Schrenk: Wissenschaftler müssen Faszination wecken
Der Frankfurter Paläobiologe Friedemann Schrenk hat seine Kollegen aus der Wissenschaft aufgefordert, Faszination für ihr Fach in der Bevölkerung zu wecken. Das fördere die Akzeptanz, sagte der Professor im Deutschlandradio Kultur. Die Öffentlichkeit habe ein Recht auf Information, "schon allein deswegen, weil viele der Mittel, die wir verbrauchen, Steuergelder sind".
Von Billerbeck: Vieles, was Wissenschaftler erforschen, versteht kein Mensch. Es gibt theoretische Mathematiker, deren Arbeitsgebiete so speziell sind, dass ihnen eine Handvoll Kollegen bei Fachvorträgen vielleicht noch die erste halbe Stunde folgen können, dann aber kaum noch jemand. Wie bloß soll derart schwierige Themen der berühmte Otto Normalverbraucher oder gar eine größere Öffentlichkeit verstehen?
Einer der weiß, wie man der Öffentlichkeit Wissenschaft beibringen kann, ist Professor Friedemann Schrenk aus Frankfurt am Main. Der Paläobiologe bekommt heute in München den Communicator-Preis 2006. Das bedeutet große Ehre plus 50.000 Euro für die beste Vermittlung von Wissenschaft in der Öffentlichkeit. Guten Tag und gute Gratulation, Herr Professor Schrenk.
Schrenk: Ja, danke, Frau von Billerbeck.
Von Billerbeck: Wie machen Sie das, dass man außerhalb Ihres Faches versteht, was Sie als Paläobiologe tun?
Schrenk: Na, ich versuche zu erklären, wie wir Forschung überhaupt betreiben. Ich glaube, damit fängt es an. Das ist ja kein Hexenwerk und da sind auch keine Geheimnisse dabei, sondern da gibt es bestimmte Spielregeln. Und wir arbeiten zum Beispiel in Afrika, graben dort Fossilien aus. Und wir laden auch Leute zu uns ein, um das mit anzuschauen, zuzuschauen, wie wir ausgraben, auch selber auszugraben. Die eigene Erfahrung, das ist das, was, glaube ich, am meisten weiterhilft, wenn man Wissenschaft verstehen will.
Von Billerbeck: Als Paläobiologe haben Sie es gut, Sie können was vorzeigen: Fossile Knochen, den Hippozahn, Relikte aus einer Tierwelt, die es also heute noch gibt. Das ist letztlich die Geschichte des Lebens und die ist sehr anschaulich, so ein Wissenschaftsgebiet wirkt. Wie sollen das aber Ihre Kollegen aus sehr trockenen Fächern machen?
Schrenk: Also ich glaube, das ist überall ein, na ja, ein Problem will ich nicht sagen, aber eine Herausforderung. Denn die Art und Weise, Wissenschaft zu betreiben, unterscheidet sich natürlich, ja, klar. Wenn ich jetzt an Mikrobiologie denke, wo man das nicht wirklich sehen kann, denke ich aber schon, dass man Faszination wecken kann für das Fach. Und das ist das Allerwichtigste, denn, wenn man möchte, dass andere Menschen etwas von dem verstehen, was man tut, dann muss man sie erst einmal faszinieren. Ja, also schulbuchartige Ausführungen nützen da nicht viel. Faszination und dann zu zeigen, wie diese Wissenschaft betrieben wird, das sind die beiden Geheimnisse dabei. Und ich denke, das kann jeder machen, in jedem Gebiet.
Von Billerbeck: Offenbar machen Sie das aber besser als Ihre Kollegen. Immerhin bekommen Sie ja heute den Preis für diese Art Vermittlung. Was machen Sie denn anders?
Schrenk: Also ich versuche, mich selber auch einzubringen und meine Erlebnisse, meine Erfahrungen darzustellen. Das ist ja normalerweise in der Wissenschaft nicht üblich, ja. Man verbreitet wissenschaftliche Ergebnisse, man darf auch nicht dabei sagen, wie man sich dabei gefühlt hat, als man das geforscht hat. Das mache ich aber grundsätzlich, denn das gehört dazu. Also wenn ich irgendwo forsche und ob das im Labor ist oder ob das im Gelände ist, das ist völlig egal, denn ich lebe ja nebenher. Und Ich lebe überhaupt, denn ich habe ja ein Gefühl dabei. Und das zu vermitteln, wie man sich fühlt, wenn man forscht, das ist glaube ich, das ist die Grundlage; also das mache ich gerne.
