Schriftstellerin Maria Dabrowska

Eine Kämpferin für die Selbstbestimmung

Die polnische Autorin und Publizistin Maria Dąbrowska (1889-1965), hier mit dem polnischen Schriftsteller und Kritiker Antoni Slonimski bei einem Treffen 1957 in Warschau.
Die polnische Autorin und Publizistin Maria Dąbrowska (1889-1965), hier mit dem polnischen Schriftsteller und Kritiker Antoni Slonimski bei einem Treffen 1957 in Warschau. © picture alliance / dpa / Forum Lucjan Fogiel
Von Helga Hirsch · 19.05.2015
Die polnische Schriftstellerin Maria Dąbrowska wurde verehrt als Anwältin der einfachen Leute, später geschätzt als Linke, die sich den Kommunisten verweigerte. Sie starb vor 50 Jahren. Enthüllungen in ihren Tagebüchern haben ihrer Beliebtheit keinen Abbruch getan.
"Ich lebe schon seit 30 Jahren in Warschau, in demselben Haus, in derselben Straße. Hier verlebte ich den Großteil meines Lebens, und hier entstand die Mehrzahl meiner Texte."
Als Maria Dąbrowska diese Zeilen schrieb, war sie bereits eine anerkannte und hochgelobte Schriftstellerin. Nach einem Studium im Ausland hatte sie sich 1917 in Warschau niedergelassen. Doch nicht die polnische Hauptstadt wurde zum Schauplatz fast all ihrer literarischen Werke, sondern die polnische Provinz: die Gegend um die großpolnische Stadt Kalisz, das Land ihrer Kindheit.
Maria Dąbrowska, geb. Szumska, wurde am 6. Oktober 1889 in die Familie eines verarmten Landadeligen geboren. Als junge Frau engagierte sie sich in Bildungsfragen, in der Genossenschaftsbewegung und machte als Publizistin auf die Beschneidung von Bürgerrechten aufmerksam. Die Helden ihrer frühen Erzählungen sind einfache, arme, gestrandete Menschen auf dem polnischen Dorf: Knechte, arme Bauern, Banditen, Gutsangestellte, Dirnen. Teils tragische, benachteiligte, trotz Armut und Unglück aber immer wieder auch glückliche Menschen. Ihr bekanntestes Werk, der Roman "Nächte und Tage", der zwischen 1932 und 1934 entstand, spielt ebenfalls auf dem Land. Doch hier entfaltet sie vor großem historischem Hintergrund die Geschichte einer Adelsfamilie. Dazu die Literaturwissenschaftlerin Brigitta Helbig:
"Das war eine relativ angenehme und gar nicht so schwierige Lektüre, da es dabei sowohl um ein Panorama der polnischen Gesellschaft an der Schnittstelle zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert ging, als auch um überzeugende und spannende Menschenporträts, um sehr einfühlsame Menschenporträts, vor allem um das Porträt einer Liebe eines Ehepaares, um die Schwierigkeiten des Ehelebens und auch um die Eigentümlichkeiten eines weiblichen und eines männlichen Charakters."
"Sie nahm sich einfach viele Freiheiten in ihrem Leben"
Im sozialistischen Polen erfreute sich der Roman großer Popularität. Er wurde in den 1970er-Jahren verfilmt, diente als Vorlage für eine Fernsehserie und gehörte zur Pflichtlektüre in der Schule. Heute wirkt der Roman ein wenig antiquiert. Auf Interesse stoßen hingegen weiterhin Dąbrowskas Tagebücher, die erst 2008 freigegeben wurden, über 40 Jahre nach ihrem Tod.
"Dort finden wir nicht nur spannende Kommentare zur Literatur, Kultur, aber auch Politik und Gesellschaft vor und nach dem Zweiten Weltkrieg in Polen, sondern vor allem interessante Enthüllungen zum Privatleben."
Zur Überraschung der Leser stellte sich heraus, dass Dąbrowska, die nach dem frühen Tod ihres Mannes lange Jahre einen weiteren Lebenspartner hatte, auch lesbische Beziehungen eingegangen war. Brigitta Helbig:
"Sie nahm sich einfach viele Freiheiten in ihrem Leben, die damals den Frauen nicht so selbstverständlich zustanden, aber sie hat sich dafür nicht engagiert. Sie hat das jedenfalls nicht auf ihre Fahnen geschrieben, den Kampf um ein freies sexuelles Leben, auch als Bisexueller oder Homosexueller."
Gegen Ende des Lebens scheint Dąbrowska mit ihren Beziehungen zu Frauen sogar gehadert zu haben. So notierte sie im Tagebuch :
"Mein ganzes Leben habe ich mit Männern verbracht, und das war ein glückliches Leben. Vielleicht wäre ich, wie mir alle vorhersagten, fröhlich, jung und stark geblieben, wenn dies eine Fortsetzung gefunden hätte. Das Unglück meines Lebens besteht darin, dass ich es in Gesellschaft von Frauen beende."
Im Alter fühlte sich Dąbrowska zunehmend einsam, kämpfte mit gesundheitlichen Problemen, verfiel in Depression. Sie starb am 19. Mai 1965 im Alter von 75 Jahren. Die Enthüllungen im Tagebuch haben ihrer Wertschätzung keinen Abbruch getan. Im Gegenteil: Maria Dąbrowska gilt heute als moderne, aufgeklärte, selbstbestimmte Frau.
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