Schuhcremedose als Lebensretter

Von Irene Meichsner · 08.10.2008
Der erste Herzschrittmacher der Welt enthielt nur zwei Transistoren und eine kleine Batterie, die in einer leeren Schuhcrèmedose verstaut wurden. Längst nicht serienreif, wurde das Gerät am 8. Oktober 1958 einem Menschen implantiert - und rette ihm das Leben.
"Als Elektro-Ingenieur wusste ich, worum es ging und war bereit, mir helfen zu lassen. Der Arzt, Ake Senning, sagte: Okay, wir legen Sie auf den Operationstisch. Dann öffne ich Ihre Brust und implantiere einen Schrittmacher."

Arne Larsson hieß der Patient, der am 8. Oktober 1958 in Stockholm in die Medizingeschichte einging - dank einer geradezu vorsintflutlichen Technik. Der erste Herzschrittmacher der Welt enthielt nur zwei Transistoren und eine kleine Batterie. Alle Bauteile waren mit Harz vergossen und in einer leeren Schuhcrèmedose verstaut, an der sich zwei Elektroden aus rostfreiem Stahl befestigen ließen.

Rune Elmqvist von der schwedischen Firma Siemens-Elema hatte das Gerät entworfen. Er arbeitete mit Åke Senning zusammen, einem Herzchirurgen vom Stockholmer Karolinska Hospital, der schon länger an einen elektrischen Impulsgeber dachte. Die Anregung kam aus den USA, Senning machte erste Experimente mit Hunden. Im Archiv der amerikanischen Herzrhythmus-Gesellschaft finden sich mehrere Tondokumente, darunter ein Interview, in dem sich Senning 1998, zwei Jahre vor seinem Tod, an die Anfänge der Technik erinnerte.

"Elmqvist kontrollierte meine Messungen. Er fand meine Idee gut und versprach, einen Schrittmacher zu bauen, kam aber nicht dazu. Auch ich hatte andere Dinge zu tun, darum war ich darüber gar nicht unglücklich. Dann erschien plötzlich Frau Larsson, die Ehefrau dieses berühmten Arne Larsson, und sagte: Sie müssen meinem Mann einen Herzschrittmacher einsetzen."

Else Marie Larsson hatte einen Zeitungsbericht über die Elektro-Stimulation des Herzens gelesen. Ihr Mann litt nach einer Austernvergiftung an anfallartig auftretenden Herzstillständen - dem sogenannten "Adams-Stokes-Syndrom".

"Die Frau kam zu mir, weil Arne Larsson eine zunehmende Herzinsuffizienz hatte - mit niedrigem Puls, geschwollenen Beinen und so weiter. Er bekam jeden Tag zwanzig bis dreißig Adams-Stokes-Attacken. Ich sagte zu seiner Frau: Keine Chance, ich hatte ja noch gar keinen Schrittmacher."

Aber Frau Larsson insistierte.

"Er weigerte sich kategorisch, sagte, das Gerät sei noch nicht reif, um in einen menschlichen Körper verpflanzt werden zu können. Noch niemand habe so etwas versucht. Ich antwortete: Sie haben doch selber gesagt, ich werden meinen Mann verlieren, wenn nichts unternommen wird!”"

Die Ärzte taten alles, um den damals 43-Jährigen Larsson am Leben zu halten - nicht nur mit Medikamenten.

""Wenn ich diese Adams-Stokes-Attacken bekam, gab es nur ein Mittel, mich wieder zu Bewusstsein zu bringen: mir Whisky einzuflößen."

Doch der Patient wurde immer schwächer.

""Ich rief also Rune Elmqvist an. Und sagte: Wenn ein Mensch zu ertrinken droht, reicht man ihm die Hand! Elmqvist hatte das Gerät nicht gebaut, die Kardiologen waren absolut dagegen. Sie fanden es zu gefährlich. Als dieser Patient in so eine bedrohliche Situation geriet, erklärte sich der Direktor mit einem Schrittmacher schließlich einverstanden. Elmqvist baute zum Glück zwei. Ich begann, abends um neun Uhr zu operieren. Nachts um zwei Uhr rief ich Elmqvist an und sagte: Es ist vollbracht, ich habe diesen verdammten Schrittmacher eingesetzt.”"

Der erste Schrittmacher versagte bereits nach wenigen Stunden. Senning setzte das zweite Gerät ein. Larsson überlebte - und erfuhr die rasante Entwicklung der Technik buchstäblich am eigenen Leibe. In den nächsten 43 Jahren wurden ihm insgesamt 22 Herzschrittmacher mit fünf verschiedenen Elektroden-Systemen eingesetzt. Neue Batterien erhöhten die Lebensdauer.

Moderne Schrittmacher halten acht bis zehn Jahre, wiegen nur noch 20 Gramm, die Operation findet unter örtlicher Betäubung statt - eine Routinesache. Seit 1965 gibt es Geräte, die das Herz nur bei Bedarf stimulieren. Eine ausgefeilte Mikroelektronik passt sich dem natürlichen Herzrhythmus an. Unzähligen Menschen rettete die Technik das Leben - so wie Arne Larsson, der am 28. Dezember 2001 in Stockholm im gesegneten Alter von 86 Jahren einem Krebsleiden erlag.