Schriftstellerin Juli Zeh

"Verachtung für Politik ist der wahre Grund der AfD-Erfolge"

Juli Zeh, deutsche Juristin und Schriftstellerin.
Juli Zeh, deutsche Juristin und Schriftstellerin. © picture alliance / dpa / Erwin Elsner
Juli Zeh im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 13.11.2017
In ihrem Roman "Leere Herzen" hat eine Besorgte-Bürger-Bewegung die Regierung in Deutschland übernommen. Damit will Juli Zeh auf demokratiefeindliche Mentalitäten hinweisen. Sie selbst ist jetzt aus Trotz in eine Partei eingetreten.
Die 43-jährige Autorin und Juristin Juli Zeh möchte mit ihrem neuen Roman "Leere Herzen" einen Zeitgeist in Deutschland abbilden, der die Demokratie und ihre Institutionen verachte. Literatur werfe gern kritische Blicke auf die Welt und zeige auch mal am Negativbeispiel, "worum es geht":
"Das ist keine Prognose, ich bin wirklich keine Apokalyptikerin, ich will auf keinen Fall sagen: ,Wir steuern hier in den gesellschaftlichen Untergang, die Demokratie wird sterben.‘ Sondern ich möchte eigentlich eher zeigen, was für Tendenzen es gibt, und dann vielleicht auch helfen, von diesem Weg runterzukommen."

Ursprünglich ein Gedankenspiel

In Zehs literarischer Zukunftsvision hat Angela Merkel als Bundeskanzlerin abgedankt, an der Macht in Deutschland ist nun eine "Besorgte-Bürger-Bewegung" BBB. Als sie die Arbeit an dem Roman vor fast zwei Jahren begann, hielt Juli Zeh eine solche Situation noch für ein reines Gedankenspiel:
"Mir ging es zwar schon um aktuelle Tendenzen in unserer Gesellschaft, um Mentalitäten, aber dass wirklich jetzt eine rechtspopulistische Bewegung an die Regierung kommt, das hielt ich eigentlich nicht für sehr wahrscheinlich. Jetzt, muss ich leider sagen, hat die Bundestagswahl 2017 mit ihrem Ergebnis meinen Roman schon ein kleines Stück weit eingeholt. Ich möchte aber trotzdem eigentlich glauben, dass sie es nie, nie, niemals an die Regierung schaffen würden, also niemals einen Kanzler stellen würden."

Die Partei als Kampfplatz

Nachdem Juli Zeh sich schon lange für die SPD engagiert hatte, ist sie vor kurzem in die sozialdemokratische Partei eingetreten. Das sei ein Schritt gegen den Trend und fast schon eine Trotzreaktion gewesen: "Ich hab ein Problem mit dieser allgemeinen, immer stärker verächtlichen Haltung gegenüber der Demokratie und ihren Institutionen. Ich glaube auch, dass diese sehr verbreitete Verachtung für Politik der wahre Grund oder die wahre Ursache hinter den Erfolgen der AfD ist, gar nicht so sehr wirklich ausländerfeindliches Denken." Das Gespräch über Politik dürfe nicht nur den Politikern und Journalisten überlassen werden.
Entgegen einer verbreiteten Meinung würde der Beitritt zu einer Partei nicht Unterordnung unter eine Parteilinie und ein bestimmtes Programm bedeuten, meint Juli Zeh: "Die Menschen denken immer, eine Partei ist dann wählbar, wenn sie sozusagen ein Angebot hat, was zu mindestens 80 Prozent unseren Wünschen entspricht. (…) Parteien sind ja keine Bauchläden, wo man sich was aussucht, sondern man muss da reingehen, um die eigenen Ideen zu verwirklichen. Ich würde das eher als einen Sportplatz oder Kampfplatz betrachten als so eine Art Zug, wo ich mich einfach anschließe und dann dahinter herdackele."
Zwar gehört ihr neues Buch zu dem Genre der Dystopie, einer in der Zukunft spielenden Fiktion mit negativem Ausgang, aber Juli Zeh findet auch: "Für Utopien ist eigentlich immer eine gute Zeit."
(cre)

