Schriftsteller Trévidic

Ein Roman über Islamismus

Ein Porträt des französischen Richters Marc Trévidic
Marc Trévidi hat mit "Allah oder Der Traum von Freiheit" seinen ersten Roman geschrieben. © picture alliance / dpa / Anthony Picore
Marc Trévidic im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 12.09.2016
Marc Trévidic ist einer der bekanntesten Richter in Frankreich. Viele Jahre war er in den Anti-Terror-Kampf involviert, hat unter anderem einen der Bataclan-Attentäter vernommen. Trévidic glaubt, dass das nächste IS-Attentat mit Sicherheit kommen wird – im Präsidentschaftswahlkampf.
Marc Trévidic ist einer der bekanntesten Richter in Frankreich und schreibt nebenbei auch noch Bücher - zuletzt einen Roman über den radikalen Islam in Tunesien, den er gerade in Berlin auf dem Literaturfest vorgestellt hat ("Ahlam oder Der Traum von Freiheit"). Zehn Jahre lang war Trévidic Anti-Terror-Richter in Paris und hat unter anderem einen der Bataclan-Attentäter vernommen. Inzwischen ist er stellvertretender Präsident des Landgerichts in Lille.
Trévidic hat also einen tiefen Einblick in die Logik des Terrors – und nach dieser erwartet der Jurist weitere, verheerende IS-Anschläge in seinem Heimatland. Im Deutschlandradio Kultur sagte er, die Attentate müssten immer größer, schrecklicher und grausamer werden, damit der Terror weiter funktioniere. Kleine Attentate zwischendurch sollten "Rauch machen, damit man dann ein großes Feuer machen kann".
Nach Ansicht von Trévidic wird der Islamische Staat versuchen, die französischen Präsidentschaftswahlen durch ein Attentat zu beeinflussen. Wenn es dem IS gelänge, einen solchen Anschlag zu verüben, würden sich die Politiker gegenseitig mit radikalen Gegenmaßnahmen überbieten, sagte Trévidic. Das Kalkül des IS sei: Je härter der Staat gegen Muslime vorgehe, umso mehr von ihnen würden in die Arme der Islamisten getrieben. "Die Politiker spielen ihnen ja schon in die Karten: Es hat ja schon Stimmen gegeben, da war sogar schon von Lagern, fast Konzentrationslagern, die Rede", sagte der Jurist. (ahe)


Das Gespräch im Wortlaut:

Korbinian Frenzel: Es gibt viele Richter, die gegen den Terror kämpfen, aber es gibt wohl kaum jemanden, der es so konsequent tut wie der Franzose Marc Trévidic. In Frankreich kennt diesen Namen jeder, was vor allem darauf zurückgeht, dass Marc Trévidic zehn Jahre lang als Anti-Terror-Richter in Paris gearbeitet und dort unter anderem einen der Bataclan-Attentäter vernommen hat.
Marc Trévidic ist aber nicht nur Jurist, er schreibt auch Bücher. Er hat jetzt einen ersten Roman vorgestellt, aber wenn Sie so wollen, im großen thematischen Kontext. "Ahlam oder der Traum von Freiheit" in Berlin beim Literaturfest. Vor der Sendung war er bei uns zu Gast im Deutschlandradio Kultur. Wie kann man ihn bekämpfen, den Terror, vor Gericht und anderswo? Das wollte ich zunächst von Marc Trévidic wissen.
Marc Trévidic: Das Problem besteht einfach darin, dass es zurzeit einen Geheimdienst gibt, der in erster Linie eben die Terroristen überwacht oder eben terroristische Straftaten aufzudecken versucht. Das ist die DGSE im Französischen. Dieser Geheimdienst besteht in etwa aus 3.000 Leuten.

