Schreckgespenst für Großmeister

Von Stephanie Kowalewski |
Shredder ist das erfolgreichste Schachcomputerspiel der Welt. Den Namen der Software hat der Düsseldorfer Entwickler einem anderen Hobby entliehen: dem Surfen. Das brechen der Wellen an der Flosse des Brettes nennen die Surfer shraddern. Und genauso unbeirrt wie die Finne durch Wasser gleitet, so zieht das Schachprogramm seine Bahnen durch die internationale Schachszene. An Shredder kommt keiner vorbei. Er schlägt sie alle.
"Mein Name ist Stefan Meyer-Kahlen, ich bin 38 Jahre alt und ich bin Shredder.
Also ich bin der Programmierer des Schachprogramms Shredder, dass elfmal Weltmeister geworden ist."

Shredder ist so gut, dass selbst die weltbesten Spieler nahezu chancenlos sind. Ab und an mal ein Remis, mehr ist nicht drin. Ein Teil des Erfolges ist Shredders Schnelligkeit, sagt der Düsseldorfer Entwickler Stefan Meyer-Kahlen.

"Typischerweise rechnen Menschen eine Stellung pro Sekunde und mein Schachprogramm, das macht eine Millionen Stellungen pro Sekunde und das macht es halt so gut."

Das Schachprogramm berechnet in sekundenschnelle zehn Züge pro Spieler. Außerdem sind Shredder so profane spielbeeinflussende Dinge wie Nervosität, Ärger oder Ungeduld völlig fremd. Stefan Meyer-Kahlen räumt allerdings ein, dass sich die Gewinnchancen für den Menschen erhöhen, je länger die Bedenkzeit ist und der Mensch Zeit hat, eine Strategie zu entwickeln.

"Auf der anderen Seite sind Schachprogramme besser, je besser der Rechner ist. Das heißt bei großen Turnieren fahre ich natürlich große Hardware auf. Und da spielt die Zeit ja auch für mich. Also nächstes Jahr sind die Rechner schneller, übernächstes Jahr sind die Rechner schneller. Ich kann mich jetzt im Prinzip zurücklehnen und weiß, dass die Version in zehn Jahren alle menschlichen Spieler immer schlägt. Also die Zeit spricht für mich als Computer."

Doch obwohl Shredder nahezu unschlagbar ist, nutzen ihn Großmeister ebenso wie Vereinsspieler Jürgen Daniel: zum Training und zur Analyse von gespielten Partien.

"Wenn man gewonnen hat, ist alles in Ordnung, dann hat man alles richtig gemacht. Hat man verloren, will man aber wissen, warum. Und dann geben inzwischen alle Vereinsspieler ihre Partien in den Computer ein und lassen die nachträglich analysieren. Und man sieht dann sofort, weil die diese taktischen Fehler in weniger als einer Sekunde manchmal aufdecken, was man selbst für ein Depp, will ich mal sagen, war, was man wieder falsch gemacht hat. Das ist natürlich ein ganz wertvolles Merkmal, weil nur wenn man seine Fehler erkennt, kann man die auch beim nächsten Mal abstellen."

Jürgen Daniel ist nicht nur ein passionierter Spieler. Er ist auch Schachhändler und betreibt einen einigen Schachverlag. Er kennt sie alle, die großen Computerschachprogramme.

"Es gibt sehr taktisch orientierte Programme, die sehr gierig sind. Also man sagt Schachprogrammen nach, dass sie sehr materialsüchtig sind. Also die nehmen gerne noch einen Bauern, noch einen Bauern."

Solche Schachprogramme sind darauf aus, dem Gegner möglichst schnell möglichst viele Spielfiguren abzunehmen. Der Mensch hingegen spielt mit Strategie.

"Ich gebe einen Bauern oder vielleicht sogar eine Figur, ich bekomme auf der einen Seite dafür Zeit, Raum, Geschwindigkeit für meine Figuren."

Solche strategischen Überlegungen hat Stefan Meyer-Kahlen auch seinem Shredder beigebracht, denn er wollte ein intelligentes Programm kreieren, das eben nicht in erster Linie materialsüchtig ist. Dazu hat der Programmierer nicht etwa alle möglichen Spielzüge eingegeben, sondern er füttert das Schachprogramm mit so genannten Stellungsmustern und deren Bewertung. Der Informatiker hat also festgelegt, welche Positionen der Spielfiguren zueinander besonders günstig sind und welche nicht. Im Spiel rechnet Shredder dann blitzschnell alle möglichen Kombinationen durch und entscheidet dann selbst, welcher Zug der effektivste ist.

"Und beim Shredder ist es so, dass man manchmal das Gefühl hat, dass er sehr trocken spielt und auch im Endspiel sehr, sehr gute Pläne findet. Das ist für ein Schachprogramm eher ungewöhnlich. Man kann nicht mehr mit Sicherheit sagen, das ist eine Maschine, die das gespielt hat."

Shredder, sagt Jürgen Daniel, macht eben dank der besonderen Programmierung manchmal sogar menschliche Züge.
Die erste Version von Shredder entwickelte Stefan Meyer-Kahlen während seines Informatikstudiums.

"Das war auch ganz lustig, so der inoffizielle Test, ob ich meinen Schein kriege, war, wir mussten unseren Professor schlagen. Das war aber eigentlich ganz einfach, weil der konnte kaum Schach spielen. Aber das haben wir geschafft. Ja und dann hab ich so ein bisschen Blut geleckt und hab das immer weiterentwickelt."

Und zwar sehr erfolgreich. Shredder gibt es inzwischen in der zehnten Version, für Windows-, Macintosh- und Linuxcomputer, für kleine Taschencomputer, so genannte PDAs und ganz neu, auch fürs Handy. So können Schachspieler mit einem internetfähigen Handy mobil gegen Shredder spielen.

"Da sind so Taktikstellungen drin, so Schachprobleme die man lösen kann. Und das ist, glaube ich, eher so die Hauptanwendung, dass man in der Bahn fährt morgens und sagt, jetzt mache ich mal ein paar Schachstellungen."

Doch der Einzug der Computertechnik in das Schachspiel versüßt nicht nur die morgendliche Bahnfahrt. Es bringt auch Nachteile mit sich, findet Jürgen Daniel.

"Es geht ein wenig von der Faszination verloren. Für mich waren Schachpartien früher ein bisschen spannender, geheimnisvoller, als sie das jetzt sind."

Und auch für den Entwickler Stefan Meyer-Kahlen bleibt ein leicht bitterer Beigeschmack.

"Es war mein Hobby und jetzt ist es mein Beruf. Eigentlich ganz nett, aber jetzt hab ich kein Hobby mehr."
"Schach matt, hab ich verloren."