der Faktor der Mobilität eine ganz große Rolle spielt im Bewusstsein vieler Eltern und deswegen eine hohe Angst da ist, dass diese Mobilität im deutschen Bildungswesen nicht mehr gewährleistet ist und hier gegengesteuert werden muss."
Vier von fünf Deutschen sind inzwischen für einheitliche Abschlussprüfungen. Auch die große Mehrheit der Lehrer ist dafür, ihr Ideal wäre: Weniger Einfluss der Länder, mehr Regelungen durch den Bund – und bei alledem: mehr Freiraum für jede einzelne Schule.