Von Billerbeck: Muss man denn so eine Wissenschaft, wenn man sie in Afrika vermittelt, anders vermitteln, als beispielsweise in Europa?
Schrenk: Na gut, da sind andere Medien. Also in Afrika zum Beispiel haben wir Theatergruppen. Hier hat man Fernsehen, dort hat man Theatergruppen, die also nun zum Beispiel Aufführungen machen, um Sensitivierung zu erreichen, bei der Bevölkerung. Das ist für uns wichtig, weil wir ja auch dort arbeiten. Das heißt also, wir leben ja dort auch. Und die Medien sind so ein bisschen anders, aber das Prinzip ist immer das gleiche: Faszination zu erzeugen für das Fach.
Von Billerbeck: Also Theatergruppe statt Beamer.
Schrenk: Ja, so kann man das sagen. Ich meine, ich kann auch schlecht irgendwo unter dem Mangobaum einen Beamer einstecken, wenn keine Steckdose da ist. Also wir machen zum Teil natürlich auch Vorträge, wo man vielleicht auch einmal Bilder zeigt und so, aber letztendlich müssen wir in Afrika ohne technische Hilfsmittel auskommen.
Von Billerbeck: Kann denn die Wissenschaft auch so populäre Kulturen für ihr Bekanntmachen nutzen? Also bei Ihrem Fall wäre es vielleicht so ein Film gewesen wie "Jurassic Park".
Schrenk: Na gut, also wir können natürlich das nutzen, das ist schon richtig, denn das sind Themen, die natürlich viele interessieren. Aber die werden auch eigentlich immer erst aufgegriffen, auch von Filmen, wenn man damit auch Geld verdienen kann. Ja, das ist da ganz klar. Und es ist meistens dann etwas reißerisch. Aber das Interessante ist ja, dass natürlich überall Fantasie drinsteckt, auch bei unseren eigenen Forschungen. Auch bei unseren Ergebnissen, denn wir sind ja auch auf Fantasie angewiesen. Denn es war ja damals keiner dabei, als die Dinosaurier, oder in unserem Fall die Urmenschen, gelebt haben. Es wurde ja nichts gefilmt oder fotografiert. Das heißt, wir interpretieren. Und da die Fossilien ja nicht sprechen können, kommt es letztlich auf uns an, was wir da hineininterpretieren. Das hat viel mit Fantasie zu tun.
Von Billerbeck: Es geht also nicht um das, wie es wirklich war, sondern darum, dem möglichst nahe zu kommen, mit Ihren Forschungen.
Schrenk: Ja, es geht nicht um richtig oder falsch. Darum kann es auch gar nicht gehen, denn wir haben ja gar keine Belege. Es gibt ja keine Inschriften oder Urkunden aus dieser Zeit, sondern wir interpretieren und das kann sich ändern. Das kann in 50 Jahren anders sein, obwohl die Fossilien, um die es geht, immer noch genau dieselben sind. Also es geht um Gedankenspiele, letztendlich, um Hypothesen. Und das ist das, was Spaß macht, und das merke ich auch oft, mit Kindern, mit Jugendlichen. Also da kommen tolle Ideen.
Von Billerbeck: Welche war denn so eine ganz interessante Frage, als Sie versucht haben, Ihr Fach Kindern und Jugendlichen nahe zu bringen?
Schrenk: Es ist oft die Frage, wie lange so etwas dauert. Denn das können wir uns ja sehr schwer vorstellen, so Zeiträume, das kann eigentlich keiner. Ich meine, an die Elterngeneration kann man sich zurückerinnern, die Großeltern. Also bei den Urgroßeltern wird es schon schwierig und bei den Ur-Urgroßeltern weiß ich nicht, wer die noch kennt. Also die Tatsache, dass Evolution und Entwicklung im biologischen Bereich, auch im geologischen, dass das also ganz langsam geht, das ist immer ein großes Thema.
