Schriftsteller Strasser fordert neue SPD-Debattenkultur
Johano Strasser, Präsident des deutschen P.E.N.-Zentrums und langjähriges Mitglied der SPD-Grundwertekommission, hat sich für mehr innerparteiliche Demokratie bei den Sozialdemokraten ausgesprochen.
Christopher Ricke: Es ist an der Zeit, dass sich die SPD erneuert, sagen viele Sozialdemokraten, und das sagt auch der zukünftige Parteichef Sigmar Gabriel. Der hat es geschrieben in einem Brief an mehrere Genossen. Darin steht, dass die Glaubwürdigkeit seiner Partei tief erschüttert sei, dass der Zustand der Partei in den letzten Jahren gelitten habe.
Die Partei erneuern, sich besinnen, ist also die Aufgabe, das muss organisatorisch geschehen, programmatisch, vielleicht auch intellektuell. Ich sprach mit Johano Strasser, der Schriftsteller und Sozialdemokrat, der Präsident des deutschen P.E.N.-Zentrums ist seit 34 Jahren Mitglied der Grundwertekommission der SPD, und ich frage ihn: Ist Sigmar Gabriel denn der Mann, der das Unterholz lichtet, der der SPD Licht und Luft zur Regeneration verschafft?
Johano Strasser: Na ja, man kann die Erwartungen nicht auf eine einzige Person richten, aber ich denke, dass der Ton, den er angeschlagen hat in seinem Brief an einige SPD-Mitglieder, der richtige Ton ist und dass er ganz offensichtlich begriffen hat, wie schwierig die Situation ist und dass man nun tatsächlich etwas grundsätzlich ändern muss.
Und ich glaube auch, dass er recht hat, dass es vor allen Dingen darum geht, die innerparteiliche Kultur der Debatte neu zu beleben. Das, was wir in der Vergangenheit erlebt haben – einmal durch die Trägheit der Mitglieder, die sich nicht mehr eingemischt haben, andererseits durch die von oben durchgeführte Basta-Politik, die auch die Parteimitglieder entmündigt hat –, das hat dazu geführt, dass diese Partei einfach nicht mehr fantasievoll neue Konzepte entwickelt hat und, was noch viel schlimmer ist, wenn Beschlüsse mehrheitlich gefasst wurden, die auf diese brachiale Weise mit Basta durchgesetzt wurden, dann hatten diese Beschlüsse nicht die bindende Wirkung, die sie gehabt hätten, wenn alle Mitglieder und alle Beschließenden den Eindruck hätten haben können, dass alle Argumente pro und kontra wirklich fair in den Prozess der Willensbildung eingebracht worden wären. Das ist also ein Pyrrhus-Sieg, wenn man per Basta etwas durchsetzt.
Ricke: Das soll ja nun anders werden, grundsätzlich anders, und beim Grundsätzlichen ist man auch sehr schnell bei den Grundwerten, und Sie haben ein Drittel Jahrhundert in der Grundwertekommission der SPD verbracht. Haben Sie denn den Eindruck, dass die Grundwerte der Partei nicht nur bekannt, sondern inzwischen auch wieder wichtig sind?
Strasser: Ich glaube, dass sich daran überhaupt nichts geändert hat. Im Kern geht es ja darum, dass die Grundwerte von Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität deswegen unmittelbar zusammengehören, weil das moderne Freiheitsverständnis, so wie es die SPD immer vertreten hat, von universeller Freiheit ausgeht.
Das heißt, es soll Freiheit für alle Menschen gelten, und da genügt es eben nicht, Freiheitsrechte zu proklamieren, sondern – und das ist die besondere Pointe immer gewesen der Sozialdemokratie gegenüber dem politischem Liberalismus – man muss auch die sozialen, die kulturellen Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Menschen tatsächlich konkrete Möglichkeiten haben, ihre Freiheitsrechte wahrzunehmen.
Ricke: Diese Freiheit, die Sie beschreiben, diese sozialdemokratische Freiheit, ist das auch die USP, wie es neudeutsch heißt, das eindeutige Alleinstellungsmerkmal der SPD, das jetzt kommuniziert werden muss?