Viele Geheimdienstler, wenig Justizbeamte

Es kommt aber zu einem ganz großen Ungleichgewicht, weil Justizbeamte, die damit befasst sind, nur etwa 140 Leute ausmachen. Das heißt, das Problem des Geheimdienstes ist es, dass er permanent zwar geheime Informationen beschafft, Leute auch beobachtet, aber sie nicht verhaften kann, weil die Justiz nicht hinterherkommt.
Das heißt, das Problem lässt sich nur dadurch lösen, indem wir es, wie wir im Französischen sagen, "justizieren". Wir müssen es schaffen, dass die Judikative hinterherkommt und dass dieses Ungleichgewicht einfach aufhört.
Frenzel: Das klingt nach einem Weg, nach einem praktischen Weg, wo es Versäumnisse gibt. Gleichzeitig wundern wir uns aber natürlich, und Sie als Franzose in Ihrem Land möglicherweise noch mehr darüber, warum es ein solches Klima, eine solche Stimmung, einen solchen Bodensatz gibt, in dem der Terrorismus so gedeihen kann. Was ist Ihre Analyse, was sind Ihre Antworten darauf, wenn man fragt, warum Frankreich, warum Frankreich so stark?
Trévidic: Sicherlich, das was ich eben erwähnt hatte, das sind kurzfristige und praktische Lösungen, aber man muss mittelfristige und langfristige Lösungen noch finden. Und es ist wahr, dass es sehr viele junge Franzosen gibt, die einen Hass auf Frankreich haben, und das wird ein echtes Problem, und das ist ein echtes Problem.
Sehr viele Franzosen, die in Frankreich geboren und aufgewachsen sind, sind nach Syrien gegangen, sind in den Irak gegangen, sind streckenweise auch dort geblieben. Das hat ihre negative Meinung Frankreich gegenüber noch bestärkt, und das ist natürlich ein gesellschaftliches Problem, und das hat mit mangelnder Integration zu tun, das hat aber vielleicht auch damit zu tun, dass sie sich auflehnen wollen, dass es eine Form von Revolte ist.
Aber dieser Hass auf Frankreich und dieser Wunsch, sich rächen zu wollen, der steht im Mittelpunkt dieser jungen Leute, und das ist ein wahres Problem.
Frenzel: Haben Sie den Eindruck, dass die französische Gesellschaft, die französische Politik im Besonderen, klug auf dieser Situation reagiert, Einladungen macht, Angebote an diese erwähnten jungen Franzosen, sich in diesem Land zu Hause zu fühlen, diesen Hass aufzugeben? Oder haben Sie das Gefühl, wenn wir auf Debatten schauen wie das Burka-Verbot, wie den Burkini am Strand, dass es möglicherweise sogar in eine andere, in eine falsche Richtung geht?

Gegen die Radikalisierung wurde nichts unternommen

Trévidic: Das Problem ist, dass eben genau dieses Politiker nichts dagegen unternommen haben, dass es zu dieser Radikalisierung unter französischen Jugendlichen gekommen ist. Aus einem ganz einfachen Grunde: Es hat jahrelang keine Attentate gegeben, Attentate wurden verhindert, also haben sich Politiker gesagt, das System funktioniert. Und wir dürfen nicht vergessen, dass zwischen dem Attentat im Port-Royal 1996 und dem darauffolgenden Attentat im Jahr 2012 doch sehr viel Zeit vergangen ist, wo Politiker einfach nichts gemacht haben.
Französische Soldaten patroullieren am 15. August 2016 vor der Pariser Kathedrale Notre Dame.
Angst vor Anschlägen: Französische Soldaten patroullieren vor der Pariser Kathedrale Notre Dame© afp / Alain Jocard
Und als dann die ersten Attentate kamen, haben sie panisch reagiert und haben genau das Gegenteil gemacht und eben nicht die Hand ausgestreckt, sondern eigentlich diese jungen Attentäter oder diese jungen Leute stigmatisiert. Und damit spielen sie dem sogenannten IS in die Hände, der ja genau das sagt, der sagt: Frankreich mag euch nicht, Frankreich mag den Islam nicht, und mit solchen unsinnigen Debatten wie über den Burkini spielt man eben dem IS letztendlich doch sehr in die Hände, der sich damit bei den Jugendlichen, bei diesen jungen Menschen eben auch bestätigt fühlt, indem er behauptet, Frankreich hasst den Islam sowieso.
Frenzel: Sie sind hier zu Gast in Deutschland, in Berlin, beim Literaturfest, um Ihren ersten Roman vorzustellen, der gerade auf Deutsch erschienen ist. "Ahlam" heißt er. Das ist ein arabischer Titel, "Traum". Wenn ich Sie mit den Worten, mit denen Sie Ihre Arbeit vorgestellt haben, mit dem Engagement höre, wenn ich jetzt sehe, Sie schreiben einen Roman – ist das die Fortsetzung des Kampfes gegen den Terrorismus mit anderen, literarischen Mitteln?
Trévidic: Dieser Traum hat etwas mit Tunesien zu tun, wo dieser Roman spielt, und da geht es eben darum, dass Tunesien ein muslimisches Land ist, in dem die Demokratie vielleicht doch noch möglich ist, und es geht auch um ein Thema, das mich sehr berührt: Ich möchte den Leser, und vor allem auch junge Menschen sensibilisieren, wenn es darum geht, wie der radikale Islam sich zum Beispiel gegen die Kunst wendet. Und da gibt es Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen, und ich möchte einfach, dass gerade junge Leute sich damit wenigstens auseinandersetzen, dass eben der radikale Islam eben auch die Kunst, auch etwas sehr Schönes, letztendlich bekämpft.
Frenzel: Sie sagen, Sie wissen nicht, wer gewinnen wird in diesem Kampf am Ende. Sie haben nach den Attentaten vom 13. November sogar noch eine düstere Prognose gewagt, dass die Terroristen noch sehr viel mehr vorhätten, etwas viel Größeres. Sind Sie nach wie vor so pessimistisch, dass wir eigentlich noch eine größere Welle des Terrorismus erleben werden?

