Schreiben als "asoziale Tätigkeit"

Jens Petersen im Gespräch mit Katrin Heise |
Der Gewinner des diesjährigen Bachmann-Literaturwettbewerbs, Jens Petersen, betrachtet das Schreiben als "asoziale Tätigkeit". Schriftstellerei sei "in Momenten, die (…) glänzen", wenn man beispielsweise einen Preis bekomme, sehr schön, aber im Großen und Ganzen auch von viel Frustration gekennzeichnet, sagte Petersen. "Man ist nicht immer gut gelaunt beim Schreiben, ganz im Gegenteil. Das schlägt sich dann manchmal auch aufs Soziale (…) nieder", so der Autor und Arzt.
Katrin Heise: Herr Petersen, ich gratuliere Ihnen recht herzlich!

Jens Petersen: Vielen Dank!

Heise: Können Sie Ihr Glück denn schon fassen? Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie es gehört haben?

Petersen: Ja, da kann man erst mal nicht so viel dazu sagen. Also ich hab dieses Ganze verfolgt, seit ich zur Schule gegangen bin. Wir hatten einen Deutschlehrer, der war da sehr engagiert, hat uns zum Teil die Siegertexte gegeben. Ich hab Anthologien gelesen, ich hab das im Feuilleton verfolgt und auch auf 3Sat regelmäßig und hatte da als Schüler so eine Beziehung dazu wie andere Leute es dazu hätten, vielleicht mal im WM-Finale ein Tor zu schießen irgendwann. Man weiß, es ist völliger Unsinn, es wird nie passieren, aber man darf ja mal träumen.

Heise: Und jetzt ist Ihr Traum Wirklichkeit geworden, und Ihr Text wird verteilt im Deutschunterricht.

Petersen: Ja, also ich hab mich nach der Lesung gefühlt, als hätte man mir den Stecker rausgezogen. Ich kann normalerweise besser mit Stress umgehen, und ich hatte wirklich das Gefühl, ich hab mich da mental nicht ein paar Wochen oder ein paar Monate, sondern 17 oder 18 Jahre drauf vorbereitet. Das kann ich im Moment noch gar nicht so richtig formulieren, was ich da… Aber es ist schon toll, ja.

Heise: Ihr Text, Herr Petersen, ist ein sehr beklemmender Text, ein Text über Liebe und Tod. Ich will ihn mal versuchen, ganz kurz zusammenzufassen. "Bis dass der Tod" heißt er, und er erzählt eine, vielleicht zwei Stunden aus dem Leben eines Mannes, der seine todkranke Frau pflegt und versorgt. Die Krankheit, die aufopfernde Pflege hat beide eigentlich alles verlieren lassen: ihr gemeinsam mit den Eltern betriebenes Restaurant, offenbar auch ihre Wohnung. Am Ende des Textes hat er sie erschossen, er ist aber nicht in der Lage, sich selber das Leben zu nehmen, wie er es eigentlich vorhatte. Wir können jetzt mal eine ganz kurze Passage aus Ihrer Lesung hören.

"Er setzt sich auf den Rand der Matratze und betrachtet sie, wischt ihr schließlich mit dem Zipfel der Bettdecke über den Mund und legt ihr die Tabletten nacheinander auf die Zunge. Er beugt sich ein Stück vor und küsst ihre matten Augenlider. Sie blinzelt und schmatzt. Er führt die schmutzige Tasse an ihre Lippen und sieht zu, wie ihr der Kaffee übers Kinn rinnt und auf der Decke fein verästelte Flecken hinterlässt. Die Musik spielt weiter, Mendelssohn-Bartholdy, denkt Alex. Früher mochte er Mendelssohn nicht, heute ist er froh, dass Mendelssohn diese Leere füllt."

Heise: Das war ein Auszug aus dem Text, mit dem Jens Petersen den Bachmann-Preis gewonnen hat. Er hat es selbst gelesen. Herr Petersen, Sie sind nicht nur Autor, sondern Sie sind auch praktizierender Arzt, Sie sind Neurologe, und wir erfahren in dem Text von der Abschottung, ob jetzt gewollt oder nicht, in die Menschen geraten, die einen Sterbenden begleiten. Lassen wir als Gesellschaft diejenigen alleine oder kann man ihnen vielleicht auch gar nicht wirklich helfen?

