Schützende Mauer aus Worten
Eine Zeitungsnotiz über ein Verbrechen an einer jungen Frau inspiriert den schwedischen Schriftsteller Lars Gustafsson zu seiner Verserzählung „Die Sonntage des amerikanischen Mädchens“. Die traditionelle Form gibt der von ihm fiktionalisierten Erinnerung der Ermordeten einen Rahmen.
Der Verserzählung „Die Sonntage des amerikanischen Mädchens“ des schwedischen Schriftstellers Lars Gustafsson liegt ein authentisches Verbrechen zugrunde. In seinem Nachwort vermerkt er, dass ein junges Mädchen an einem Sonntagmorgen beim Waschen eines Autos von zwei Männern entführt, vergewaltigt und getötet wurde. Diese Zeitungsnotiz provoziert in ihm einen Schreibvorgang, dem Entsetzen zugrunde liegt, aber auch der Gedanke, diesem namenlosen Mädchen ein literarisches Denkmal zu setzen. Das unbekannte Opfer soll eine Stimme bekommen. Natürlich, so betont Gustafsson, ist diese Stimme, „wie alles andere in meiner Erzählung, frei erfunden“.
Lars Gustafsson hat sich mit seinem Romanprojekt „Risse in der Mauer“ als ein Meister der literarischen Selbsterfahrung gezeigt. Seine Suchbewegungen verlaufen dabei über die Negation dessen, was wir in uns zu erkennen meinen. Ich ist natürlich ein anderer, lässt sich an seinem sachten, aber bestimmten Duktus immer wieder ablesen.
Aber wie kann man einer authentischen Figur eine Stimme verleihen, wenn diese noch nicht einmal genug (Lebens-)Zeit hatte, um sich selbst zu erfahren. Was soll überhaupt erinnernd rekonstruiert werden, wo nur Entsetzen und Trauer zu herrschen scheinen.
Mit der Verserzählung wählt Gustafsson eine traditionelle Form, die ihm künstlerisch Halt gibt und ihn auch emotional in die Schranken verweist. In zehn Versen wirft er ein Netz der Erinnerung aus, um einer gestrandeten Hoffnung habhaft zu werden, die über den konkreten Fall hinausweist und verschiedene Ebenen des Erinnerns aktiviert. Wo der Tod das innere Wachsen unmöglich gemacht hat, baut sich nun von außen eine schützende Mauer aus erinnernden Worten auf. Dabei entsteht der erste Versteil mit der Überschrift „Von Licht zu Licht“, in dem es heißt: „Es ist schwer zu wissen, im vagen Licht der Erinnerung/was wirklich schwer war und an was wir uns als schwer erinnern.“
An zehn Sonntagen lässt Gustafsson die unbekannte Stimme des amerikanischen Mädchens auferstehen. Ihr Sprechen dient der Erinnerung und hat im poetischen Gewand des Verses doch zugleich nichts mehr mit der Ermordeten zu tun. Die Mordtat als fundamentales Vergehen an der Schöpfung wird als Ur-Angst diagnostiziert. Dass die Mörder im Fall des Mädchens gefasst und hingerichtet wurden, vermag keine Tröstung zu spenden, da es „oberflächliche“ und „uninteressante“ Strafen sind. „Bald werden die Toten vergessen,/dass es sie je gegeben hat! Der Heilige,/wenn es ihn gibt, und der Dämon/teilen dasselbe Schicksal“, verkündet die Stimme resigniert am sechsten Sonntag.
Lars Gustafsson konnte seine Verserzählung, die er bereits 1999 in Austin/Texas begonnen hatte, erst 2005 in Berlin vollenden. Diese zeitliche Distanz scheint dem ergreifenden wie künstlerisch wertvollen Textgewebe ebenfalls eingeschrieben.
Rezensiert von Carola Wiemers
Lars Gustafsson, Die Sonntage des amerikanischen Mädchens, Eine Verserzählung
Aus dem Schwedischen von Verena Reichel,
Edition Lyrik Kabinett bei Hanser,
München 2008, 93 Seiten, 14,90 Euro.
Lars Gustafsson hat sich mit seinem Romanprojekt „Risse in der Mauer“ als ein Meister der literarischen Selbsterfahrung gezeigt. Seine Suchbewegungen verlaufen dabei über die Negation dessen, was wir in uns zu erkennen meinen. Ich ist natürlich ein anderer, lässt sich an seinem sachten, aber bestimmten Duktus immer wieder ablesen.
Aber wie kann man einer authentischen Figur eine Stimme verleihen, wenn diese noch nicht einmal genug (Lebens-)Zeit hatte, um sich selbst zu erfahren. Was soll überhaupt erinnernd rekonstruiert werden, wo nur Entsetzen und Trauer zu herrschen scheinen.
Mit der Verserzählung wählt Gustafsson eine traditionelle Form, die ihm künstlerisch Halt gibt und ihn auch emotional in die Schranken verweist. In zehn Versen wirft er ein Netz der Erinnerung aus, um einer gestrandeten Hoffnung habhaft zu werden, die über den konkreten Fall hinausweist und verschiedene Ebenen des Erinnerns aktiviert. Wo der Tod das innere Wachsen unmöglich gemacht hat, baut sich nun von außen eine schützende Mauer aus erinnernden Worten auf. Dabei entsteht der erste Versteil mit der Überschrift „Von Licht zu Licht“, in dem es heißt: „Es ist schwer zu wissen, im vagen Licht der Erinnerung/was wirklich schwer war und an was wir uns als schwer erinnern.“
An zehn Sonntagen lässt Gustafsson die unbekannte Stimme des amerikanischen Mädchens auferstehen. Ihr Sprechen dient der Erinnerung und hat im poetischen Gewand des Verses doch zugleich nichts mehr mit der Ermordeten zu tun. Die Mordtat als fundamentales Vergehen an der Schöpfung wird als Ur-Angst diagnostiziert. Dass die Mörder im Fall des Mädchens gefasst und hingerichtet wurden, vermag keine Tröstung zu spenden, da es „oberflächliche“ und „uninteressante“ Strafen sind. „Bald werden die Toten vergessen,/dass es sie je gegeben hat! Der Heilige,/wenn es ihn gibt, und der Dämon/teilen dasselbe Schicksal“, verkündet die Stimme resigniert am sechsten Sonntag.
Lars Gustafsson konnte seine Verserzählung, die er bereits 1999 in Austin/Texas begonnen hatte, erst 2005 in Berlin vollenden. Diese zeitliche Distanz scheint dem ergreifenden wie künstlerisch wertvollen Textgewebe ebenfalls eingeschrieben.
Rezensiert von Carola Wiemers
Lars Gustafsson, Die Sonntage des amerikanischen Mädchens, Eine Verserzählung
Aus dem Schwedischen von Verena Reichel,
Edition Lyrik Kabinett bei Hanser,
München 2008, 93 Seiten, 14,90 Euro.