Schreiben ist Lauschen

Von Tobias Wenzel |
Lange Zeit war die Musik das einzige, was ihn interessierte. Dann fing der norwegische Autor Jon Fosse mit dem Schreiben an. Musik hört er keine mehr. Aber seine Texte sind dafür umso rhythmischer, geradezu musikalisch. So auch seine neue Novelle "Schlaflos", eine rührende Liebesgeschichte vor düsterem Hintergrund.
Jon Fosse, ein schwarz gekleideter Mann mit nach hinten gekämmten grauen Haaren, trinkt ein Bier, passend zur Bierbank, auf der er im Garten der Berliner Festspiele sitzt. Dreimal hat der 48-jährige Schriftsteller und Dramatiker Einladungen des Internationalen Literaturfestivals ausschlagen müssen, weil er immer gerade irgendwo im Ausland unterwegs war, um sich die Inszenierungen seiner Theaterstücke anzusehen.

Jetzt schreibt er aber wieder mehr Prosatexte und hat Zeit für Berlin. Verunsichert blickt Jon Fosse mit seinen blauen Augen sein Gegenüber an. Ist er ein ängstlicher Mensch?

"Mich beunruhigt einfach alles. Aber gleichzeitig, auf einer anderen Ebene, fürchte ich mich vor nichts. Ich bin ein furchtloser Schriftsteller. Beides stimmt also. Auf mich trifft das Sowohl-als-Auch zu: Ich bin jemand, der sowohl offen als auch sehr schüchtern ist. Und so weiter."

"Schlaflos" heißt das dünne Buch, aus dem Jon Fosse am Sonntagabend beim Literaturfestival las. Eine Erzählung von 78 Seiten, eine rührende Liebesgeschichte vor düsterem Hintergrund. Asle und Alida, ein junges Paar, sie hochschwanger, verlassen ihr norwegisches Heimatdorf in einem Ruderboot und fahren in eine Stadt, um dort neu anzufangen. Aber niemand will den beiden ein Zimmer vermieten. Das Ganze erinnert an die Weihnachtsgeschichte und Maria und Josef.

"Als ich diese Erzählung schrieb, dachte ich ehrlich gesagt überhaupt nicht an die Bibel. (Lacht.) Es ist doch nur die Geschichte eines jungen Paares, das eine Bleibe sucht. Das findet man doch überall im Leben. Ich halte nichts von literarischen Anspielungen. Ich kann dieses ganze Intertextualitätszeug nicht leiden. (Lacht.) Wenn ich schreibe, bin ich lieber unwissend. Mit Glück erwische ich einen Anfang, der mich irgendwo hinführt. Und dann muss ich einfach nur dem lauschen, was ich schon geschrieben habe. Ich versuche nicht, klug zu sein. Ich schreibe einfach nur. Schreiben ist Lauschen."

Wenn Jon Fosse lacht, bewegt sich die Brille, die am Brillenband vor seinem Bauch hängt, auf und ab. Das schwarze Band verschmilzt mit dem schwarzen Hemd. Und so scheint die Brille zu schweben. Der Schwebezustand, erzeugt durch die Liebe und durch die Musik, erscheint bei Fosse, nicht nur in der neuen Erzählung, als perfekter Glücksmoment. Überhaupt fühlen die Figuren in Jon Fosses Theaterstücken und Erzählungen viel und sprechen wenig:

"Da sie schon alles wissen, brauchen sie es nicht auszusprechen. Es geht nicht um Kommunikationsmangel. Ganz im Gegenteil. Asle und Alida wissen sehr genau, wo sich die jeweils andere Person befindet, in ihrem Kopf, in ihren Gefühlen. Sie müssen darüber nicht sprechen."

Auch in dem Buch "Morgen und Abend", das Fosse international bekannt machte, wird wenig gesprochen. Eine Erzählung über die Geburt und den Tod, die, wie üblich bei Fosse, Satzzeichen nur sparsam verwendet, die dahin fließt und den Leser in einen Sog zieht. Die Hauptfigur ist ein alter Fischer. Das Wasser lässt Jon Fosse nicht los:

"Ich bin an einem Fjord aufgewachsen, mit Blick auf den Fjord bei Tag und Nacht. Mit 15 Jahren habe ich diesen kleinen Ort verlassen und dann viele Jahre ohne Nähe zum Meer gelebt. Und jetzt wohne ich in Bergen, nur fünf Meter vom Byfjord entfernt. Es ist gut für mich und meine Texte, wenn ich nah am Wasser bin. Das hat bestimmt etwas mit meiner Kindheit zu tun. In meinen Texten kommt viel Wasser vor: das Meer, der Fjord, der Regen. Beim Schreiben suche ich nach Sicherheit, vor allem wenn es sich um eine traurige oder gefährliche Geschichte handelt. Und ich verbinde Wasser irgendwie mit Sicherheit."

Wirkt er deshalb vielleicht etwas unsicher, hier im Garten des Berliner Festspielhauses, in dem es weit und breit kein Wasser gibt? Und wenn er hier in Berlin schriebe, würden die Texte dann völlig anders aussehen als jene, die er am Wasser in der norwegischen Heimat verfasst?

"(Auf Deutsch: Ja, ich glaube so.) Ich schreibe ehrlich gesagt gar nicht so viel. Es gibt Phasen, in denen ich schreibe, andere, in denen ich reise und Lesungen mache. Ich habe versucht, im Ausland zu schreiben, aber ohne nennenswerten Erfolg. Deshalb bleibe ich lieber in den Landschaften und den Orten, an denen ich mich sicher fühle. Schreiben ist gefährlich, weil es eine Reise ins Unbekannte ist. Wenn ich dann also auch noch wie jetzt im Ausland bin, wenn ich also gleichzeitig zwei Reisen begehe, dann ist das eine Reise zuviel."