Das Interview im Wortlaut:
Stephan Karkowsky: Die Schriftstellerin und Juristin, man muss das immer dazu sagen, Juli Zeh ist das, was man eine engagierte Bürgerin nennen kann. Ob biometrischer Reisepass oder NSA-Affäre, ihre kritische Stimme weist uns oft darauf hin, wann immer Bürgerrechte bedroht sind. Der neue Roman von Juli Zeh wirkt dagegen fast resigniert. "Leere Herzen" nennt sie die Dystopie einer düsteren Zukunft. Guten Morgen, Frau Zeh!
Juli Zeh: Guten Morgen!
Karkowsky: Angela Merkel hat abgedankt in Ihrem Roman, an der Macht ist die Besorgte-Bürger-Bewegung BBB. Nur ein Gedankenspiel? Oder halten Sie die Machtübernahme der Besorgten wirklich für möglich?
Zeh: Als ich den Roman angefangen habe zu schreiben, das ist ja jetzt auch schon wieder fast zwei Jahre her, da hielt ich das für ein reines Gedankenspiel. Mir ging es zwar schon um aktuelle Tendenzen in unserer Gesellschaft, um Mentalitäten, aber dass wirklich jetzt eine rechtspopulistische Bewegung an die Regierung kommt, das hielt ich eigentlich nicht für sehr wahrscheinlich. Jetzt, muss ich leider sagen, hat die Bundestagswahl 2017 mit ihrem Ergebnis meinen Roman schon ein kleines Stück weit eingeholt, ich möchte aber trotzdem eigentlich glauben, dass sie es nie, nie, niemals an die Regierung schaffen würden, also niemals einen Kanzler stellen würden.
Karkowsky: Ihre Hauptperson heißt Britta. Britta hatte früher mal Ideale, ist inzwischen aber desillusioniert und frei von Skrupel. Hätten Sie Angst davor, dass selbst Ihnen so was mal passieren könnte?
Zeh: Kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen. Und zwar deswegen, weil für mich Prinzipien oder vielleicht schlicht die Neigung, an Dinge zu glauben, die mir wirklich was bedeuten, wie ein Lebenselixier sind. Also mit so einer Haltung "Ach, ich interessiere mich jetzt nur noch für mich selbst, für meine kleine Welt, vielleicht für meine Familie, und die große, komplizierte, böse Welt geht mich nichts mehr an" – ich kann mir echt nicht vorstellen, dass ich so auf diese Weise überhaupt überleben könnte.
Karkowsky: Dann bemängeln Sie also an Britta das, was Sie auch in der Gegenwart immer wieder kritisieren: das Fehlen von Haltung?
Zeh: Das ist etwas, was ich tatsächlich gewissermaßen bemängele. Wobei das nicht jetzt so klingen soll, dass ich da mit dem Zeigefinger stehe und sage: Ihr bösen Leute, reißt euch mal zusammen... weil es mir nicht darum geht zu sagen, irgendjemand ist da schuld an etwas, sondern ich möchte eigentlich hinweisen auf einen bestimmten Zeitgeist, auf eine Entwicklung, eine gesamtgesellschaftliche, der man sich als Einzelner auch nicht so ohne Weiteres entziehen kann. Also es ist kein individueller Schuldvorwurf jetzt an einzelne Bürger, sondern mir geht es eher um so eine aufklärerische Tendenz, unsere Mentalität im Ganzen auf so eine sehr verdichtete Weise erlebbar und sichtbar zu machen.