Petersen: Ich glaube, das ist das Tragische, dass man ihnen gar nicht wirklich helfen kann. In der Regel wird der Tod ausgeblendet, und wenn es dann aufs Letzte zugeht, dann sind alle recht hilflos, wissen gar nicht so genau, wie sie sich da verhalten können. Es gibt ein paar Institutionen, da ist das professionalisiert, wie in Hospizen zum Beispiel. Aber es ist meiner Meinung nach das Schrecklichste, was einem Menschen passieren kann, und das Diffuseste und das, womit man auch am schwersten umgehen kann. Und es ist klar, man kann ja keine Leitung in den Kopf des anderen legen, um ihm seine Gefühle zu übermitteln. Man muss es irgendwie artikulieren, man artikuliert es dann vielleicht mal schief oder man hat immer das Gefühl, man denkt oder empfindet Dinge, die man eigentlich gar nicht so richtig in Worte fassen kann. Und dieses Gefühl, dass da jemand alleingelassen wird, und vielleicht auch das Gefühl des Sterbenden, allein zu sein, das ist dem Tod, glaube ich, schon sehr eigen.

Heise: Verarbeiten Sie als Autor Ihre Erfahrungen mit Krankheit, Sterben, Begleitung, Verzweiflung, also was bedeuten diese existenziellen Erfahrungen für Ihr Schreiben?

Petersen: Das beeinträchtigt natürlich die Art, wie man lebt, das beeinflusst die Art, wie man denkt, aber Alltagserfahrungen in einer Klinik kann man nicht eins zu eins in Literatur umsetzen, ohne einen gewissen Abstand dazu zu haben. Mir geht es zumindest so. Die Themen, über die ich schreibe, die müssen immer mit einem zeitlichen Fenster oder mit einem Abstand von mehreren Jahren sacken, ruhen, noch mal durchdacht werden. Wenn man das sofort aufs Papier transportiert, dann wird das irgendwie Ressentimentgeladen. Ich weiß nicht, ob andere Autoren das können, in meinem Fall wird das dann schlecht.

Heise: Sie sind 1976 geboren, Sie haben 2005 mit Ihrem Roman "Die Haushälterin" schon Auszeichnungen erhalten. Damals ging es um eine Vater-Sohn-Beziehung, auch um Liebe, also durchaus, Sie verlassen mit der Schriftstellerei auch Ihren Beruf als Arzt, also es geht nicht immer um diese Themen?

Petersen: Nein, es geht natürlich im weiteren Sinne um das, was das eigene Glück und das eigene Leid beeinträchtigt. Das ist ja auch die Motivation zum Schreiben, glaube ich, dass man irgendeinen Mangel empfindet oder irgendwas mitteilen möchte. Und das sind meistens Dinge, die schon einen autobiografischen Bezug haben. Es gibt zwar Autoren, die behaupten, ihr Schreiben habe mit der eigenen Biografie überhaupt nichts zu tun, aber ich halte das für Unsinn. Und eine andere prägende Erfahrung, die ich eben hatte, war die Erfahrung, die ich in der Pubertät gemacht hatte. Da kann man drüber lächeln, wenn man aus der Zeit raus ist, man kann auch in eine Disko gehen und sich anschauen, wie 15- bis 17-Jährige da tanzen und kann das ulkig finden. Aber wenn man in dieser Situation selbst sich befindet, dann ist das irgendwie auch sehr existenziell. Und das ist dann das Thema meines ersten Romans "Die Haushälterin" geworden. Aber ich konnte das eben auch erst verarbeiten mit einem Abstand von so ungefähr acht, neun Jahren.

Heise: Im Deutschlandradio Kultur spreche ich mit dem Autor Jens Petersen, der mit seinem Text "Bis dass der Tod" den diesjährigen Bachmann-Literaturwettbewerb gewonnen hat. Herr Petersen, man fragt sich, wie kann man eigentlich beide Berufe ausfüllen, Arzt und Autor, und beide eben dann mit so viel Erfolg?