Tiefer Einblick in die Logik des Terrors

Trévidic: Terroristen wollen terrorisieren, und damit das funktioniert, müssen die Attentate immer schrecklicher, immer grausamer, immer tödlicher sein, sonst funktioniert das ja nicht mit dem Terrorisieren. Und der IS versucht natürlich, ein viel größeres Attentat zu planen als damals der 11. September mit Al Qaida und Bin Laden. Ob sie das können, ob sie die Mittel dazu haben? Ja, sie haben die Mittel dazu, sie haben auch die Leute vor Ort. Man hat gesehen, dass es nicht allzu schwierig ist, sich auch Waffen und falsche Papiere zu besorgen.
Dann muss man eben auch sagen, wenn ich jetzt höre, dass ein Attentat mit den Gasflaschen von Frauen verhindert worden ist, dann beeindruckt mich das nicht sonderlich, weil das ist ja genau die Strategie. Man will die ganze Zeit zeigen, dass man vor Ort ist, und das ist für mich ein Ablenkungsmanöver. Das soll Rauch machen, damit man dann ein ganz böses Feuer legen kann. Das war ja auch vor den Attentaten des 13. November so, dass viele kleinere Attentate verhindert worden sind, dass die letztendlich von diesem ganz großen abgelenkt haben. Deswegen bleibe ich pessimistisch.
Frenzel: Das heißt, solange es Daesh, wie Sie in Frankreich sagen, den Islamischen Staat, den sogenannten, gibt, solange werden wir den Terror erleben.
Trévidic: Der sogenannte Islamische Staat, IS, wird auf jeden Fall versuchen, durch ein Attentat die Präsidentschaftswahlen in Frankreich zu beeinflussen. Sie wissen, bei uns sind die Präsidentschaftswahlen etwas sehr Wichtiges, als würde man einen neuen König wählen. Und es ist ganz klar, wenn es ihnen gelänge, mit einem schrecklichen Attentat Einfluss zu nehmen, würden sich die Politiker in Anti-Maßnahmen nur noch so überbieten, wie sie es ja jetzt schon mit einigen Vorschlägen tun.

Der IS setzt auf das Domino-Prinzip

Das Kalkül des IS wäre einfach, sollte da ein Attentat gelingen, sollte der französische Staat, seine Politiker immer härter gegen Muslime vorgehen, dann treibt sie das, sozusagen die Muslime, in die Arme des sogenannten IS. Das ist dieses Domino-Prinzip, das dahintersteckt, und die Politiker spielen ihnen ja schon in die Karten, es hat ja schon Stimmen gegeben, da war ja sogar von Lagern, von fast Konzentrationslagern, die Rede.
Frenzel: Marc Trévidic, Frankreichs bekanntester Anti-Terror-Richter, Autor des gerade auch auf Deutsch erschienenen Buches "Ahlam oder der Traum von Freiheit".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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