Schreiben und Freiheit
Jürgen Boos, der Chef der Frankfurter Buchmesse, ist nicht zu beneiden. Der diesjährige Ehrengast heißt China, und das erzeugt, wie Boos sagt, "Druck von allen Seiten".
Die Höflichkeit des Gastgebers gebietet es eigentlich, den Wünschen des Gastlandes und seiner Repräsentanten zu entsprechen. Den Forderungen nach Menschenrechten und Redefreiheit kann sich aber auch die Frankfurter Buchmesse nicht entziehen. So kam es kürzlich auf einer vorbereitenden Tagung zum Eklat, weil zwei regierungskritische Autoren erst ein-, dann ausgeladen worden waren und schließlich doch noch das Wort ergreifen durften, woraufhin die offizielle chinesische Delegation vorübergehend den Saal verließ. Das führte zu heller Aufregung in den deutschen Medien und zahlreichen Interviews mit den beiden Regierungskritikern. Die offiziellen Vertreter wurden übergangen. Sie klagen, dass die Berichterstattung über China in keinem europäischen Land so negativ sei wie in Deutschland. Sie sagen, sie bräuchten keinen Demokratieunterricht, die Zeiten seien vorbei.
Bei diesem Eklat wird es wohl nicht bleiben. Die Menschenrechtsaktivisten, die sich in unseren Feuilletons äußern, sagen zum Beispiel, das Marketing der Buchmesse könne "dichtmachen", wenn es nicht gelinge, den "Code der Verharmlosung" zu knacken und dem "autoritären Regime" die Leviten zu lesen. Der Sinn und Zweck einer Buchmesse kommt in solchen Stellungnahmen nicht vor. Angesichts chinesischer Demokratiedefizite scheint es nicht nötig zu sein, die vielen verschiedenen Interessen zu bedenken, die auf der größten Buchmesse der Welt aufeinanderstoßen.
Es ist die übliche Nonchalance, mit der sich das universalethische Denken über jegliche anthropologischen, geschichtlichen, wirtschaftlichen oder diplomatischen Faktoren und Argumente hinwegsetzt. Als der Chinakenner und Buchautor Helwig Schmidt-Glintzer, Direktor der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel, in diesen Tagen auf die Besonderheiten der Modernisierung Chinas hinwies, um die Kritiker zu mäßigen, wurde das als Abfall vom wahren Glauben gegeißelt. Wer nicht jederzeit und überall nach Demokratie schreit, wird umgehend als ihr Feind entlarvt. Eine naive Haltung sei besser als eine zynische, hieß es. So spricht, wer im Begriffe ist, die ganze Menschheit mit seinen Vorstellungen von Freiheit und Menschenrechten zu beglücken. Kein Gedanke daran, dass es im Zuge massiver Umwälzungen, wie China sie erlebt, zu Anomien kommen kann, die möglicherweise nur mit autoritären und diktatorischen Mitteln zu begrenzen sind, und dass solche Maßnahmen auf lange Sicht jenem Prozess dienen könnten, den sie augenblicklich behindern.
China als Gastland der diesjährigen Buchmesse: Die wahre Chance, die in dieser Konstellation liegt, könnte im Dauerprotest leicht vertan werden. Die Buchmesse ist zuallererst ein Wirtschaftsunternehmen. Wenn sie überhaupt etwas für die Menschenrechte tun kann, dann auf ihrem ureigenen Gebiet, dem Handel. Menschenrechte sind in der modernen Massengesellschaft wesentlich Teilhaberechte am Massenwohlstand. Der Wert westlicher Menschenrechtspolitik wird daran gemessen werden, ob es gelingt, formelle Gleichheitsrechte in materielle zu verwandeln. Mit dem Weltexport seines ethischen Universalismus weckt der Westen Erwartungen, die ihn mit hohen Hypotheken belasten. Abzahlen kann er sie nur mit wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, also im Rahmen guter Wirtschaftsbeziehungen. Die Aufmerksamkeit für den im Exil lebenden Verleger Bei Ling, der Werke von Walter Benjamin und Paul Celan herausbringt, lenkt davon ab, dass in China seit langem Hegel und Heine, Jaspers und Habermas gelesen werden – wie man hört, auf höchstem Niveau. Wer sich Einflussmöglichkeiten auf die Lage in China sichern will, sollte zuallererst Geist und Wirtschaft im eigenen Land pflegen. Nicht, dass die Chinesen am Ende mit dem Gefühl nach Hause fahren, in Deutschland sei nichts weiter passiert, als dass ein Sack Kartoffeln umgefallen wäre.