Und zum Beispiel, wir saßen also in Afrika unter einem Mangobaum und haben über dieses Problem gesprochen. Und dann hat also plötzlich einer gefragt, einer von den Jugendlichen dort: "Wie lange war eigentlich einer von Gottes Tagen, als er die Welt erschaffen hat?" Ich wusste erst gar nicht, was er meint, aber es war völlig klar, denn die Abfolge, die in der Bibel da ist - also erst kommt die Erde und so weiter, und dann irgendwann am Schluss die Menschen - das ist ja der Ablauf in der Evolution. Das passt ja eigentlich nicht schlecht, nur die Zeiten sind anders. Und irgendwann haben wir uns darauf geeinigt, dass einer von Gottes Tagen also eben eine Milliarden Menschenjahre ist und dann passt das ganze wieder ungefähr.
Von Billerbeck: Im Radiofeuilleton sprechen wir mit dem Paläobiologen Professor Friedemann Schrenk über das Wechselspiel zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. Herr Professor Schrenk, ist es eigentlich überhaupt nötig der Öffentlichkeit zu vermitteln, was die Wissenschaft tut? Nervt die Öffentlichkeit nicht auch mit ihren möglicherweise unqualifizierten Fragen und Einwänden?
Schrenk: Na, es gibt keine unqualifizierten Fragen. Ich denke, die Öffentlichkeit hat natürlich ein Recht darauf, zu erfahren, was wir Forscher forschen. Schon allein deswegen, weil natürlich viele der Mittel, die wir verbrauchen für unsere Forschung, Steuergelder sind.
Von Billerbeck: Wird dann aber tatsächlich Transparenz erzeugt, wenn die Wissenschaft der Öffentlichkeit mitteilt, was sie da tut? Oder besteht da nicht auch die Gefahr, dass man so ein bisschen auf das Niveau der "Sendung mit der Maus" herunter geht?
Schrenk: Nein. Abgesehen davon, dass die "Sendung mit der Maus" ganz hervorragend ist, würde ich sagen, also das Niveau, das ergibt sich ja aus dem Thema und wie es aufbereitet ist. Also ich denke, es gibt keine dummen Fragen, es gibt eigentlich nur dumme Antworten.
Von Billerbeck: Was hat denn ein Wissenschaftler wie Sie davon, wenn die Öffentlichkeit weiß, was er tut? Ist das auch ein Gewinn für Sie?
Schrenk: Also für mich ist es in mehrfacher Weise wichtig: Und zwar, ich will natürlich - wie jeder Mensch auch, mit dem was er tut - Akzeptanz erreichen. Ich meine, ich sage jetzt nicht, dass ich das nicht tun würde, wenn nicht jeder wüsste, was ich tue. Ich denke nur, es ist wichtig für mich, dass die Bedeutung unserer eigenen Vergangenheit, der Herkunft, der Wiege der Menschheit in Afrika, dass das den Menschen bewusst wird. Denn das hat ja Konsequenzen: Zum Beispiel, bis vor kurzem waren alle Menschen dunkelhäutig. Die dunkle Hautfarbe, das ist das völlig Normale. Unsere helle Hautfarbe, das ist eine Degenerierung, die gibt es noch nicht besonders lange.
Aber wenn Sie einmal sehen, was das bedeutet: Wenn ich Fremdenfeindlichkeit sehe, das ist zum großen Teil Bildungsmangel. Und ich meine, da müssen wir alle mithelfen, da etwas zu bewegen. In Afrika ist es so, da wollen wir langfristig arbeiten und da müssen wir auch die Leute dort einbeziehen. Und es ist auch wichtig, dass eben diese kulturelle Identität, die ja, wo ja Afrika, Wiege der Menschheit, ein Teil davon ist, dass das etabliert wird, auch in Afrika. Das gibt einen völlig neuen Zugang, auch zum Geschichtsverständnis, auch für unsere afrikanischen Mitmenschen.
Von Billerbeck: Wissenschaft populär zu machen, das galt ja hierzulande lange eher als amerikanisch. Ist das inzwischen ein Vorurteil? Also genauer gefragt, sind deutsche Wissenschaftler inzwischen längst wunderbar in der Lage, verständlich zu vermitteln, was sie tun?
