Schule

In den Ferien Deutsch lernen

Schülerin mit Migrationshintergrund meldet sich im Unterricht
Spielerisch Deutsch lernen: Kinder mit Migrationshintergrund © dpa / Waltraud Grubitzsch
Von Anke Petermann  · 20.08.2014
Viele Kommunen bieten ein Programm für Kinder an, die im Sprachtest schwach abschneiden. Drei Wochen Deutsch und Theaterspiel sollen zum Beispiel in Frankfurt 150 Drittklässler fit machen für das wichtige vierte Schuljahr - und darüber hinaus.
"Ist es etwas für den Körper?"
"Ja."
Ein Dutzend Frankfurter Kinder verschiedenster Hautfarben stehen im Kreis. Dilaxija, ein tamilisch-stämmiges Mädchen in der Mitte, hält einem Gegenstand in einem Sack versteckt. Raten ist angesagt.
"Ist es Parfum?"
"Nein."
"Stopp, zehn Fragen, die Hälfte haben wir, vielleicht mal einen kleinen Tipp von euch."
"Das benutzt man für den Mund."
"Ah."
Auf den ersten Blick wirkt das Spielen weniger wie Deutschunterricht, eher wie Kindergeburtstag.
"Hey, lass ihn mal selbst überlegen."
Björn Loose, Deutschlehrer in Jeans und T-Shirt, schaltet sich nur ein, damit auch die Zurückhaltenden zu Wort kommen, wie der Junge mit den asiatischen Gesichtszügen.
"Vergessen."
"Beschreib das mal. Hat verschiedene Farben. Rosa und rot."
"Meinst du einen Lippenstift?"
"Ja."
"Ist es ein Lippenstift?"
"Nein."
Das Sackspiel gibt den Kindern Anlass zum Fragen und Beschreiben. Der Lehrer beobachtet,
"dass der Wortschatz einfach relativ gering ist. Das hat man gesehen, dass das Kind auf das Wort Lippenstift nicht kam und die Wörter gefehlt haben, um das ordentlich zu beschreiben. Und deshalb ist es wichtig, da viele Sprachanlässe zu schaffen. Kaja, mach noch mal ne Bewegung."
Verben mit trennbaren Vorsilben stehen jetzt auf dem Programm.
Björn Loose hält die Kinder in Bewegung, lässt die Verben erst mal pantomimisch darstellen. Kaja, ein Junge mit schwarzen Kräusellocken, zeigt auf sich. Dilaxija rät:
"Vorstellen, der hat auf ihn gezeigt, also ist es vorstellen."
"Was soll das denn heißen: vorstellen, sich vorstellen?"
"Vorstellen bedeutet, wenn jemand was über sich sagt."
"Genau, wenn man sich noch nicht kennt, man stellt sich vor, man gibt sich die Hand: Schönen guten Tag, ich bin der Herr Loose, wie heißen Sie?"
Eine Herausforderung für jeden Deutschschüler
Abstellen, vorstellen, hinstellen - im Deutschen können winzige Vorsilben ganze Wortbedeutungen verändern - eine Herausforderung für jeden Deutschschüler, nicht nur für die Sommerkinder. Bevor die Drittklässler mit Grammatik weitermachen, stürmen sie in die Pause. Ihre Eltern kommen aus der Türkei aus Polen und Eritrea. Manche auch aus Ghana, wie Hillary, Priscilla und Cheris, die zuhause die Muttersprache Twi sprechen,
"mit meiner Mama und meinem Papa afrikanisch, die sprechen nicht so gut deutsch.
Twi wie ich. Sieben Kinder sprechen hier die gleiche Sprache.
Ja, ich sprech' manchmal Englisch und Twi und Deutsch."
Zuhause Twi, eine der nationalen Sprachen Ghanas, und Englisch. In der Schule, auf dem Schulhof und nachmittags mit Freunden Deutsch - die drei Neun- und Zehnjährigen wachsen dreisprachig auf. Deutsch müssen sie besonders gut beherrschen, sonst haben sie keine Chance in der Schule weiterzukommen.
Die drei reden wild durcheinander. Oliver Beddies, Projektleiter der Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt hört dem Mädchen-Trio zu. Was ihnen fehlt, ist die komplexe, präzise Bildungssprache,
"anders als man das nachmittags auf dem Spielplatz erlebt. Und da tun sich die Kinder schwer. Und da versuchen wir anzusetzen und ihren Strategien mit auf den Weg zu geben, daran zu arbeiten. Also, dass die Kinder auch wirklich lernen, regelhaft, wie die deutsche Sprache funktioniert. Ohne diese Regeln können sie nicht später im Unterricht zurückgehen und dort reflektieren und das für sich mitnehmen. Das reicht leider nicht das nur zu hören. Es ist ein wichtiger Teil, aber es reicht nicht."
Nach der Pause: Sätze bilden mit den trennbaren Verben. Björn Loose zeigt an die Wand, da hängen die Verben auf Papier gedruckt im Infinitiv.
"Aber hier steht jetzt 'anstellen' und du hat gesagt 'stellt sich an'.
Ja, aber beim Satz kann man das trennen.
Genau, es gibt bestimmte Sätze, da muss ich das trennen, das heißt, da muss ich die Vorsilbe wieder abschneiden."
Der "DeutschSommer" ist zu kurz
Loose nimmt die Schere zur Hand, schneidet die Silbe ab, klebt sie ans Satzende. Damnjit mit dem weiß abgedeckten Haarknoten der Sikhs auf dem Kopf darf später selbst noch schnipseln. Indem sie an der Sprache basteln, verinnerlichen die Neun- und Zehnjährigen die Grammatikregeln.
In der zweiten Pause kommt Vorfreude aufs Theaterspielen auf, vor allem bei Hillary, Priscilla und Cheris, den drei Bewegungstalenten der Gruppe:
"Zwei Teams machen Bewegungen und unser Team, Anti-Aggro-Popstar-Gespenster, wir haben ein Lied vorbereitet und dieses Lied singen wir. Wir haben ein Lied genommen von Internet und haben das als Gespensterlied gemacht."
"Wir sind die Anti-Aaggro-Popstar-Gespenster."
"Anti-Aggro-Popstar-Gepenster", erst auf der Bühne sprechen die drei ihre schwierige Wortschöpfung deutlich aus. Vorher hatten sie oft genuschelt, war dem Projektleiter aufgefallen.
"Das haben wir auch gerade im Unterricht gehört, es wird viel verschluckt. Eine ganz allgemeine Vermeidungsstrategie, das, wenn ich mir nicht sicher bin, dann wird es ein bisschen gehuscht, genuschelt oder auch verschluckt, dann ist es nie falsch, aber eben auch nie richtig."
Hillary, Priscilla und Cheris strahlen, während sie ihren Song vortragen. Kreativ mit Sprache umzugehen, begeistert sie, ihr eigenes Stück am Ende vor den Eltern aufzuführen, macht sie stolz.
"Ja, aber ich finde es nur schade, dass so schnell Ende geht drei Wochen, das ist ja nur die halbe Woche."
Dilaxijas einzige Beschwerde: Er ist zu kurz, der "DeutschSommer."
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