Schule trotz Krankheit

Ein Roboter im Klassenzimmer

06:17 Minuten
Die norwegische Entwicklerin Karen Dolva zeigt am 07.03.2018 ihren Roboter AV1 in Berlin. Dieser kleine Roboter nimmt mit Kamera und Mikrofon auf, was im Klassenraum passiert.
Solch ein Telekommunikationsroboter, AV1, des norwegischen Startups No Isolation wird seit einigen Jahren in deutschen Schulen eingesetzt. © picture alliance / dpa / Michael Kappeler
Von Lara Lorenz |
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Roboter können inzwischen sehr viel, auch für erkrankte Kinder oder Jugendliche in die Schule gehen: Der Schüler sitzt zu Hause, der Avatar steht im Klassenzimmer. Seit einigen Jahren gibt es das System schon, aber wie gut funktioniert es wirklich?
Der Avatar ist ein bisschen größer als eine Packung Milch und sieht aus wie eine moderne Büste: ein ovaler Kopf auf einem rechteckigen Oberkörper, beides aus glänzend weißem Plastik. Wenn er angeschaltet ist, erscheint auf dem Gesicht ein Augenpaar.
Auf der Stirn sind zwei schwarze Punkte – Kamera und Mikrofon. Durch die kann Leonie auf ihrem Tablet sehen und hören, was der Avatar sieht und hört. Leonie ist 14 Jahre alt und hat Krebs. Deswegen kann sie zurzeit nicht selbst in die Schule gehen. Seit ein paar Wochen ist sie durch den Avatar im Klassenzimmer vertreten und findet noch heraus, wie das am besten funktioniert.
„Beim ersten Mal stand ich auf dem Lehrertisch, also da vorne und konnte alle beobachten, wie sie Gruppenarbeit und so was machen. Ich konnte alle beobachten und nicht mitmachen.“
Inzwischen steht der Roboter auf der Schulbank von Leonies Freundinnen – viel besser! Über eine App kann Leonie den Roboter steuern.
„Man kann da also stumm schalten, lauter, leiser machen und dann kannst du auch auf den Bildschirmen den Bildschirm bürsten, wenn du nach rechts machst, dreht er den Kopf nach rechts oder wenn du nach oben ziehst, macht er den Kopf nach oben. Und du kannst auch so was anmachen, dass du nicht angesprochen werden möchtest.“
Ihre Freundinnen wissen, was das heißt.
„Ich weiß gar nicht, welche Farbe er hat, wenn er sich meldet. - Ich glaube, dann ist er weiß und blinkt? – Ja genau. Aber wenn er blau ist, dann will sie nicht angesprochen werden, und wenn dieses Teil unter dem Kopf blinkt, dann muss er geladen werden. – Dann blinkt das rot.“

Verbindung mit der Klasse bleibt erhalten

Leonie besucht die Grünauer Gesamtschule in Berlin. Ihre Klassenlehrerin Frau Schindler hat sich schnell an den Roboter gewöhnt:
„Vielleicht in der ersten Stunde, da ist man auch ein bisschen aufgeregt bzw. hat auch Angst, dass die Technik nicht funktioniert. Aber dann gewöhnt man sich ganz schnell dran und das Gefühl, dass wir mit Leonie da gemeinsam weiterarbeiten können, das ist viel stärker als die Aufregung. So hat Leonie wirklich die Möglichkeit, auch die Verbindung zur Klasse zu behalten.“
Leonie hat den Avatar über Renate Fischer bekommen. Sie ist Sozialarbeiterin in der Kinderonkologie der Charité Berlin.
„Ich denke, ein Vorteil ist, dass sie tatsächlich einen Platz so ein bisschen besetzen, auch in der Klasse, dass jemand auch irgendwo anwesend ist, auch wenn es jetzt nur dieses Gerät ist. Aber irgendwo scheint das offensichtlich in den Klassen präsenter zu sein, als wenn sie sich irgendwie anders dazu schalten würden.“

Kinder können Teil ihrer Klasse bleiben

Renate Fischer unterstützt und berät Familien, wenn ein Kind an Krebs erkrankt ist. Dabei ist Schule ein großes Thema. Viele Kinder können für längere Zeit nicht regulär am Unterricht teilnehmen. Es gibt zwar Hausunterricht und Lehrer:innen im Krankenhaus. Aber durch den Avatar können sie weiter Teil ihrer Klassengemeinschaft bleiben und am gewohnten Unterricht teilnehmen – und zwar so, dass niemand sie sehen kann. Das ist Leonie wichtig.
„Wenn es einem jetzt nicht so supergut geht, aber trotzdem man am Unterricht teilnehmen kann, muss dich ja jetzt nicht jeder sehen, so unbedingt. Anders ist das ja auch doof. Bei Zoom oder so bist du ja quasi gezwungen, die Kamera anzulassen. Deswegen finde ich das so besser.“
Die Kinderonkologie der Charité benutzt die Avatare seit 2018 und hat inzwischen acht davon gekauft.
„Was also das eine ist, dass die in der Anschaffung erst mal so relativ teuer sind. Aber wir müssen eben auch jährliche Gebühren zahlen."
Einen Roboter zu kaufen, kostet knapp 4500 Euro, für das Programm kommen ab dem zweiten Jahr gut 900 Euro jährlich dazu.

„Und das läuft im Augenblick aber alles auf Spendenbasis, damit wir das den Kindern auch unabhängig von dem Einkommen der Eltern anbieten können.“

Neben der Finanzierung der Avatare ist das andere große Thema Datenschutz. Der Avatar sendet einen Live-Stream. Er macht also keine Aufzeichnungen oder Screenshots. Trotzdem müssen alle Mitschüler:innen und deren Eltern einwilligen, bevor der Roboter ins Klassenzimmer darf. Bei Leonie war das zum Glück kein Problem. Nach einem online Elternabend gaben alle ihr Einverständnis – zur Freude von Leonies Eltern.
„Wir geben dem Avatar auch ganz große Chance, dass sie auch in die nächste Klasse mitkommen kann, dass sie jetzt diese Klasse, diese Klassenstufe einfach nicht verliert oder wiederholen muss. Das ist eigentlich die größte Sorge, die wir haben.“

Ein fast normaler Schulalltag

Denn für Leonie ist der Avatar ein Langzeitprojekt. Sie kann sicher nicht vor nächstem Jahr wieder selbst in die Schule. Ihre Freundinnen hoffen sehr, dass Leonie dann wieder mit ihnen in einer Klasse ist.
„Wir wollen Leonie in unsere Klasse behalten.“
Bis dahin muss Leonie mit dem Avatar vorliebnehmen.
„Es ist gut einerseits, weil man ja trotzdem da ist und nicht so viel von der Schule verpasst. Also das, was man halt kann. Aber einerseits finde ich es auch doof, weil du ja nur so übers Internet quasi da bist. Ich wäre schon lieber, wegen meiner Freunde hauptsächlich, auch lieber dann eigentlich in der Schule. Gibt es ja auch lustige Phasen, wo man lachen muss.“
Klar, wenn man nicht selber im Klassenzimmer sitzt, verpasst man ein bisschen was. Trotzdem kann der Avatar einen normalen Schulalltag ermöglichen. So normal, wie das eben geht, durch einen Roboter.

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