Strasser: Ich glaube schon, dass es darauf hinausläuft, weil alle anderen Parteien – die Unionsparteien und die FDP – Freiheit meistens ohne diese Pointe, dass wir auch dafür sorgen müssen, dass die Menschen konkret ihre Freiheitsrechte wahrnehmen können, verstehen. Und da haben wir tatsächlich eine ganz eigene Aufgabe zu erfüllen, die niemand sonst erfüllen kann.
Ricke: Diese Aufgabe ist aber nicht mehr mit einer Mehrheit zu erfüllen, die SPD hat die Machtperspektive im Bund schon verloren, wird so schnell keine Regierung mehr anführen, darf bestensfalls mitmachen, die zweite Geige spielen, weil sie auch massiv an Grüne und die eben kritisierte Partei Die Linke abgegeben haben. Muss man sich damit abfinden oder muss man das linke Spektrum neu organisieren?
Strasser: Das Thema der Machtperspektive ist ein ganz wichtiges Thema, und wenn man sich die Wählerströme anschaut, wie zuverlässig all diese Analysen sind, lassen wir mal beiseite, aber immerhin ist ziemlich deutlich, die SPD hat nach sehr vielen Seiten verloren. Sie hat aber vor allen Dingen auch verloren Menschen, die ins Nichtwählerpotenzial abgewandert sind. Und dies hängt mit der fehlenden Machtperspektive zusammen.
Bei der letzten Bundestagswahl, denke ich, war es für jeden, der halbwegs nachdenken konnte, klar, das Beste, das herauskommen kann, wenn man SPD wählt, ist eine Fortsetzung der Großen Koalition. Und wen reißt so etwas aus dem Sessel? Und da sind viele gar nicht erst zur Wahl gegangen, die wahrscheinlich ansonsten eher SPD gewählt hätten. Es ist richtig, in dieser Republik, der Bundesrepublik, sind Wahlen fast immer, wahrscheinlich immer mit dem Ergebnis, dass man eine Koalition bilden muss, und dann kann man natürlich nicht seine Politik zu 100 Prozent durchsetzen.
Nun sind große Parteien – und noch ist die SPD zu den etwas größeren ja zu zählen – in sich ja auch schon Koalitionen, das ist gar nicht anders möglich, weil jeder Mensch seine eigene Vorstellung hat, weil es unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichen Interessen gibt und so weiter, das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass man einen Diskussionsprozess führt in der Partei und darüber hinaus in der Gesellschaft über die Zukunft der Gesellschaft, wie wollen wir in Zukunft (…) den eigenen Beitrag hineinbringt und damit vorbereitend schon für spätere Koalitionsverhandlungen, etwa mit den Grünen und – vergessen Sie das Thema nicht – auch mit der Linkspartei, denn die Verkrampfung zur Linkspartei halte ich seit eh und je für eine Dummheit, dann zu den Koalitionsparteien da schon eine Vorarbeit geleistet hat.
Ricke: Der SPD-Vorstand hat ja jetzt über einen Leitantrag beraten, wonach sich die Sozialdemokraten deutlich öffnen sollen zur Linkspartei, das soll auf dem Parteitag Mitte November in Dresden beschlossen werden. Wie weit darf denn diese Öffnung gehen, gibt es da eine Grenze?
Strasser: Ich glaube, dass eine Partei, die im Bundestag ist, die nicht verfassungsfeindlich ist, ein möglicher Koalitionspartner sein muss. Die Frage ist natürlich, wie weit die Überschneidungen in der Politik tatsächlich gehen. Das wird aber auf jeden Fall nie bedeuten, dass die SPD von ihrer klaren Position auch gegenüber sich links nennenden Diktaturen auch nur einen Deut abrücken darf – das wird sie auch nicht tun.
Und ich denke, dass die Linkspartei auch genau weiß, dass wenn man in eine solche Koalition hineingeht, man gewisse populistische Positionen, die man vielleicht im Wahlkampf vertreten hat, auf Dauer nicht halten kann. Ich glaube, dass Sozialdemokraten allen Grund hätten, mit großem Selbstbewusstsein in diese Auseinandersetzung mit der Linkspartei zu gehen, und die Verkrampfung muss in der Tat gelöst werden. Ich bin froh, dass es endlich in Gang kommt. Ich habe es seit Jahren gefordert.