Schrenk: Also es war in Deutschland lange Zeit gar nicht unbedingt notwendig, das zu vermitteln auf diese Weise. In Amerika war das eigentlich immer notwendig, denn dort wird Wissenschaft zum großen Teil auch privat finanziert, durch private Stiftungen. Und daher kommt es, dass eben nun hier zum Teil eben wissenschaftliche Veröffentlichungen höher bewertet wurden als populäre. Aber das ändert sich. Also ich stelle fest, dass das zunehmend Fortschritte macht, diese populäre Vermittlung. Und das ist in Amerika zwar weitergegangen, aber ich glaube, wir sind da schon auf einem guten Weg, das bei uns im deutschen Sprachraum auch hinzukriegen.
Einer der weiß, wie man der Öffentlichkeit Wissenschaft beibringen kann, ist Professor Friedemann Schrenk aus Frankfurt am Main. Der Paläobiologe bekommt heute in München den Communicator-Preis 2006. Das bedeutet große Ehre plus 50.000 Euro für die beste Vermittlung von Wissenschaft in der Öffentlichkeit. Guten Tag und gute Gratulation, Herr Professor Schrenk.
Schrenk: Ja, danke, Frau von Billerbeck.
Von Billerbeck: Wie machen Sie das, dass man außerhalb Ihres Faches versteht, was Sie als Paläobiologe tun?
Schrenk: Na, ich versuche zu erklären, wie wir Forschung überhaupt betreiben. Ich glaube, damit fängt es an. Das ist ja kein Hexenwerk und da sind auch keine Geheimnisse dabei, sondern da gibt es bestimmte Spielregeln. Und wir arbeiten zum Beispiel in Afrika, graben dort Fossilien aus. Und wir laden auch Leute zu uns ein, um das mit anzuschauen, zuzuschauen, wie wir ausgraben, auch selber auszugraben. Die eigene Erfahrung, das ist das, was, glaube ich, am meisten weiterhilft, wenn man Wissenschaft verstehen will.
Von Billerbeck: Als Paläobiologe haben Sie es gut, Sie können was vorzeigen: Fossile Knochen, den Hippozahn, Relikte aus einer Tierwelt, die es also heute noch gibt. Das ist letztlich die Geschichte des Lebens und die ist sehr anschaulich, so ein Wissenschaftsgebiet wirkt. Wie sollen das aber Ihre Kollegen aus sehr trockenen Fächern machen?
Schrenk: Also ich glaube, das ist überall ein, na ja, ein Problem will ich nicht sagen, aber eine Herausforderung. Denn die Art und Weise, Wissenschaft zu betreiben, unterscheidet sich natürlich, ja, klar. Wenn ich jetzt an Mikrobiologie denke, wo man das nicht wirklich sehen kann, denke ich aber schon, dass man Faszination wecken kann für das Fach. Und das ist das Allerwichtigste, denn, wenn man möchte, dass andere Menschen etwas von dem verstehen, was man tut, dann muss man sie erst einmal faszinieren. Ja, also schulbuchartige Ausführungen nützen da nicht viel. Faszination und dann zu zeigen, wie diese Wissenschaft betrieben wird, das sind die beiden Geheimnisse dabei. Und ich denke, das kann jeder machen, in jedem Gebiet.
Von Billerbeck: Offenbar machen Sie das aber besser als Ihre Kollegen. Immerhin bekommen Sie ja heute den Preis für diese Art Vermittlung. Was machen Sie denn anders?
Schrenk: Also ich versuche, mich selber auch einzubringen und meine Erlebnisse, meine Erfahrungen darzustellen. Das ist ja normalerweise in der Wissenschaft nicht üblich, ja. Man verbreitet wissenschaftliche Ergebnisse, man darf auch nicht dabei sagen, wie man sich dabei gefühlt hat, als man das geforscht hat. Das mache ich aber grundsätzlich, denn das gehört dazu. Also wenn ich irgendwo forsche und ob das im Labor ist oder ob das im Gelände ist, das ist völlig egal, denn ich lebe ja nebenher. Und Ich lebe überhaupt, denn ich habe ja ein Gefühl dabei. Und das zu vermitteln, wie man sich fühlt, wenn man forscht, das ist glaube ich, das ist die Grundlage; also das mache ich gerne.
Von Billerbeck: Muss man denn so eine Wissenschaft, wenn man sie in Afrika vermittelt, anders vermitteln, als beispielsweise in Europa?
