"Schule für Erwachsenenbildung"

Mit Putzplan und Plenum zum Abi

Das Wort "Abitur" mit Kreide an die Tafel geschrieben
60 bis 70 Prozent schaffen an der "Schule für Erwachsenenbildung" ihr Abitur - auch wenn vielen das Lernen schwer fällt. © dpa / Marijan Murat
Von Azadê Peşmen · 08.06.2016
Die "Schule für Erwachsenenbildung" braucht keinen Direktor. Alle Entscheidungen werden im Plenum getroffen: vom Putzen bis zum Rauswurf eines Lehrers. Gegründet wurde die Einrichtung von Berlinern aus der Hausbesetzer-Szene. Nun wurde sie für den Deutschen Schulpreis nominiert.
Klaus Trappmann: "Nein, nur einer, alle gar nicht versammelt, wo sind die alle?"
Leonie: "Die sind noch mal rauchen gerade."
Klaus Trappmann: "Ach so, na dann warten wir noch."
Die neue Abiturklasse macht länger Pause. Der Lehrer aber bleibt entspannt. Das Klassenzimmer sieht auf den ersten Blick aus wie jedes andere auch. Die bunten Holztische sind zu einem großen U geformt, die Wände in bunten Pastelltönen gehalten. Vorne an der Tafel Klaus Trappmann in Sandalen. Als wenig später alle eintrudeln, stellt er sich vor.
"Mein Name ist Klaus, Klaus Trappmann, ich bin euer Deutschlehrer - und so ein bisschen ist mein Ziel, das hört sich ja ganz toll an, euch heranzuführen, an die Kultur, also dass ihr diese Stadt auch so ein bisschen genießen lernt, mit seinen ganzen verschiedenen Angeboten, an Museen, an Theateraufführungen, an Lesungen."
Klaus Trappmann unterrichtet an der Schule für Erwachsenenbildung, kurz SfE, in Berlin. Wer es woanders nicht bis zum Schulabschluss geschafft hat, kann das hier nachholen – ohne Druck und mit der nötigen individuellen Unterstützung.

60 bis 70 Prozent schaffen ihr Abitur

Ganz vorne im Deutschunterricht sitzt Mustafa Alkuptan. Er wirkt sehr konzentriert, fast ein bisschen angespannt. Vor ihm auf dem Tisch liegt ein IPad. Mustafa druckst erst rum, dann gibt er offen zu, dass Deutsch sein Problemfach ist. Immer wieder hat er Probleme, sich zu konzentrieren. Immer wieder hat das an anderen Schulen am Ende zu schlechten Noten geführt.
"Und ich weiß einfach nicht, wie ich das wegkriegen kann. Ich hab versucht, so oft wie möglich mich zu zwingen, zum Beispiel, wenn ich ein Buch lese und es hat ewig gedauert, bis ich dann halt durch… Es sei denn, es hat mich sehr interessiert, generell lese ich nur das, was mich interessiert."
"Aber dann wären für dich zum Bespiel Gedichte ideal, die sind ja zum Teil kurz."
Klaus Trappmann versucht seine Schüler dort abzuholen, wo sie stehen und nicht weiter kommen. Und bei nur neun Schülern in einer Klasse gelingt das auch oft. 60 bis 70 Prozent schaffen ihr Abitur an der SfE, beim Mittleren Schulabschluss liegt die Quote noch höher.

Keine Noten, kein Direktor

Dabei fragen die Lehrer kein Wissen ab, sondern versuchen in erster Linie herauszufinden, wofür sich die Schüler interessieren. Am Berliner Lehrplan kommt aber auch die Schule für Erwachsenenbildung nicht vorbei. Das macht Klaus Trappmann gleich in der ersten Stunde klar und erklärt Mustafa und den anderen ein mögliches Prüfungsthema im Fach Deutsch: die unterschiedlichen Gattungen des Dramas.
"Tragödie und Komödie. An sich ist das Wort Dramatik wertneutral."
An der SfE gibt es keine Noten und keinen Direktor. Alles, was dieser im Normalfall entscheidet, wird hier zweiwöchentlich basisdemokratisch entschieden, in einer Vollversammlung bestehend aus Lehrern und Schülern. Die tagt ein paar Zimmer weiter im Forum, einem Raum mit halbkreisförmiger Tribüne, von der der Lack blättert. Dafür ist alles blitzblank sauber. Trappmann führt stolz durch den Raum.
"Hier siehst du jetzt auch gerade eine wichtige Errungenschaft: Also, wir putzen unsere Schule selbst und es sind immer verschiedene Klassen dran - und dann kommt aber auch einmal das Lehrerkollegium dran. Und hier: Auch genauso gibt es ein kleines Buffet, jeden Morgen eine kleine Kantine - und da sind auch die Lehrer eine Woche dran und die verschiedenen Klassen. Und hier sieht man eine kleine Schulgeschichte, die wir hier angebracht haben."

Gegründet von Berlinern aus der Hausbesetzer-Szene

An der Wand hängen alte Schwarz-Weiß-Fotos von Gründern der SfE, von denen viele aus der Berliner Hausbesetzer-Szene stammen. Das alternative Schulkonzept kommt anfangs gut an: 800 Schüler besuchen zu Hochzeiten die SfE. Heute sind es nur noch 200. Das kann auch am Schulgeld liegen: 160 Euro im Monat zahlt jeder Schüler, und davon werden auch die Lehrer bezahlt. Die meisten haben noch einen Zweitjob, sagt Trappmann. Und dennoch möchte der Deutschlehrer an keiner staatlichen Regelschule unterrichten.
Ähnlich geht es Leonie, einer seiner Schülerinnen. Die 17-Jährige mit den blauen Haaren und Batman-Leggins dreht sich im Pausenhof eine Zigarette. Die Entscheidung, an der Schule für Erwachsenenbildung zu lernen, hat sie bewusst getroffen.

"Das kann gut werden"

"Ich war vorher auf einer christlichen Privatschule und ich bin da mit dem System einfach nicht klar gekommen. Der Leistungsdruck ist hier auf jeden Fall nicht ganz so stark wie an anderen Schulen - und das es hier keine Hierarchien gibt, finde ich halt auch ziemlich gut. Dadurch, dass ich auch ein ziemlich politischer Mensch bin, fühle ich mich hier ziemlich wohl. Das kann ganz gut werden, für die nächsten drei Jahre."

Sie ist noch relativ neu hier, aber genau wie ihr Lehrer stolz darauf, dass ihre Schule für den Schulpreis nominiert ist.
"Das ist eine gute Schule, da sollte man auf jeden Fall ein bisschen Aufmerksamkeit drauf legen."
Mehr zum Thema