Ricke: Vielen Dank, Johano Strasser.
Strasser: Bitte sehr!
Die Partei erneuern, sich besinnen, ist also die Aufgabe, das muss organisatorisch geschehen, programmatisch, vielleicht auch intellektuell. Ich sprach mit Johano Strasser, der Schriftsteller und Sozialdemokrat, der Präsident des deutschen P.E.N.-Zentrums ist seit 34 Jahren Mitglied der Grundwertekommission der SPD, und ich frage ihn: Ist Sigmar Gabriel denn der Mann, der das Unterholz lichtet, der der SPD Licht und Luft zur Regeneration verschafft?
Johano Strasser: Na ja, man kann die Erwartungen nicht auf eine einzige Person richten, aber ich denke, dass der Ton, den er angeschlagen hat in seinem Brief an einige SPD-Mitglieder, der richtige Ton ist und dass er ganz offensichtlich begriffen hat, wie schwierig die Situation ist und dass man nun tatsächlich etwas grundsätzlich ändern muss.
Und ich glaube auch, dass er recht hat, dass es vor allen Dingen darum geht, die innerparteiliche Kultur der Debatte neu zu beleben. Das, was wir in der Vergangenheit erlebt haben – einmal durch die Trägheit der Mitglieder, die sich nicht mehr eingemischt haben, andererseits durch die von oben durchgeführte Basta-Politik, die auch die Parteimitglieder entmündigt hat –, das hat dazu geführt, dass diese Partei einfach nicht mehr fantasievoll neue Konzepte entwickelt hat und, was noch viel schlimmer ist, wenn Beschlüsse mehrheitlich gefasst wurden, die auf diese brachiale Weise mit Basta durchgesetzt wurden, dann hatten diese Beschlüsse nicht die bindende Wirkung, die sie gehabt hätten, wenn alle Mitglieder und alle Beschließenden den Eindruck hätten haben können, dass alle Argumente pro und kontra wirklich fair in den Prozess der Willensbildung eingebracht worden wären. Das ist also ein Pyrrhus-Sieg, wenn man per Basta etwas durchsetzt.
Ricke: Das soll ja nun anders werden, grundsätzlich anders, und beim Grundsätzlichen ist man auch sehr schnell bei den Grundwerten, und Sie haben ein Drittel Jahrhundert in der Grundwertekommission der SPD verbracht. Haben Sie denn den Eindruck, dass die Grundwerte der Partei nicht nur bekannt, sondern inzwischen auch wieder wichtig sind?
Strasser: Ich glaube, dass sich daran überhaupt nichts geändert hat. Im Kern geht es ja darum, dass die Grundwerte von Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität deswegen unmittelbar zusammengehören, weil das moderne Freiheitsverständnis, so wie es die SPD immer vertreten hat, von universeller Freiheit ausgeht.
Das heißt, es soll Freiheit für alle Menschen gelten, und da genügt es eben nicht, Freiheitsrechte zu proklamieren, sondern – und das ist die besondere Pointe immer gewesen der Sozialdemokratie gegenüber dem politischem Liberalismus – man muss auch die sozialen, die kulturellen Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Menschen tatsächlich konkrete Möglichkeiten haben, ihre Freiheitsrechte wahrzunehmen.
Ricke: Diese Freiheit, die Sie beschreiben, diese sozialdemokratische Freiheit, ist das auch die USP, wie es neudeutsch heißt, das eindeutige Alleinstellungsmerkmal der SPD, das jetzt kommuniziert werden muss?
Strasser: Ich glaube schon, dass es darauf hinausläuft, weil alle anderen Parteien – die Unionsparteien und die FDP – Freiheit meistens ohne diese Pointe, dass wir auch dafür sorgen müssen, dass die Menschen konkret ihre Freiheitsrechte wahrnehmen können, verstehen. Und da haben wir tatsächlich eine ganz eigene Aufgabe zu erfüllen, die niemand sonst erfüllen kann.