Schrenk: Na gut, da sind andere Medien. Also in Afrika zum Beispiel haben wir Theatergruppen. Hier hat man Fernsehen, dort hat man Theatergruppen, die also nun zum Beispiel Aufführungen machen, um Sensitivierung zu erreichen, bei der Bevölkerung. Das ist für uns wichtig, weil wir ja auch dort arbeiten. Das heißt also, wir leben ja dort auch. Und die Medien sind so ein bisschen anders, aber das Prinzip ist immer das gleiche: Faszination zu erzeugen für das Fach.
Von Billerbeck: Also Theatergruppe statt Beamer.
Schrenk: Ja, so kann man das sagen. Ich meine, ich kann auch schlecht irgendwo unter dem Mangobaum einen Beamer einstecken, wenn keine Steckdose da ist. Also wir machen zum Teil natürlich auch Vorträge, wo man vielleicht auch einmal Bilder zeigt und so, aber letztendlich müssen wir in Afrika ohne technische Hilfsmittel auskommen.
Von Billerbeck: Kann denn die Wissenschaft auch so populäre Kulturen für ihr Bekanntmachen nutzen? Also bei Ihrem Fall wäre es vielleicht so ein Film gewesen wie "Jurassic Park".
Schrenk: Na gut, also wir können natürlich das nutzen, das ist schon richtig, denn das sind Themen, die natürlich viele interessieren. Aber die werden auch eigentlich immer erst aufgegriffen, auch von Filmen, wenn man damit auch Geld verdienen kann. Ja, das ist da ganz klar. Und es ist meistens dann etwas reißerisch. Aber das Interessante ist ja, dass natürlich überall Fantasie drinsteckt, auch bei unseren eigenen Forschungen. Auch bei unseren Ergebnissen, denn wir sind ja auch auf Fantasie angewiesen. Denn es war ja damals keiner dabei, als die Dinosaurier, oder in unserem Fall die Urmenschen, gelebt haben. Es wurde ja nichts gefilmt oder fotografiert. Das heißt, wir interpretieren. Und da die Fossilien ja nicht sprechen können, kommt es letztlich auf uns an, was wir da hineininterpretieren. Das hat viel mit Fantasie zu tun.
Von Billerbeck: Es geht also nicht um das, wie es wirklich war, sondern darum, dem möglichst nahe zu kommen, mit Ihren Forschungen.
Schrenk: Ja, es geht nicht um richtig oder falsch. Darum kann es auch gar nicht gehen, denn wir haben ja gar keine Belege. Es gibt ja keine Inschriften oder Urkunden aus dieser Zeit, sondern wir interpretieren und das kann sich ändern. Das kann in 50 Jahren anders sein, obwohl die Fossilien, um die es geht, immer noch genau dieselben sind. Also es geht um Gedankenspiele, letztendlich, um Hypothesen. Und das ist das, was Spaß macht, und das merke ich auch oft, mit Kindern, mit Jugendlichen. Also da kommen tolle Ideen.
Von Billerbeck: Welche war denn so eine ganz interessante Frage, als Sie versucht haben, Ihr Fach Kindern und Jugendlichen nahe zu bringen?
Schrenk: Es ist oft die Frage, wie lange so etwas dauert. Denn das können wir uns ja sehr schwer vorstellen, so Zeiträume, das kann eigentlich keiner. Ich meine, an die Elterngeneration kann man sich zurückerinnern, die Großeltern. Also bei den Urgroßeltern wird es schon schwierig und bei den Ur-Urgroßeltern weiß ich nicht, wer die noch kennt. Also die Tatsache, dass Evolution und Entwicklung im biologischen Bereich, auch im geologischen, dass das also ganz langsam geht, das ist immer ein großes Thema.
Und zum Beispiel, wir saßen also in Afrika unter einem Mangobaum und haben über dieses Problem gesprochen. Und dann hat also plötzlich einer gefragt, einer von den Jugendlichen dort: "Wie lange war eigentlich einer von Gottes Tagen, als er die Welt erschaffen hat?" Ich wusste erst gar nicht, was er meint, aber es war völlig klar, denn die Abfolge, die in der Bibel da ist - also erst kommt die Erde und so weiter, und dann irgendwann am Schluss die Menschen - das ist ja der Ablauf in der Evolution. Das passt ja eigentlich nicht schlecht, nur die Zeiten sind anders. Und irgendwann haben wir uns darauf geeinigt, dass einer von Gottes Tagen also eben eine Milliarden Menschenjahre ist und dann passt das ganze wieder ungefähr.