Das Gespräch nicht dem "Meinungszirkus" überlassen

Karkowsky: Es gibt viele schöne Sätze im Buch, um drüber nachzudenken. Einer davon lautet: "Die wenigen verbliebenen Denker haben sich in die Blogs zurückgezogen, wo sie in einer Kombination aus Selbstanklage und Schuldzuweisung noch immer darüber streiten, wer für den Siegeszug der BBB verantwortlich ist." Sind Sie denn auch im realen Leben unzufrieden mit dem öffentlichen Diskurslevel der Intellektuellen?
Zeh: Tatsächlich würde ich mir wünschen, dass sich viel mehr Menschen, die nicht von Berufs wegen Politiker oder Journalisten sind – und das sind ja diese sogenannten Intellektuellen –, also Menschen mit einer öffentlichen Stimme, ohne beruflich schon gebunden zu sein an den Meinungszirkus gewissermaßen, also dass sich solche freie Denker häufiger, engagierter, in größerer Zahl zu Wort melden. Nicht aus Selbstzweck, sondern gerade aus dem genannten Grund, weil es einfach wichtig ist, immer wieder einen Blick von außen auf unsere Gesellschaft und unser Leben zu werfen und dieses Gespräch eben nicht den Politikern allein und den Journalisten zu überlassen.
Die Autorin Juli Zeh
Die Autorin Juli Zeh© Thomas Müller / Luchterhand
Karkowsky: Sie selbst machen das seit Jahren als Schriftstellerin, Sie engagieren sich lange schon für die SPD, seit Kurzem sind Sie auch Mitglied. Das ist ja ein Statement. Ist es auch ein bewusster Schritt gegen den Trend?
Zeh: Absolut. Meine Entscheidung, bei der SPD nun auch tatsächlich einzutreten, das Parteibuch zu nehmen, das war fast schon eine Trotzreaktion. Ich habe ein Problem mit dieser allgemeinen, immer stärker verächtlichen Haltung gegenüber der Demokratie und ihren Institutionen. Ich glaube auch, dass diese sehr verbreitete Verachtung für Politik die wahre Ursache hinter den Erfolgen der AfD ist, gar nicht so sehr wirklich ausländerfeindliches Denken, sondern eher eine Art von Politikverachtung. Ich habe hohe Frustration in mir verspürt und auch die Neigung, irgendwann zu sagen: Ey Leute, macht euren Scheiß doch alleine! Und dann dachte ich: Nein, ganz und gar nicht, sondern gerade in so einem Moment, wo man vielleicht frustriert ist, ist es wichtig, wieder nach vorne in diese Richtung zu gehen. Und deswegen bin ich dann eingetreten.
Karkowsky: Aber kann man das denn? Sie sind ja als freie Denkerin bekannt. Und wenn Sie in die SPD eintreten, ordnen Sie sich dann nicht auch in gewisser Weise der Parteilinie unter?
Zeh: Ich finde gar nicht, dass man beim Eintritt in eine Partei sich notwendig etwas unterordnet, sondern für mich ist es eigentlich eher so eine Bestärkung von etwas, was ich ja nie verheimlicht habe, nämlich dass ich am ehesten quasi der sozialdemokratischen Idee nahestehe. Ich sehe eine Partei eher als ein Betätigungsfeld. Auch das ist so eine Überzeugung, die leider ein bisschen verloren gegangen ist. Die Menschen denken immer, eine Partei ist dann wählbar, wenn sie sozusagen ein Angebot hat, was zu mindestens 80 Prozent unseren Wünschen entspricht. Das wird man aber niemals finden, so sind Parteien nicht. Das sind ja keine Bauchläden, wo man sich was aussucht, sondern man muss da reingehen, um die eigenen Ideen zu verwirklichen. Also ich würde das eher als einen Sportplatz oder Kampfplatz betrachten als jetzt so eine Art Zug, wo ich mich einfach anschließe und dann da hinterherdackele oder so.
Karkowsky: Sie hätten ja auch einen Roman schreiben können, und diese Idee mag jetzt vielen merkwürdig vorkommen, in dem die SPD das Land regiert mit absoluter Mehrheit, in dem sich quasi alles zum Guten wendet. Ist für Utopien gerade nicht die richtige Zeit?
Zeh: Doch, für Utopien ist eigentlich immer eine gute Zeit. Es ist aber halt schon so, dass die Literatur – und nicht nur meine, sondern das kann man glaube ich ein bisschen verallgemeinern – ganz gerne auch kritische Blicke auf die Welt wirft. Also wenn man jetzt nur sagen möchte, alles ist wunderbar und es wird noch viel besser, würde man sich glaube ich gattungsmäßig eine andere Kunstform anschauen. Also die sogenannte Hochliteratur oder Belletristik zeigt auch gerne mal am Negativbeispiel, worum es geht. Und ich will ja auch überhaupt nicht sagen: Guckt mal, Leute, so wird es. Das ist keine Prognose, ich will auf keinen Fall sagen – ich bin wirklich keine Apokalyptikerin –, wir steuern hier in den gesellschaftlichen Untergang, die Demokratie wird sterben, sondern ich möchte eigentlich eher zeigen, was für Tendenzen es gibt, und dann vielleicht auch helfen, von diesem Weg runterzukommen, also auch dadurch vielleicht sogar wieder zu einem zufriedeneren Leben zu kommen.