Ricke: Diese Aufgabe ist aber nicht mehr mit einer Mehrheit zu erfüllen, die SPD hat die Machtperspektive im Bund schon verloren, wird so schnell keine Regierung mehr anführen, darf bestensfalls mitmachen, die zweite Geige spielen, weil sie auch massiv an Grüne und die eben kritisierte Partei Die Linke abgegeben haben. Muss man sich damit abfinden oder muss man das linke Spektrum neu organisieren?
Strasser: Das Thema der Machtperspektive ist ein ganz wichtiges Thema, und wenn man sich die Wählerströme anschaut, wie zuverlässig all diese Analysen sind, lassen wir mal beiseite, aber immerhin ist ziemlich deutlich, die SPD hat nach sehr vielen Seiten verloren. Sie hat aber vor allen Dingen auch verloren Menschen, die ins Nichtwählerpotenzial abgewandert sind. Und dies hängt mit der fehlenden Machtperspektive zusammen.
Bei der letzten Bundestagswahl, denke ich, war es für jeden, der halbwegs nachdenken konnte, klar, das Beste, das herauskommen kann, wenn man SPD wählt, ist eine Fortsetzung der Großen Koalition. Und wen reißt so etwas aus dem Sessel? Und da sind viele gar nicht erst zur Wahl gegangen, die wahrscheinlich ansonsten eher SPD gewählt hätten. Es ist richtig, in dieser Republik, der Bundesrepublik, sind Wahlen fast immer, wahrscheinlich immer mit dem Ergebnis, dass man eine Koalition bilden muss, und dann kann man natürlich nicht seine Politik zu 100 Prozent durchsetzen.
Nun sind große Parteien – und noch ist die SPD zu den etwas größeren ja zu zählen – in sich ja auch schon Koalitionen, das ist gar nicht anders möglich, weil jeder Mensch seine eigene Vorstellung hat, weil es unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichen Interessen gibt und so weiter, das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass man einen Diskussionsprozess führt in der Partei und darüber hinaus in der Gesellschaft über die Zukunft der Gesellschaft, wie wollen wir in Zukunft (…) den eigenen Beitrag hineinbringt und damit vorbereitend schon für spätere Koalitionsverhandlungen, etwa mit den Grünen und – vergessen Sie das Thema nicht – auch mit der Linkspartei, denn die Verkrampfung zur Linkspartei halte ich seit eh und je für eine Dummheit, dann zu den Koalitionsparteien da schon eine Vorarbeit geleistet hat.
Ricke: Der SPD-Vorstand hat ja jetzt über einen Leitantrag beraten, wonach sich die Sozialdemokraten deutlich öffnen sollen zur Linkspartei, das soll auf dem Parteitag Mitte November in Dresden beschlossen werden. Wie weit darf denn diese Öffnung gehen, gibt es da eine Grenze?
Strasser: Ich glaube, dass eine Partei, die im Bundestag ist, die nicht verfassungsfeindlich ist, ein möglicher Koalitionspartner sein muss. Die Frage ist natürlich, wie weit die Überschneidungen in der Politik tatsächlich gehen. Das wird aber auf jeden Fall nie bedeuten, dass die SPD von ihrer klaren Position auch gegenüber sich links nennenden Diktaturen auch nur einen Deut abrücken darf – das wird sie auch nicht tun.
Und ich denke, dass die Linkspartei auch genau weiß, dass wenn man in eine solche Koalition hineingeht, man gewisse populistische Positionen, die man vielleicht im Wahlkampf vertreten hat, auf Dauer nicht halten kann. Ich glaube, dass Sozialdemokraten allen Grund hätten, mit großem Selbstbewusstsein in diese Auseinandersetzung mit der Linkspartei zu gehen, und die Verkrampfung muss in der Tat gelöst werden. Ich bin froh, dass es endlich in Gang kommt. Ich habe es seit Jahren gefordert.
Ricke: Vielen Dank, Johano Strasser.
Strasser: Bitte sehr!