Schule in der Pandemie

Verloren zwischen Chaos und Verunsicherung?

53:45 Minuten
Szene aus einem Klassenzimmer: Ein Schüler an der Fritz-Karsen-Schule im Berliner Ortsteil Britz meldet sich.
Fritz-Karsen-Schule im Berliner Ortsteil Britz: Kinder und Jugendliche haben die Hauptlast der Pandemie getragen. © picture alliance / dpa / Christoph Soeder
Moderation: Birgit Kolkmann · 28.01.2022
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Die hohen Infektionsraten der Omikron-Welle verunsichern Schüler, Eltern, Lehrer und Politiker und verursachen chaotische Zustände in Familien und Schulen. Präsenzunterricht, hybride Unterrichtsformen oder Distanzlernen: Das ist nun wieder die Frage.
Die saarländische Ministerin für Bildung und Kultur, Christine Streichert-Clivot (SPD), will trotz beständig steigender Inzidenzwerte die Schulen unbedingt offenhalten: „Es ist gerade eine ganz extreme Situation. Es stimmt, dass wir derzeit ein sehr hohes Fallgeschehen bei Kindern und Jugendlichen haben. Aber mit dem Fokus auf Schule blenden wir aus, dass ein viel größerer Teil des Fallgeschehens in der Erwachsenenwelt stattfindet. Wir brauchen offene Schulen, auch in einer Pandemie, damit Kinder und Jugendliche ein Stück Normalität in dieser Krise haben können.“

Pandemie verstärkt Schwächen des Bildungssystems

Auch der Chef der OECD-Bildungsabteilung, Andreas Schleicher, hält es für „absolut wichtig“, die Schulen nicht zu schließen. Keine Bevölkerungsgruppe habe unter den Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung mehr gelitten als Schülerinnen und Schüler, betont er.
Dabei gehe es nicht nur um die Lernleistung. „Schule ist gerade für Kinder aus sozial benachteiligten Schichten ein ganz wichtiges soziales Umfeld, manchmal das stabilste.“ Die Pandemie habe „jeden Spalt" im Bildungssystem enorm vergrößert, sagt Schleicher. „Es gibt viele Kinder, die in der Pandemie weit zurückgefallen sind.“

Die Schüler fühlen sich „überstrapaziert“

Unter Schülerinnen und Schülern gibt es derzeit „großen Unmut und große Sorgen, wie es jetzt weitergeht“, sagt der Berliner Landesschülervertreter Anjo Genow. „Die Schutzmaßnahmen in den Schulen reichen uns nicht aus. Und die Pandemie geht weiter. So langsam werden wir wirklich überstrapaziert.“

Krise kann zur Chance werden

Die Bildungsforscherin und Schulleiterin Aline Hasler verweist darauf, dass Schule viel mehr sei als ein Ort der Wissensvermittlung. Die derzeitige Krise könne zur Chance für die Weiterentwicklung des Schulsystems werden, wenn es gelinge, den Fokus von den kognitiven Aspekten der Bildung auf sozio-emotionales Lernen zu lenken.
Das aber brauche Zeit, unterstreicht Hasler: „Wir können viel handeln und viel schaffen, aber nicht mit Curricula, die vollgepackt sind bis oben hin und bei denen wir quasi immer von einem Thema zum nächsten hetzen. Ich würde mir wünschen, dass jetzt die Chance ergriffen wird, den Fokus auf die Persönlichkeitsbildung und auf Komponenten wie Empathie zu legen.“

Es diskutieren:
Christine Streichert-Clivot (SPD), Ministerin für Bildung und Kultur des Saarlandes
Andreas Schleicher, Direktor des Direktorats für Bildung bei der OECD
Aline Hasler, Schulleiterin in Kiel
Anjo Genow, Landesschülervertreter Berlin

(ruk/pag)
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