Schule und Digitalisierung

Wenn der Unterricht übers Internet weitergeht

Ein Schüler verschiebt App-Icons auf einer digitalen Projektionsfläche.
Digitaler Wandel: Am John-Lennon-Gymnasium in Berlin gehört der Umgang mit digitalen Medien fest dazu. © epd/Jens Schulze
Von Christiane Habermalz · 17.07.2018
Als erste "Smart School" Berlins will das John-Lennon-Gymnasium den Einsatz netzbasierter Lernsysteme ausbauen. Die Pädagogen sind euphorisch – manche Schüler klagen aber auch darüber, dass Lehrer jetzt auch noch spät am Tag Hausaufgaben "posten".
Dass das John-Lennon-Gymnasium in Berlin Mitte zur digitalen Avantgarde gehört, sieht man ihm von außen nicht an. Ein gelb gestrichener Altbau, der schon lange keine Renovierungsarbeiten mehr gesehen hat. Doch die Schule ist vor kurzem als erste "Smart School" Berlins ausgezeichnet worden.
"Wir haben nicht damit gerechnet, dass so viele Kolleginnen und Kollegen das so sehr annehmen", sagt Schulleiterin Doris Hellmuth. "Ich kann sagen, die Schülerinnen und Schüler, das ist unglaublich! Ich kann jeden meiner Schüler jederzeit über 'It‘s learning' erreichen. Weil das auch eine App ist, die haben sie auf ihrem Smartphone. Die Schüler haben auch selber Chatrooms. Das heißt, das ist wirklich eine virtuelle Schule, die da entstanden ist. Das war uns überhaupt nicht klar."

Eine virtuelle Schule jenseits der Kreidezeit

Doris Hellmuth sitzt in ihrem Büro und erzählt von der digitalen Revolution, die ihre Schule erfasst hat. Der aktuelle Vertretungsplan ist jederzeit online einsehbar für Schüler und Lehrer. Über die cloud-basierte Plattform "It’s learning" können Lehrer Unterrichtsmaterialien einstellen, die die Schüler abrufen können – auch wenn der Lehrer krank ist. Umgekehrt können Hausaufgaben digital abgegeben und korrigiert oder in der nächsten Unterrichtsstunde per Computer auf das Smartboard projiziert und gemeinsam diskutiert werden. Fast jedes Klassenzimmer ist damit ausgestattet.
Dass die Schule so weit gekommen ist, wo andere Schulen noch buchstäblich in der Kreidezeit leben, hat sie nicht der Berliner Schulpolitik zu verdanken. Für die Smartboards seien Lottomittel beantragt worden. Die Initiative für "It’s Learning" sei vor allem von einem Lehrer ausgegangen, der alle anderen Kollegen angesteckt habe, erzählt Hellmuth: "Alle Lehrer haben dann wahnsinnig viel Arbeit reingesteckt. Und dass wir jetzt iPads kaufen können, das verdanken wir zum Teil unserem Förderverein."

Alte Computer, schwaches W-LAN

Doch an der technischen Ausstattung der Schule mangelt es trotzdem immer noch vorne und hinten. Die Computer sind veraltet, das W-LAN bricht in dem alten Gemäuer ständig zusammen. Es fehlen weitere Schul-Tablets – zumindest drei Klassensätze braucht die Schule. Schließlich kann man nicht von jedem Schüler erwarten, dass er ein Smartphone mit Flatrate hat.
"Das ist ein Spagat, der manchmal schwierig auszuhalten ist. Weil so viele intellektuelle Mühe investiert wurde. Und man sich dann irgendwann fragt: 'Wozu nützt uns das denn, wenn wir immer noch nicht mit den Schülerinnen und Schülern tatsächlich vor Ort im Internet arbeiten können."

Glasfaserkabel bis ans Schultor

Das soll sich nun ändern. Mit dem Digitalpakt will der Bund noch in dieser Legislaturperiode 3,5 Milliarden Euro für die Aufrüstung von Schulen in ganz Deutschland bereitstellen – für W-LAN-Versorgung, Computer, Schul-Clouds. Doch noch wird mit den Ländern ausgehandelt, wie deren finanzielle Beteiligung aussehen soll. Wenn der Bund in die Hardware investiert, so der Deal, sollen die Länder sich darum kümmern, dass auch alles funktioniert: dass Glasfaserkabel bis an das Schultor verlegt, die Geräte gewartet, Softwareprogramme entwickelt und Tablets angeschafft werden können.
Und die Lehrer müssen im Umgang mit der neuen Technik geschult und fortgebildet werden. Denn an vielen Hochschulen ist es derzeit noch möglich, sich zum Lehrer ausbilden zu lassen, ohne je mit digitalen Inhalten in Berührung zu kommen. Albert Rupprecht, bildungspolitischer Sprecher der Union im Bundestag, macht mit Blick auf die Länder deutlich:
"Entscheidend ist natürlich, dass das keine Investitionsruinen werden. Da gibt’s natürlich auch finanzielle Verpflichtungen, die von den Ländern formuliert sein müssen. Wir werden als Parlamentarier sehr genau hinschauen, ob das in der Vereinbarung drinsteht, wenn wir Gelder freigeben."

Nicht alle sind begeistert

Nicht jeder ist überzeugt von der neuen digitalen Schule. Manche Eltern, die ihren Kindern zuhause den Zugang zum Computer und den Smartphone-Gebrauch zu reglementieren versuchen, fremdeln damit, dass ihre Kinder nun auch offiziell für die Schule an Rechner und Handy hängen. Auch bei den Schülern des John-Lennon-Gymnasiums ist die Freude nicht ungeteilt:
"Ich finde es in manchen Fällen hilfreich. Für mich kommt‘s tatsächlich auf den Lehrer an. Wenn man sich darauf verlassen kann, dann hilft es einem, wenn man krank war, sich wirklich auch auf Klausuren vorzubereiten, die jetzt für uns vor allem fürs Abi sehr wichtig sind. Ich glaube halt nur, dass es eine bestimmte Gruppe von Menschen ein bisschen auslässt, weil ich zwei, drei Leute aus unserem Kurs kenne, die nicht jeden Tag aufs Handy gucken oder ins Internet gehen."
"Ich finde es ein bisschen blöd, weil man zuhause nicht wirklich richtig abschalten kann und oft noch sehr spät irgendwelche Hausaufgaben bekommt und manche Lehrer benutzen das dann als Ausrede benutzen und sagen: 'Ja, wir haben es doch gepostet.'"

Medienerziehung als Teil des Lehrplans

Wie sehr sich Schule durch die Digitalisierung verändert, weiß auch Schulleiterin Hellmuth. "Auf der einen Seite die Frage, wie gehen wir damit um, dass auch die Kinder jetzt 24/7 haben. Und wie können wir die Kinder mitnehmen und wie können die Kinder uns mitnehmen?"
Im kommenden Schuljahr will sie Neuntklässler zu digitalen Lotsen für Siebtklässler ausbilden lassen – weil die viel näher an dem Thema dran sind als viele Lehrer. Und Medienerziehung soll fest in jedes Fach integriert werden: Welche Daten gebe ich preis, woran erkenne ich, ob Seiten problematisch sind?
"Denn wir wissen, dass unsere Kinder uns in der Nutzung der Medien eigentlich überlegen sind. Die sind viel schneller als wir, aber sie können die Gefahren nicht überblicken. Das heißt für uns aber auch, dass wir enorm weiterlernen müssen und uns weiter entwickeln müssen. Und zwar in einem Tempo, das die Schule bisher nicht gekannt hat."
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