Schriftsteller und UN-Diplomat

Von Johannes Kaiser |
Der 1956 in London geborene, in Bombay und Kalkutta aufgewachsene Shashi Tharoor trat mit 22 in die UN ein und machte dort eine erstaunliche Karriere. Derzeit ist er von Indien als Kandidat zur Wahl des neuen Generalsekretärs benannt worden. Zugleich hat sich Shashi Tharoor einen Namen als Schriftsteller gemacht.
"Als ich in die UN eintrat, sagte ich zum Personalchef: wissen Sie, andere jagen, fotografieren oder sammeln Schmetterlinge, ich schreibe. Ist das in Ordnung? Jetzt habe ich, so wie James Bond eine Lizenz zum Töten hat, eine Lizenz zum Schreiben. Die UN hat mir eine offizielle Genehmigung dazu gegeben und so bin ich der einzige Schriftsteller, der im Copyright darauf hinweist, dass der Autor zwar Mitglied der UN ist, aber seine im Buch geäußerten Ansichten in keiner Form die Ansichten der UN wiederspiegeln - ein kleiner Preis, den man für die Freiheit, schreiben zu können, zahlen muss."

Drei Romane, zwei Sachbücher, allesamt hoch gelobt und mehrfach ausgezeichnet, hat Shashi Tharoor seitdem vorgelegt. Mit dem Schreiben begann er bereits mit sechs Jahren, als er unter Asthma litt und zu Hause bleiben musste. Als er zehn war, veröffentlichten indische Zeitungen erstmals seine Geschichten, druckten sogar einen Fortsetzungsroman. Und doch strebte der exzellente Schüler keine Karriere als Schriftsteller an, das war damals in den 60er Jahren in Indien ein Hungerleiderjob, sondern träumte vom diplomatischen Dienst, sah sich als späterer Außenminister Indiens. Da seine Leistungen auf der Universität in Delhi so gut waren, dass er ein Stipendium für die renommierte amerikanische Tufts University in Massachusetts bekam, studierte er dort Internationale Beziehungen und Internationales Recht. Den Doktortitel erwarb er bereits mit 22 – ein Überflieger, dem das Lernen genauso leicht fiel wie das Schreiben. Inzwischen hatte Indira Gandhi in Indien den Ausnahmezustand ausgerufen. Mit diesem Staat mochte sich Shashi Tharoor nicht identifizieren. So bewarb er sich bei den UN. Seitdem hat er bei den Vereinten Nationen eine steile Karriere absolviert.

"Das Resultat ist, dass ich keine einzige Sekunde Langeweile verspürt habe. Es ist eine sehr aufregende Arbeit und deswegen ist die UN für mich mehr als nur ein Job geworden, es ist eine Berufung. Ich habe mein gesamtes Erwachsenenleben den UN gewidmet, viel meines jugendlichen Idealismus hineingesteckt und viel Energie. Ich halte die UN für eine global unverzichtbare Organisation in unser sich globalisierenden Welt und darum wäre es für mich sehr hart, auf diese Arbeit zu verzichten, auch wenn ich meine UN-Arbeit oftmals über mein Schreiben stellen muss und das Schreiben leidet."

Je höher Shashi Tharoor in den UN stieg, desto seltener ist er dazu gekommen, Romane zu schreiben. Dennoch hält er am Schreiben fest. Gerne zitiert er dann Bernhard Shaw:

"Der sagte: Ich schreibe aus demselben Grund, aus dem eine Kuh Milch gibt. Es steckt in Ihnen und es muss raus, es ist Teil Ihrer Natur und wenn es nicht rauskommt, leiden Sie. Es ist wie bei der Kuh. Sie hat Schmerzen, wenn man sie nicht melkt. In dem Sinne gibt es für mich keinen anderen Grund es zu machen außer: das bin ich nun mal."

Seit drei Jahren liegt ein begonnener Roman in der Schublade und wartet darauf, dass ihn der ruhelose UN-Diplomat weiter schreibt. Doch es ist nicht allein die fehlende Zeit, die das Schreiben immer schwieriger macht.

"Als Schriftsteller ist mir allerdings klar, dass Literatur nicht nur eine Frage der Zeit ist, sondern auch eine Frage, welchen Raum man ihr im Kopf einräumt, um ein alternatives moralisches Universum zu schaffen, es mit Menschen, Ideen, Problemen zu bevölkern, die für einen so real sind wie die Menschen, denen man im wirklichen Leben begegnet und das ist schwierig."

Shashi Tharoor, und da ist er ganz Diplomat, achtet sorgfältig darauf, dass sich seine beiden Leidenschaften nicht in die Quere kommen.

"Ich versuche meine beiden Welten strikt auseinander zu halten. Als Beamter der UN befasse ich mit allem außer Indien und als indischer Schriftsteller schreibe ich ausschließlich über Indien. Natürlich gibt auf der Ebene des Unbewussten Einflüsse. Mein Engagement für Menschlichkeit entspringt zum Großteil meinem Einsatz für Flüchtlinge und Friedensüberwachung. Ich habe mit eigenen Augen viel Leid gesehen und einige der hässlichsten Gesichter der Menschen: Geldgier, Machtgier, das Böse, Mord, Zerstörung und das hat mein Verhältnis zu meinen Figuren beeinflusst. Es gibt in meinen Romanen nur wenige Helden. Selbst Helden stehen auf tönernen Füßen und als Schriftsteller muss ich die Menschen so akzeptieren, wie sie sind mit all ihren Fehlern und Fähigkeiten."

Auch wenn zwei Seelen in seiner Brust wohnen: derzeit hat seine Bewerbung eindeutig Vorrang. Eloquent, selbstbewusst, freundlich und charmant verfolgt der 48-jährige Shashi Tharoor sein Ziel, Generalsekretär der UN zu werden. Es wäre die Erfüllung all seiner politischen Ambitionen. Dafür würde er auch auf das Schreiben verzichten:

"Ich glaube, dass die UN dieses Opfer wert sind und eines Tages wird es vorbei sein und ich hoffe, was übrig bleibt, ist das Schreiben. Eines Tages wird man mich dann als früheren UN-Beamten bezeichnen, aber ich hoffe, man wird mich nie als früheren Schriftsteller bezeichnen."