Von Billerbeck: Im Radiofeuilleton sprechen wir mit dem Paläobiologen Professor Friedemann Schrenk über das Wechselspiel zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. Herr Professor Schrenk, ist es eigentlich überhaupt nötig der Öffentlichkeit zu vermitteln, was die Wissenschaft tut? Nervt die Öffentlichkeit nicht auch mit ihren möglicherweise unqualifizierten Fragen und Einwänden?
Schrenk: Na, es gibt keine unqualifizierten Fragen. Ich denke, die Öffentlichkeit hat natürlich ein Recht darauf, zu erfahren, was wir Forscher forschen. Schon allein deswegen, weil natürlich viele der Mittel, die wir verbrauchen für unsere Forschung, Steuergelder sind.
Von Billerbeck: Wird dann aber tatsächlich Transparenz erzeugt, wenn die Wissenschaft der Öffentlichkeit mitteilt, was sie da tut? Oder besteht da nicht auch die Gefahr, dass man so ein bisschen auf das Niveau der "Sendung mit der Maus" herunter geht?
Schrenk: Nein. Abgesehen davon, dass die "Sendung mit der Maus" ganz hervorragend ist, würde ich sagen, also das Niveau, das ergibt sich ja aus dem Thema und wie es aufbereitet ist. Also ich denke, es gibt keine dummen Fragen, es gibt eigentlich nur dumme Antworten.
Von Billerbeck: Was hat denn ein Wissenschaftler wie Sie davon, wenn die Öffentlichkeit weiß, was er tut? Ist das auch ein Gewinn für Sie?
Schrenk: Also für mich ist es in mehrfacher Weise wichtig: Und zwar, ich will natürlich - wie jeder Mensch auch, mit dem was er tut - Akzeptanz erreichen. Ich meine, ich sage jetzt nicht, dass ich das nicht tun würde, wenn nicht jeder wüsste, was ich tue. Ich denke nur, es ist wichtig für mich, dass die Bedeutung unserer eigenen Vergangenheit, der Herkunft, der Wiege der Menschheit in Afrika, dass das den Menschen bewusst wird. Denn das hat ja Konsequenzen: Zum Beispiel, bis vor kurzem waren alle Menschen dunkelhäutig. Die dunkle Hautfarbe, das ist das völlig Normale. Unsere helle Hautfarbe, das ist eine Degenerierung, die gibt es noch nicht besonders lange.
Aber wenn Sie einmal sehen, was das bedeutet: Wenn ich Fremdenfeindlichkeit sehe, das ist zum großen Teil Bildungsmangel. Und ich meine, da müssen wir alle mithelfen, da etwas zu bewegen. In Afrika ist es so, da wollen wir langfristig arbeiten und da müssen wir auch die Leute dort einbeziehen. Und es ist auch wichtig, dass eben diese kulturelle Identität, die ja, wo ja Afrika, Wiege der Menschheit, ein Teil davon ist, dass das etabliert wird, auch in Afrika. Das gibt einen völlig neuen Zugang, auch zum Geschichtsverständnis, auch für unsere afrikanischen Mitmenschen.
Von Billerbeck: Wissenschaft populär zu machen, das galt ja hierzulande lange eher als amerikanisch. Ist das inzwischen ein Vorurteil? Also genauer gefragt, sind deutsche Wissenschaftler inzwischen längst wunderbar in der Lage, verständlich zu vermitteln, was sie tun?
Schrenk: Also es war in Deutschland lange Zeit gar nicht unbedingt notwendig, das zu vermitteln auf diese Weise. In Amerika war das eigentlich immer notwendig, denn dort wird Wissenschaft zum großen Teil auch privat finanziert, durch private Stiftungen. Und daher kommt es, dass eben nun hier zum Teil eben wissenschaftliche Veröffentlichungen höher bewertet wurden als populäre. Aber das ändert sich. Also ich stelle fest, dass das zunehmend Fortschritte macht, diese populäre Vermittlung. Und das ist in Amerika zwar weitergegangen, aber ich glaube, wir sind da schon auf einem guten Weg, das bei uns im deutschen Sprachraum auch hinzukriegen.