Petersen: Da muss man sich kräftig in den Hintern treten, um das zu können, und das ist nicht immer einfach. Also man muss sich disziplinieren. Es gibt ja auch die Idee, dass Schreiben so was sei, was von oben kommt und das einen trifft wie ein Blitz, wenn man nur lange genug spazieren geht oder unter der Dusche steht. Und das funktioniert natürlich nicht so, wenn man noch einen Beruf hat wie das Arztsein. Ich gehe tagsüber in die Klinik, wenn ich nicht gerade im Schichtdienst bin, spring dann, wenn ich wiederkomme, kurz in den Züricher See, der ist ja auf dem Weg vom Uni-Spital Zürich zu meiner Wohnung, um einen klaren Kopf zu bekommen, und dann setze ich mich an den Schreibtisch. Und das muss man sich antrainieren. Das geht auch. Was so ein bisschen problematisch oder schade dabei ist: Schriftstellerei ist ja eine asoziale Tätigkeit, das ist auch in so Momenten, die so ein bisschen glänzen wie dieser jetzt, wo man so einen Preis bekommt, sehr schön, aber im Großen und Ganzen da auch von viel Frustration und so weiter gekennzeichnet. Man ist nicht immer gut gelaunt beim Schreiben, ganz im Gegenteil, das schlägt sich dann manchmal auch aufs Soziale so ein bisschen nieder.

Heise: Sie sagten in Ihrem Video, mit dem Sie sich dem Wettbewerb vorgestellt haben, dass Sie eigentlich immer in einem Dilemma stecken, in beiden Berufen in einem Dilemma zwischen Kreativität und Struktur. Wie lösen Sie das?

Petersen: Also ich transportiere, glaube ich, so bestimmte Mechanismen, die ich aus der Medizin habe und auch aus der Art, wie da gedacht und gearbeitet wird, auf meine Art, Manuskripte zu erstellen und auf der anderen Seite vielleicht so eine gewisse schriftstellerische Unbefangenheit und Neugierde in den Arztberuf. Es gibt Ärzte, die verfallen sehr schnell in Verhaltensschemata, und dann hat man das Gefühl, wenn die mit einem Patienten reden oder den ansehen, dann ist das irgendeine Maske, aber es sind nicht mehr sie selbst. Und die Literatur zwingt einen aber beziehungsweise das Schreiben zwingt einen, immer neugierig zu bleiben und immer ein bisschen neben der Spur dessen zu fahren, was so gerade der Konvention entspricht. Insofern befruchtet sich das gegenseitig schon sehr.

Heise: Aber manchmal wünschen Sie sich dann doch auch mehr Struktur in Ihrem kreativen Schaffen?

Petersen: Ja, das Problem dabei ist ja, niemand weiß so richtig, wie das funktioniert. Man kann in Buchläden, gerade aus der angloamerikanischen Richtung, einen Haufen Publikationen finden über kreatives Schreiben oder ein Haufen Kochrezepte, wie man einen Roman machen könnte, es gibt das auch zum Drehbuchschreiben und so weiter. Es gibt Seminare, die zum Teil hochkarätig sind, Literaturhaus in München, Leipzig und so weiter. Aber wenn man so was mal gemacht hat – ich hab das alles gemacht –, man weiß da nicht viel besser, wie man schreibt, als man’s schon wusste, bevor man’s gemacht hat. Im Grunde, auch wenn man Leute fragt, wenn man einen Autor fragt, wie schreibst du eigentlich, die sagen dann irgendwas, aber meistens ist es entweder Koketterie oder sie wissen es selbst nicht so genau. Und da wünscht man sich manchmal, dass man so einen Plan hätte, nach dem man vorgehen kann, wie es vielleicht einem Karriereplan in der Medizin oder einem Behandlungsschema in der Medizin entspricht, um nicht, wenn man 100 Seiten geschrieben hat, plötzlich merken zu müssen, 90 davon sind Mist.

