Schriftstellerin Christa Wolf beigesetzt

Von Jürgen König · 13.12.2011
Heute wurde die vor knapp zwei Wochen verstorbene Schriftstellerin Christa Wolf in Berlin beigesetzt. Hunderte Menschen harrten bei Regen und stürmischem Wind auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof aus, um die bedeutende Künstlerin zu würdigen.
Es war eine sehr große Trauergemeinde, die bei Dauerregen und kaltem, stürmischem Wind ausharrte, über Lautsprecher wurde die Trauerfeier übertragen. In der Kapelle die Angehörigen und die Freunde Christa Wolfs. Als ihre dreijährige Urenkelin Nora beim Weg in die Kapelle mit heller Kinderstimme laut und vernehmlich fragte, wo denn "die Oma Christa" sei, standen vielen der Trauergäste die Tränen auf den Wangen, wie überhaupt viel geweint wurde an diesem Vormittag auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlins Mitte.

Die Trauerfeier begann mit einem Gedicht des Lyrikers Paul Fleming, gelesen von Corinna Harfouch, ein Gedicht aus dem 17. Jahrhundert, und es wirkte wie ein Lebensmotto Christa Wolfs:

"Sei dennoch unverzagt.
Gib dennoch unverloren.
Weich keinem Glücke nicht.
Steh höher als der Neid.
Vergnüge dich an dir,
Und acht es für kein Leid
Hat sich gleich wider dich
Glück, Ort und Zeit verschworen.
Was dich betrübt und labt,
Halt alles für erkoren.
Nimm Dein Verhängnis an,
lass alles unbereut."

Die Trauerrede hielt der Dramatiker Volker Braun. Er beschrieb zunächst den Tod Christa Wolfs:

"Sie starb ruhig. Ohne Schmerzen. Ihre große Familie war um sie versammelt. Kein Kampf. Sie willigte wohl in den Abschied. Sie hatte noch einmal die Augen weit geöffnet, sie schien in die Ferne zu sehen. Die Züge im Tod entspannt. Ein lächeln umlief sie. Das Gesicht glatt. Sie war schön."

Volker Braun sprach davon, wie wichtig Christa Wolf die Familie gewesen sei. Mit welcher Intensität sie sich dem Schreiben ausgesetzt habe, wie viel Kraft es gekostet habe, den Anfeindungen und Vorwürfen standzuhalten, etwa dem, bis zuletzt in der DDR geblieben zu sein:

"Man warf ihr das Hierbleiben vor, die doch so weit fortging, bis in die Mythenwelt, in uralte Geschichte, an die Wurzeln des Unglücks, auf den Grund. Das war ihr fraulicher Mut. Sie ging bis an die Grenze, an der man sich selbst als Fremder entgegenkommt. Sie wagte diesen Gang. ... Nimm Dein Verhängnis an, lass alles unbereut. In welchem Spannungsfeld stand sie? In dem gespaltenen Land der zerrissenen Menschheit, zwischen Tat und Enttäuschung. Der selbstgewisse Westen war nicht die Alternative, sie sah nicht hier noch dort den Staat, der lernt und Gemeinsinn übt, den Einspruch gegen das Ganze."

"Nimm Dein Verhängnis an, lass alles unbereut" - mit den Versen Paul Flemings beschrieb Volker Braun Christa Wolf als eine Schriftstellerin, die die DDR als ihr Verhängnis erkannt und angenommen habe, als Schriftstellerin eines gespaltenen Landes, um das sie sich sorgte und für das sie Verantwortung empfand.

Ein sehr privates Bild der Christa Wolf entwarf eines ihrer Enkelkinder:

"Du hast an unserem Leben Anteil genommen und wir an deinem. Jedes Enkelkind kennt deine berühmte, etwas sorgenvolle Frage: 'Kocht ihr euch eigentlich manchmal was?' Das überernste Bild, das in der Öffentlichkeit oft von dir gezeichnet wurde, gibt nur sehr unzureichend wieder, wie wir dich erlebt haben. Du konntest sehr witzig sein, hattest einen Hang zur Selbstironie, manchmal auch zum Konsum von trivialen Fernsehserien und hast eine gut gemixte 'Margherita' sehr geschätzt."

Auch bei diesen Worten stand die öffentliche Trauergemeinde trotz Sturm und Regen vollkommen still, Tränen in den Augen.

Volker Braun: "Vielleicht haben wir alle gehofft, dass sie nie sterben wird. Nun ja - das nächste Leben geht aber heute an. Nun nein - sie kann nicht mehr. In ihr letztes Buch ist wohl ihre Lebenskraft geflossen. Sie geht leibhaftig fort. Ausgelebt, ausgekämpft das alles. Ich höre sie lachen. Sie steht nun drüber und liegt eben drunten. Der Alltag der Toten beginnt. Er wird bei ihr ausgefüllt sein."