Dranbleiben, hingucken, mitmachen!

Karkowsky: Es gibt ja durchaus erste Stimmen, die fürchten, die Jamaika-Koalition könnte einer Regierungsbeteiligung von Rechtspopulisten im Bund den Weg weisen, weil sich die vier Regierungsparteien am Ende nur noch streiten werden und die Wähler dann vielleicht nach einer starken, ordnenden Hand rufen. So pessimistisch sind aber Sie nicht, oder?
Zeh: Doch, das kann passieren, das halte ich nicht für ausgeschlossen. Das sind möglicherweise einfach Folgen des Wahlergebnisses der vergangenen Bundestagswahl. Noch bedenklicher finde ich aber eben die jetzt auch schon sozusagen erwähnte Vision, dass wir bei all dem, was wir jetzt beobachten auf politischer Ebene und wie es jetzt werden wird in den kommenden Jahren – wir wissen es ja noch nicht genau –, unseren Frust immer weiter steigern, also dass immer mehr eigentlich gute, überzeugte Demokraten diesem Betrieb den Rücken zukehren und sagen: Oh Mann ey, ihr kriegt es wieder nicht hin und es ist einfach alles grauenvoll und ich bin so frustriert und Europa zerfällt und Trump regiert und die AfD wird immer stärker und so. Und dass man sich dann so innerlich abwendet davon. Und ich bin eben der Auffassung, dass dieses Abwenden das Allergefährlichste ist und dass das indirekt und mittelfristig eben auch den Rechtspopulisten immer weiter helfen wird. Also ich würde deswegen alle bitten: Dranbleiben, hingucken und mitmachen, soweit es irgendwie möglich ist!
Karkowsky: Würden Sie mir denn zustimmen, wenn ich zum Schluss sage, im Prinzip sind doch auch Sie eine besorgte Bürgerin, nur anders als in Ihrem Buch?
Zeh: Ja, der Begriff "besorgt" sagt ja eigentlich erst mal nichts aus. Es ist aber eben tatsächlich so gewesen in den letzten Jahren, und deswegen benutze ich dieses Wort, dass der Begriff des Sorgen-Machens, Sich-Sorgen-Machens immer mehr und immer häufiger von Leuten zu hören war, die sich über eine ganz bestimmte Sache sorgen, nämlich dass die Deutschen aussterben oder Deutschland sich abschafft oder wir in irgendeiner Weise überfremdet werden. Also das ist schon zunehmend zu einem rechts-orientierten Begriff geworden und deswegen würde ich ihn in diesem Zusammenhang auf mich selber auf keinen Fall anwenden.
Karkowsky: Das sagt Juli Zeh über die nicht ganz unwahrscheinliche Zukunft, die sie in ihrem neuen Roman beschreibt. Der heißt "Leere Herzen" und wird heute Abend in Berlin vorgestellt, Buchpremiere 20 Uhr im Berliner Haus des Rundfunks. Frau Zeh, danke für das Gespräch!
Zeh: Sehr gerne, danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Juli Zeh: "Leere Herzen"
Luchterhand-Verlag, München 2017
352 Seiten, 20 Euro

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