Heise: Kehren wir mal zum Wettbewerb zurück, also nicht zu der eigenen Kritik, sondern zu der Kritik, der Sie sich da auch ausgesetzt haben. Im Wettbewerb, da haben 14 deutschsprachige Autoren und Autorinnen gelesen aus bisher unveröffentlichten Texten. Die Lesung ist immer vor Publikum und Jury, dauert zirka eine halbe Stunde, und danach dürfen oder vielleicht müssen Sie sich dann auch in die Mitte der Jury setzen und, ja dann werden Sie und Ihr Text eben auseinandergenommen. Wie fühlten Sie sich da? Es fielen ja Worte wie Kitsch und Prärieromantik.

Petersen: Es ist eine sehr anstrengende Situation, da zu sitzen und sich das anzuhören. Es ist auch faszinierend, es ist auch faszinierend zu sehen, wie diese Juroren, die ja mit dem Vortrag, den sie da selbst halten, eine eigene Kunstform kultiviert haben, so würde ich das wirklich nennen. Da gibt es zwei Arten von Kritik, glaube ich: Die eine ist positiv vonseiten eines Kritikers, der den Text gelesen hat und wo man irgendwie das Gefühl hat, er kann was damit anfangen und kann damit umgehen, hat sich damit auseinandergesetzt. Die andere ist negativ-konstruktiv oder beziehungsweise – wie soll man das sagen – eine negative Kritik, bei der man auch spürt, dass derjenige sich damit auseinandergesetzt hat. Und dann gibt es so Sentenzen, die werden in den Raum gestellt, da fragt man sich, woher das kommt.

Also Frau Feßmann sagte zum Beispiel: Ja, ich versteh schon, dass ein Arzt auch mal von seinen Erfahrungen schreiben muss. Das versteh ich dann wiederum nicht. Aber wenn jemand wie Herr Jandl sagt, dass das Kitsch ist – er hat seine Meinung dann revidiert am nächsten Tag, aber ich hätte sie, wenn er sie so stehengelassen hätte, wenn er das für Kitsch gehalten hätte, ich hätte das akzeptieren können. Ich hatte das Gefühl, dass er sich wirklich damit auseinandergesetzt hat und dass dieses nun im Rahmen jahrelanger ästhetischer Urteilsbildung, dass er in diesem Rahmen zu dem Schluss gekommen ist. Und es ist ein Text, der mit Kolportageelementen arbeitet, der die auch bewusst einsetzt. Und es ist dann für einen Autor einerseits schön, dass jemand das erkennt, und es ist aber andererseits auch wichtig, wenn dann jemand mal den Verdacht äußert, es könnte vielleicht überinstrumentiert sein.

Heise: Die Jury will ja auf jeden Fall unbedingt erfahren, wie es mit der Hauptfigur weitergeht, Ihr Text war ja ein Ausschnitt eines Romans – ist der eigentlich schon fertig?

Petersen: Der ist noch im Entstehen begriffen, erscheint wahrscheinlich Ende 2010, das ist zumindest der Plan im Moment. Und ich habe aber hier in Klagenfurt viele Anregungen erhalten. Also es ist immer alles im Fluss. Und ich konnte ihn vor zwei Tagen oder vor drei Tagen, als ich im Flugzeug von Zürich nach Klagenfurt saß, das Konzept ganz genau erläutern und habe auch dran geglaubt. Aber das ist mittlerweile nicht mehr so. Ich weiß nicht, ob das wirklich das letzte Kapitel ist, wie ich es geplant hatte…

Heise: Denn Sie haben gesagt, es ist das letzte Kapitel, was wir gehört haben?

Petersen: Ja, ja, ich hatte das so geplant. Es wäre eine andere Geschichte, wenn er mit der Schuld umgehen müsste. Im Moment erzähle ich die Vorgeschichte, vielleicht ist die andere Geschichte interessanter. Ich brauche ein bisschen Abstand dazu, kann ich im Moment nicht sagen.

Heise: Jens Petersen ist der Gewinner des diesjährigen Bachmann-Literaturwettbewerbs. Alles Gute weiterhin für Sie, Herr Petersen, und vielen Dank für das Gespräch!

Petersen: Ich danke Ihnen!

Heise: Wir gratulieren natürlich auch den Gewinnern des zweiten und dritten Preises: Ralf Bönt und Gregor Sander.