Schriftstellerpaar Eva Sichelschmidt und Durs Grünbein

„Desillusion ist unser Trost"

Schriftsteller-Ehepaar Eva Sichelschmidt und Durs Grünbein
Ein in vieler Hinsicht unterschiedliches Paar: Eva Sichelschmidt und Durs Grünbein © Sven Paustian
Eva Sichelschmidt und Durs Grünbein im Gespräch mit Katrin Heise · 27.02.2019
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Gedichte, Prosa, Kinder und ein Whiskyladen verbinden Eva Sichelschmidt und den Büchner-Preisträger Durs Grünbein. Das schreibende Ost-West-Paar liest sich gern vor - und pendelt zwischen Berlin und Rom.
Durs Grünbein ist ein renommierter Dichter, seine Frau Eva Sichelschmidt hat viel anderes gemacht, bevor sie das Schreiben für sich entdeckte. Dabei kommen sie sich nicht in die Quere. Im Gegenteil: das Paar liebt die Literatur und liest sich gern vor. Und in ihren Berliner Whisky & Cigar Laden lädt Eva Sichelschmidt auch Schriftsteller ein, unter anderem ihren Mann Durs Grünbein.
"Die Tatkraft" schätze er an seiner Frau, sagt der Dichter Durs Grünbein über Eva Sichelschmidt. "Das Schreiben ist durch ihn in mein Leben gekommen und das ist eine Orientierung, die so weit weg ist, dass es nie langweilig wird", sagt Eva Sichelschmidt über ihren Mann. Die beiden schreiben und leben unter einem Dach und scheinen sich nicht in die Quere zu kommen.

Kindheiten in Dresden und Wuppertal

Er ist in Dresden aufgewachsen und hat die DDR mit all ihren Facetten erlebt. Sie kam nach dem frühen Tod ihrer Mutter zu den Großeltern ins Bergische Land bei Wuppertal, war also zunächst tief im Westen Deutschlands verwurzelt.
Kreativ sind beide, aber ganz unterschiedlich. Eva Sichelschmidt machte mit 16 eine Lehre zur Damenschneiderin. Ihr Interesse dafür wurde schon in ihrer Kindheit geweckt: "Die Modeleidenschaft kam aus der Familie meiner Mutter, die ja früh gestorben ist, und meine Großmutter hatte fast deren gesamten Modefundus aufbewahrt. Und das war eine interessante Zeit – da waren auch noch die 60er-Jahre dabei, schöne Modellkleider und mit denen durfte ich spielen."
Sichelschmidt verliebte sich, kaum war sie 18, in Berlin und zog kurz vor der Wende dorthin: "Das war wie ein Abenteuerspielplatz, wo man tun und lassen konnte, was man wollte. Ich hatte mir vorgenommen, ich komme hier mit meinen Latten und meinen Nägeln an und spiele so vor mich hin." Sie holte ihr Abitur nach, machte eine Zusatzausbildung und eröffnete kurz vor der Wende ein Maßatelier für Braut- und Abendkleider mitten in Berlin-Kreuzberg. "Ich habe mich dann in so einer Art Kreuzberger Künstlerszene bewegt, aber dadurch, dass dann auch der Mauerfall stattgefunden hatte, war es eine Zeit, wo man sich an nichts wirklich festhalten konnte. Die Partys und die Clubs zogen so schnell um wie auch meine Freunde und es war nicht so einfach, die Dinge zu halten."

Grünbein wurde von Heiner Müller entdeckt

Der hochgefeierte Dichter Durs Grünbein ist seiner Geburtsstadt Dresden bis heute eng verbunden. "Diese Stadt hat natürlich durch ihr besonderes Schicksal, den Untergang gegen Kriegsende, für viele, die da groß geworden sind, fast einen verpflichtenden Charakter. Anhand dessen entwickelt man ein historisches Bewusstsein. Das war für mich sehr früh klar. Ich musste herausfinden, wieso ist denn diese Stadt untergegangen?" Dennoch zog es ihn nach Berlin, wo er unter anderem Theaterwissenschaften studierte, am Theater arbeitete, Stücke übersetzte. Seine eigentliche Leidenschaft galt aber schon früh dem Dichten. Es war der Theaterregisseur Heiner Müller, der sein Talent entdeckte. "Da war eine große Mappe entstanden, und die war zu Heiner Müller gelangt, der mich daraufhin kennen lernen wollte und von dem Moment waren wir im Gespräch. Praktisch konnte das so aussehen, dass nachts nochmal ein Anruf kam und ich bin zu ihm rausgefahren und das waren wirklich wichtige Gespräche. Er war im Grunde auch die einzige Schriftstellerinstanz, die ich richtig geachtet hatte damals. Und er war derjenige, der das Manuskript weitergab an den Suhrkamp Verlag." Bereits im Alter von 33 Jahren erhielt er 1995 den Georg Büchner Preis. 22 Werke sind inzwischen von ihm erschienen.
"Aus der Traum (Kartei)" heißt das jüngste Buch von Grünbein – es handele sich um eine Sammlung aus seiner "Traumdatei". Der erste Roman von Eva Sichelschmidt wiederum trägt den Titel "Die Ruhe weg" - die Autorin hat darin Teile ihrer eigenen Biografie verarbeitet. Ironisch, stellenweise böse und mit lässiger Feder schildert sie die Lebenskrise ihrer Protagonistin Marlies, einer Endvierzigerin, die darunter leidet, dass der Lack ab ist.

Eine Liebe zu Rom

In beiden Büchern gehe es unter anderem um Träume, die sich nicht erfüllt haben, sagt Eva Sichelschmidt und sieht eine Gemeinsamkeit des in vieler Hinsicht so unterschiedlichen Paares: "Desillusion ist unser Trost. Immer dann, wenn man etwas erkannt hat, auch das, was man sich erträumt hat, sich als nicht existent herausstellt, hat das nach einer kleinen Leidensphase etwas ganz Versöhnliches."
Durs Grünbein und Eva Sichelschmidt teilen auch ihr Interesse an politischen Fragen und ihre Liebe zu Rom. Mit ihren Kindern pendeln sie regelmäßig zwischen beiden Hauptstädten.

Durs Grünbein: Aus der Traum (Kartei) - Aufsätze & Notate
Suhrkamp Verlag, Berlin, 2019, 28 Euro

Eva Sichelschmidt: Die Ruhe weg. Roman
Albrecht Knaus Verlag, München, 2017, 19,99 Euro

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