Schüler - rücke vor bis auf Los!

Von Harald Prokosch · 02.07.2009
Hereinspaziert, machen Sie mit, spielen Sie mit und gewinnen Sie! In Berlin gibt's bald sogar als Preis einen Platz am Gymnasium! Klingt wie ein Witz? Ist aber keiner.
Denn in Berlins großer geplanter Schulreform spielt das Glück künftig eine große Rolle. Die neue Struktur sieht vor, dass die Schüler nach Klasse 6 nur noch die Wahl zwischen zwei Schulformen haben: Sekundarschule mit Abi nach 13 Jahren, oder Gymnasium mit Abi nach Klasse 12.

Was Berlins Bildungssenator Zöllner besonders am Herzen liegt, ist die Vermeidung sozialer Inseln. Deshalb hat er sich für den Übergang von der Grundschule aufs Gymnasium eine besondere Idee einfallen lassen: Die Schul-Lotterie.

Wenn also künftig an einem Gymnasium mehr Anmeldungen eingehen, als Plätze verfügbar sind, wird gelost. Der Schulleiter kann einen Teil der Plätze anhand von Leistungen und dem Profil seines Gymnasiums vergeben, der andere Teil, mindestens 30 Prozent, wird per Losverfahren vergeben, damit jeder Schüler sich an jedem Gymnasium bewerben kann.

Man mag der Lotterie-Idee mit etwas good-will sogar noch eine positive Absicht unterstellen, aber ernst nehmen kann man das nicht wirklich. Wer berücksichtigt eigentlich die Argumente der Praktiker und der Eltern? Wer wägt das Argument einer stärkeren Durchmischung ab gegen die Vielzahl von Gegenargumenten, die in den vergangenen Wochen eine Protestwelle aus allen Ecken auslösten?

Macht es in der Bildungsverwaltung wirklich niemanden stutzig, dass sich kein einziger betroffener Schulleiter findet, der für das Losverfahren ist? Die Vereinigung der Oberstudiendirektoren sieht Zöllners Lotterie sogar mit großer Sorge, weil Schüler ohne entsprechende Empfehlung an die Gymnasien kommen werden. Die Lehrer müssten ihr Lerntempo an diesen Schülern ausrichten, und darunter wiederum leiden dann gute Schüler.

Wie soll das laufen an Gymnasien, die sich in ihren Profilen an Sport, Musik, Naturwissenschaften oder Sprachen orientieren? In der Regel sind sie ja besonders begehrt und werden damit wohl auch besonders von diesem Losverfahren betroffen sein. Was, wenn sie künftig mit vielen Schülern konfrontiert sind, die nicht nach Noten und Profil ausgewählt wurden?

Die landesweite Elternvertretung formuliert es noch spitzer: "Werden künftig auf der Eliteschule des Sports sprachbegabte, aber übergewichtige Schüler versuchen, ihre Liebe zur Leichtathletik zu finden? Wird man bald am Französischen Gymnasium musisch begabte Schüler ohne jeglichen Bezug zur französischen Sprache unterrichten müssen?"

Neben dem Landeselternausschuss warnt auch der Philologenverband, dass die Erfolgsquote an vielen Gymnasien sinken wird, weil die Lehrer sich künftig eben mehr um schwächere Schüler kümmern müssten. Für viele Bildungsbürger sei damit klar: raus aus dem öffentlichen Schulsystem und die Kinder auf Privatschulen schicken.

Schade übrigens für die wirklich guten Schüler, die bei der Anmeldung nicht berücksichtigt werden können und auch kein Losglück haben. Was mit ihnen passiert, ist nämlich noch völlig unklar.

Und wie passt das alles zusammen mit dem aktuellen Bericht der Schulinspektion, einem Kontrollinstrument, das nach den miserablen PISA-Ergebnissen an deutschen Schulen vor fünf Jahren eingeführt wurde. Neben Unterrichtsqualität und Personalführung werden auch Kriterien wie die Einbeziehung der Eltern, Teamarbeit der Lehrer oder die Öffnung der Schulen nach außen untersucht.

Dem Schulsenator kann doch nicht entgangen sein, dass sich der Unterricht an Berlins Schulen binnen Jahresfrist deutlich verschlechtert hat. In rund 70 Prozent der besuchten Unterrichtsstunden waren die Lehrer nicht hinreichend geübt darin, Kinder individuell je nach Leistungsstand zu fördern oder sie zum selbstständigen Lernen anzuregen. Auch dass nur 20 von 150 Berliner Schulen ein Konzept dafür haben, wie starke und schwache Schüler gezielt gefördert werden, deckt der Bericht auf.

Wird nicht gerade das zum Knackpunkt an einem Gymnasium, bei dem ein Drittel der Schüler künftig zugelost wird?

Man möchte dem Schulsenator zurufen: Note mangelhaft - nachsitzen!

Harald Prokosch, Jg. 1959, Redakteur und Fernsehmoderator mit Stationen Stuttgarter Zeitung, Süddeutscher Rundfunk, SAT 1, ntv, Hauptabteilungsleiter Regionales SFB, jetzt Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Siemens Deutschland, Berlin