Schriftstellerin

Worte wie Juwelen

Trümmer der Geschichte - Teile der Betonmauer, Stacheldraht, Gitterzaun und Betonreste der Berliner Mauer liegen im Ortsteil Steinstücken bei Potsdam auf einem Gelände, aufgenommen im August 1990.
Die Ankunft im Westen war nicht leicht: "Es gab diese Momente absoluter Verlorenheit, wo man dachte: Was habe ich getan, warum bin ich hier?", sagt Nellja Veremej. © picture alliance / dpa / dpa-Zentralbild
Von Georg Gruber · 06.03.2014
"Berlin liegt im Osten“ heißt Nellja Veremejs Debütroman. Ich-Erzählerin und Autorin haben vieles gemeinsam: Beide sind in der ehemaligen Sowjetunion aufgewachsen, beide zog es nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nach Berlin.
Berlin, Alexanderplatz. Es ist kalt und zugig, die Passanten sind in Eile. Die Ich-Erzählerin Lena in Nellja Veremejs Debüt "Berlin liegt im Osten“ kann aus dem Fenster ihrer Wohnung auf den eigentlich immer unwirtlichen Platz hinunter schauen. Ich-Erzählerin und Autorin haben vieles gemeinsam: Beide sind in der ehemaligen Sowjetunion aufgewachsen, im hintersten Winkel des Kaukasus, der Vater beim Militär, beide zog es gen Westen und nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nach Berlin:
"Am Anfang meinten wir den Westen gar nicht politisch, es war rein geografisch gemeint und rein ein Ort wo es wärmer ist, wo die Infrastruktur dichter ist, wo dann das Leben vielleicht nicht so rau ist. Und mit der Zeit, mitten in meinem Leben, wo ich dann jung war, dann spielte auch eine andere Komponente des Wortes mit, diese Verführung, dass der Westen auch politisch was anderes ist, was real existierendes - wie ein Paradies auf Erden usw usf."
Nellja Veremej sitzt im Café der Berliner Gemäldegalerie. 50 Jahre alt ist die Schriftstellerin, aber sie wirkt jünger. Zierlich, wache braune Augen, eine graue Wollmütze über den rotbraunen Haaren. Sie hat gerade eine Stadtführung hinter sich, für Touristen aus Russland. In den neunziger Jahren arbeitete sie als Sprachlehrerin, später auch als Altenpflegerin, so wie Lena in ihrem Roman, die ein Verhältnis mit einem ihrer Patienten eingeht. Einem Journalisten und Intellektuellen, der sein Leben zu DDR-Zeiten ohne anzuecken in der Mitte der Gesellschaft führte.
"Oft wenn man Filme über die DDR guckt oder Bücher, ist es mein Empfinden, dass man alles schwarz-weiß markiert. Manchmal hat man das Gefühl, nach einem Film, dass da nur heldenhafte Dissidenten und dann irgendwelche widerlichen Stasimenschen gelebt haben. Und mir hat immer gefehlt ein normales Leben, ein normaler Mensch, der eigentlich intelligent ist, nicht bösartig, aber er geht diesen Weg bis zu Ende."
Tragödien nach der Wende
Der Journalist ist eine ausgedachte Figur. Aber eine, die sich aus echten Biografien speist, aus Begegnungen mit den Eltern von Freunden in Ost-Berlin:
"Du kommst in eine Wohnung, in Bücherregalen siehst du Bücher, die du sehr magst, wunderbare Bücher, Kafka und Thomas Mann und das alles. Und du siehst, das sind sehr sensible und sehr feine Menschen. Und es ist tatsächlich eine Tragödie für die nach der Wende. Natürlich ist das Leben zum Besseren geworden, aber dieses Gefühl, ich hab alles falsch gemacht oder das war alles verlogen oder das taugte alles gar nicht - das Thema beschäftigte mich sehr. Ich empfinde viel Empathie diesen Menschen gegenüber. Und so ist diese Person entstanden."
Nellja Veremej ist ein vielschichtiges Debüt gelungen. Es geht darin auch um Lebensentwürfe und um das Ankommen und Einfinden im vermeintlichen Paradies.
"Momentan fühle ich mich ganz anders, aber so wie die Protagonistin, so habe ich mich vor zehn Jahren tatsächlich gefühlt. Es gab diese Momente absoluter Verlorenheit, wo man dachte: Was habe ich getan, warum bin ich hier und was mache ich hier und ich habe nichts, ich habe niemanden, ich habe keine höhere Aufgabe im Leben. Und ich hatte tatsächlich die Zeit einer tiefen Resignation, wo ich dachte, irgendwie habe ich soviel geträumt und daraus ist nichts geworden! Wo ich im Endeffekt keinen richtigen Beruf hatte. Diese Zeit, sich einzuleben, das dauerte bei mir sehr lange."
Seit 20 Jahren lebt sie nun schon in Berlin, ist verheiratet mit einem Deutschen, hat zwei Kinder. Für Literatur interessierte sie sich schon als Jugendliche. Aber auf Deutsch schreibt sie erst seit einem Praktikum bei der Wochenzeitung "der Freitag“ vor zehn Jahren. Zwei Kurzgeschichten, die dort erschienen, wurden bei einem Literaturwettbewerb ausgezeichnet.
"Haben Sie denn einen Roman?"
"Und von da an haben mich dann mehrere Menschen gefragt: Na, jetzt haben Sie zwei Preise, haben Sie denn einen Roman? Habe ich gesagt: Nein, aber ich habe Kurzgeschichten, ich hab viele kurze Texte. Nein nein, ein Roman! Ohne Roman ist man niemand, kein Schriftsteller. Und da habe ich angefangen, mir Gedanken zu machen."
Ihr Debüt ist auch ein Zeitdokument, das Bild einer Stadt, die sich ständig verändert – so wie schon in Döblins "Berlin Alexanderplatz“. Ein Buch, das auch in ihrem Roman immer wieder durchscheint:
"Es war tatsächlich eine Momentaufnahme, zum Beispiel diese tadschikische Teestube ist weg, der russische Laden, der Lebensmittelladen ist auch weg, dann der Schlossplatz wird auch bebaut, damals war es eine Lücke, ein Loch mitten in der Stadt. Und die Inschrift von Döblin, da gab's in der Alexanderstraße an der Fassade eines Hauses gab's so eine Zitat aus dem Roman, die gibts auch nicht mehr. Der Text wurde dann abmontiert, in der Zeit, wo ich das Manuskript abgegeben habe."
Im Moment arbeitet sie an einem neuen Romanprojekt. Das Schreiben in einer fremden Sprache ist natürlich anders als in der Muttersprache.
"Einerseits schwieriger, der Widerstand ist viel größer, wenn man auf Deutsch schreibt. Gleichzeitig vielleicht auch irgendwie leichter, weil die Wörter sind dann für mich immer neu und immer faszinierend. Ich sammle sie und jeden Tag lerne ich noch ein Wort. Und das ist dann für mich wie Juwelen."
Infos zum Buch:

Nellja Veremej: Berlin liegt im Osten
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2013
336 Seiten, 22,00 Euro

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