Andreas Krause Landt, Verleger und Journalist, geb. 1963 in Hamburg. Studierte in Heidelberg und Berlin Germanistik, Philosophie und Geschichte. Seit 1997 Mitarbeiter der "Berliner Zeitung". 1999 erschien sein Buch "Scapa Flow. Die Selbstversenkung der wilhelminischen Flotte"; 2005 "Holocaust und deutsche Frage. Ein Volk will verschwinden" in der Zeitschrift "Merkur" (Heft 680); 2007 "Mechanik der Mächte. Über die politischen Schriften von Panajotis Kondylis" in "Panajotis Kondylis. Aufklärer ohne Mission" (hrsg. von Falk Horst). 2005 Gründung des Landt Verlags in Berlin.
Bei diesem Eklat wird es wohl nicht bleiben. Die Menschenrechtsaktivisten, die sich in unseren Feuilletons äußern, sagen zum Beispiel, das Marketing der Buchmesse könne "dichtmachen", wenn es nicht gelinge, den "Code der Verharmlosung" zu knacken und dem "autoritären Regime" die Leviten zu lesen. Der Sinn und Zweck einer Buchmesse kommt in solchen Stellungnahmen nicht vor. Angesichts chinesischer Demokratiedefizite scheint es nicht nötig zu sein, die vielen verschiedenen Interessen zu bedenken, die auf der größten Buchmesse der Welt aufeinanderstoßen.
Es ist die übliche Nonchalance, mit der sich das universalethische Denken über jegliche anthropologischen, geschichtlichen, wirtschaftlichen oder diplomatischen Faktoren und Argumente hinwegsetzt. Als der Chinakenner und Buchautor Helwig Schmidt-Glintzer, Direktor der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel, in diesen Tagen auf die Besonderheiten der Modernisierung Chinas hinwies, um die Kritiker zu mäßigen, wurde das als Abfall vom wahren Glauben gegeißelt. Wer nicht jederzeit und überall nach Demokratie schreit, wird umgehend als ihr Feind entlarvt. Eine naive Haltung sei besser als eine zynische, hieß es. So spricht, wer im Begriffe ist, die ganze Menschheit mit seinen Vorstellungen von Freiheit und Menschenrechten zu beglücken. Kein Gedanke daran, dass es im Zuge massiver Umwälzungen, wie China sie erlebt, zu Anomien kommen kann, die möglicherweise nur mit autoritären und diktatorischen Mitteln zu begrenzen sind, und dass solche Maßnahmen auf lange Sicht jenem Prozess dienen könnten, den sie augenblicklich behindern.
China als Gastland der diesjährigen Buchmesse: Die wahre Chance, die in dieser Konstellation liegt, könnte im Dauerprotest leicht vertan werden. Die Buchmesse ist zuallererst ein Wirtschaftsunternehmen. Wenn sie überhaupt etwas für die Menschenrechte tun kann, dann auf ihrem ureigenen Gebiet, dem Handel. Menschenrechte sind in der modernen Massengesellschaft wesentlich Teilhaberechte am Massenwohlstand. Der Wert westlicher Menschenrechtspolitik wird daran gemessen werden, ob es gelingt, formelle Gleichheitsrechte in materielle zu verwandeln. Mit dem Weltexport seines ethischen Universalismus weckt der Westen Erwartungen, die ihn mit hohen Hypotheken belasten. Abzahlen kann er sie nur mit wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, also im Rahmen guter Wirtschaftsbeziehungen. Die Aufmerksamkeit für den im Exil lebenden Verleger Bei Ling, der Werke von Walter Benjamin und Paul Celan herausbringt, lenkt davon ab, dass in China seit langem Hegel und Heine, Jaspers und Habermas gelesen werden – wie man hört, auf höchstem Niveau. Wer sich Einflussmöglichkeiten auf die Lage in China sichern will, sollte zuallererst Geist und Wirtschaft im eigenen Land pflegen. Nicht, dass die Chinesen am Ende mit dem Gefühl nach Hause fahren, in Deutschland sei nichts weiter passiert, als dass ein Sack Kartoffeln umgefallen wäre.
Andreas Krause Landt, Verleger und Journalist, geb. 1963 in Hamburg. Studierte in Heidelberg und Berlin Germanistik, Philosophie und Geschichte. Seit 1997 Mitarbeiter der "Berliner Zeitung". 1999 erschien sein Buch "Scapa Flow. Die Selbstversenkung der wilhelminischen Flotte"; 2005 "Holocaust und deutsche Frage. Ein Volk will verschwinden" in der Zeitschrift "Merkur" (Heft 680); 2007 "Mechanik der Mächte. Über die politischen Schriften von Panajotis Kondylis" in "Panajotis Kondylis. Aufklärer ohne Mission" (hrsg. von Falk Horst). 2005 Gründung des Landt Verlags in Berlin.