Schrittweise Annäherung

Von Stephan Detjen · 10.10.2013
Heute kommen die Spitzen von Union und Grünen zu Sondierungsgesprächen zusammen. Zwar glaubt kaum jemand an eine schwarz-grüne Koalition, dennoch markiert das Treffen die nächste Etappe einer Annäherung, die bereits in den 90er-Jahren begann.
Nächstes Kapitel in der Geschichte einer schrittweisen Annäherung. Das Schlusswort am Nachmittag wird ein vorläufiges sein. Wieder einmal. Die Textbausteine sind schon vorfabriziert:

Merkel: "Die Tür ist auch nicht dahin gehend zu, dass wir nicht – wenn die sozialdemokratischen Gespräche sich als besonders schwierig erweisen – wir nochmal überlegen, ob man auf die Grünen noch einmal zugeht."
Roth: "Wir haben sehr wohl gesagt, dass sag ich auch nochmal für mich, dass es wichtiger, vielleicht auch historischer Moment war, dass es zur Entdämonisierung kommt."

Vor acht Jahren, am 23. September 2005, saßen sich die Spitzen von Union und Grünen erstmals in Berlin gegenüber, um auszuloten, ob man gemeinsam eine Regierung bilden könne. Es wurde bekanntlich nichts daraus und auch heute sind die Weichen in Berlin längst in Richtung Großer Koalition gestellt. Doch wieder wird man die Brücken zwischen Schwarz und Grün ein Stück weiter ausbauen. Ihre Anfänge reichen schließlich auch weit zurück bis in die Zeiten der legendären "Pizza-Connection" der Bonner Republik

Altmaier: "Viele von den grünen Teilnehmern kamen selbst aus bürgerlichen Elternhäusern, hatten Väter und Mütter, die in der Kommunalpolitik aktiv waren, für die CDU, für die FDP, für andere etablierte Parteien."

Erinnert sich Bundesumweltminister Peter Altmaier an die Tafelrunden, zu denen sich ab 1995 junge Abgeordnete von CDU und Grünen regelmäßig im Bonner Restaurant Sasella trafen.

Altmaier: "Wir haben dann gespürt, dass wir ein gemeinsames politisches Gestaltungsinteresse hatten. Wir wollten nicht nur unsere eigene Parteien verändern, sondern wir wollten eben auch, dass sich in der deutschen Politik etwas positiv verändert."

Eine Generation von Mitte 30- bis Anfang 40-jährigen Politikern fand damals nicht nur in Sachfragen – etwa in der Familien- und Umweltpolitik – Übereinstimmungen. Wichtiger noch war die kulturelle Nähe zwischen den aufstrebenden Nachwuchskräften bei Union und Grünen. Man sei sich ähnlich gewesen, erinnert sich der Publizist Warnfried Dettling, der in den 80er- und 90er-Jahren selbst in Planungs- und Beratungsstäben der CDU gearbeitet hatte:

Dettling: "Ähnlich unhierarchisch, ähnlich neugierig, ähnlich gegen das Establishment eingenommen, so dass sie miteinander besser reden konnten, als etwa die CDU oder die Grünen mit den jungen Leuten der SPD, die eine gewerkschaftliche Sozialisation hinter sich hatten."

Blechkuchen statt Pizza
Mit Pizza gab sich die "Pizza-Connection" beim Italiener in Bonn Kessenich nie zufrieden. Man wusste auf beiden Seiten, dass die italienische Küche Feineres zu bieten hatte. In der Parlamentarischen Gesellschaft, dem Abgeordnetenclub gegenüber dem Berliner Reichstagsgebäude wird es heute Nachmittag Blechkuchen und vielleicht eine Kartoffelsuppe geben. Einige der Teilnehmer der heutigen Sondierungsrunde saßen sich schon bei den ersten Annäherungen zwischen CDU und Grünen in den 90er-Jahren gegenüber, CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe, Kanzleramtschef Ronald Pofalla, die gestern zur grünen Fraktionsvorsitzenden gewählte Katrin Göring-Eckardt und Parteichef Cem Özdemir.

Özdemir: "Was davon geblieben ist, ist bei mir beispielsweise eine Freundschaft mit Armin Laschet in Nordrhein-Westfalen, aber auch mit anderen. Die besteht auch fort. Man duzt sich, man kennt sich, man sieht sich gelegentlich oder geht auch mal was essen oder trinken."

Erste Begegnungen aufstrebender Parteirebellen, Freundschaften, zahllose schwarz-grüne Bündnisse in Städten und Gemeinden, Entdämonisierung auf beiden Seiten – die Geschichte schwarz-grüner Annäherung ist auch ein Kapitel politischer Kulturgeschichte der Bundesrepublik. Freundlich wird man heute auseinander gehen, nicht voneinander scheiden. Man wird und man will sich wieder begegnen. Die nächste Wahl, das wissen beide Seiten, ist spätestens im Herbst 2017.