Schreiben für Google?

Von Peter Köpf · 07.05.2009
Ich bin jetzt auf Google zu haben. Mein Buch "Schreiben nach jeder Richtung" ist 14 Jahre alt. Obwohl ich zwei Jahre meines Lebens daran recherchiert und geschrieben hatte, wurde es kein großer kommerzieller Erfolg. Das Publikum interessiert sich nicht für "Goebbels-Propagandisten in der westdeutschen Nachkriegspresse".
Wer zu den Chefs des amerikanischen Musterblatts "Neue Zeitung" gehörte, dass und weshalb in Hannover ein SS-Förderer eine Zeitungslizenz erhielt und dass der Lizenzträger der Heidelberger "Rhein-Neckar-Zeitung" anlässlich des Anschlusses von Österreich 1938 öffentlich-schriftlich bejubelt hatte, dass "Großdeutschland ersteht", fand kein großes Interesse – nicht einmal aufgrund der Tatsache, dass der Großdeutschland-Laudist elf Jahre später erster "kleindeutscher" Bundespräsident war.

Das alles können Sie inzwischen bei Google Books nachlesen. 20 Prozent des gesamten noch lieferbaren Buchs sind dort kostenlos abrufbar, als Lese- und Kaufanreiz, wie mein Verleger hofft. Falls das nicht klappt, wird die Restauflage vermutlich verramscht und das Buch vollständig online gestellt. Bei Google.

Solche nicht mehr lieferbaren Titel will der amerikanische Allesfresser vor dem Verschimmeln retten. Das klingt vernünftig. Denn ist es nicht so: Nicht gelesen zu werden und nichts verdienen kommt doch aufs selbe raus wie gelesen werden und nichts verdienen.
Bei genauerem Überlegen jedoch kommt die Empörung:
Google hat inzwischen sieben Millionen Bücher vollständig eingescannt und auf seiner Plattform zur Verfügung gestellt, ohne die Urheber vorher um Erlaubnis zu fragen. Das ist Diebstahl. Dass ich - falls ich überhaupt bemerke, dass Google mein geistiges Eigentum ausbeutet – dagegen Widerspruch einlegen muss, ist Nötigung.

Einen Vergleich, der das alles zulässt, haben vor einem amerikanischen Gericht Google und die amerikanischen Autoren- und Verlegerorganisationen stellvertretend für alle Angehörigen dieser Berufsgruppen geschlossen. Wenn das Gericht diesem Vergleich nach dem abschließenden Anhörungsverfahren am 7. Oktober zustimmt, dann erhalten die Anwälte der Kläger exorbitante Honorare: die der Autoren 30 Millionen Dollar, die der Verleger 15,5 Millionen. So steht’s im Vergleich.

Es steht auch drin, wer die Honorare dieser Anwälte bezahlt, die indirekt ja auch meine sind: Google.

Kleingeld dagegen bekommen mein Verleger und ich, wenn wir uns darauf einigen, Google im Partner-Programm noch lieferbare Bücher zur Verfügung zu stellen. Wir dürfen uns 60 Dollar teilen. Aber nur wenn wir nicht vergessen, die Ansprüche schriftlich geltend zu machen; und wenn Google sich nicht verkalkuliert hat und die Honorare kürzt, was laut Vergleich möglich ist.
Wenn ich nicht bis 4. September widerspreche, ist dieser Kuhhandel auch für mich rechtlich bindend. US-Recht wird dann sozusagen Welt-Recht.

Ob ich mich dem Vergleich anschließen oder aus der Gruppe der Autoren austreten soll, will gut überlegt sein. Deshalb bin ich gezwungen, einen 134 Seiten langen Vergleich nachzulesen (in Englisch). Das ist der zweite Diebstahl, der Diebstahl meiner Zeit.

Falls ich meine Zeit nicht opfern will, rät mir der Bezirksrichter von New York, mich von einem Rechtsanwalt beraten zu lassen. Das ist zynische Juristenargumentation.

Ich will mit Juristen jeglicher Art nichts zu tun haben, weder mit 30-Dollar-Anwälten, die ich mir kaufen kann, noch mit 30-Millionen-Dollar-Anwälten, die andere sich leisten können. Und ich würde ja auch keinen Rechtsbeistand benötigen, wenn Google sich an das hierzulande gültige Recht halten müsste. Fair wäre und bisherigen europäischen Geschäftspraktiken entspräche, dass Google um Zustimmung bittet, wenn das Unternehmen meine Arbeit versilbern will. Aber das US-Recht fragt und urteilt anders.

Recht romantische Vorstellungen vom Kulturbetrieb scheinen auch im deutschen Publikum zu wabern, wie ein Leserbriefschreiber in der "FAZ" (4. Mai) zeigt. "Ist das einzige Motiv für kulturelle Schöpfung die wirtschaftliche Ausbeutung der Erzeugnisse?"

Ist es nicht. Nicht allein! Jedenfalls nicht für jeden Autor, der aber wenigstens von seiner Arbeit leben können muss. Auch nicht für die wenigen Verleger, die wichtige Bücher betreuen, auch wenn sie draufzahlen. In diesem Spiel gibt es nur einen, der kulturelle Schöpfung ausbeutet: Google.

Dieser Firma und denen, die auf das Geschäftsmodell Google setzen, sage ich: Dafür werde ich nicht noch einmal zwei Jahre meines Lebens einsetzen. In diese Richtung schreibe ich nicht.


Peter Köpf ist stellvertretender Chefredakteur von "The German Times" und "The Atlantic Times". Er schrieb zahlreiche Sachbücher, zuletzt "Hilfe, ich werde konservativ. Die Zeiten ändern sich – meine Überzeugungen nicht". Mehr: www.denk-bar.de