"Schrecken ohne Ende"

Von Ute May |
Der belgische Maler James Ensor ist heute fast vergessen. Doch seine Werke spielten und spielen für Künstler seiner Zeit, aber auch Maler der Gegenwart ein große Rolle. So prägte der von 1860 bis 1949 lebende Künstler die Werke von Edvard Munch, Emil Nolde, Erich Heckel und Paul Klee. Das Von-der-Heydt-Museum in Wuppertal möchte mit seiner Ausstellung "James Ensor: Schrecken ohne Ende" dem Maler zu neuer Prominenz verhelfen.
Ein Foto zeigt den Maler, der Zeit seines Lebens nicht aus dem belgischen Badeort Oostende herausgekommen ist: Rittlings sitzt er auf einem Dachfirst und spielt Flöte. Eine einsame Gestalt - so sah er sich selbst.

So sahen ihn auch andere, die trotz James Ensors skurrilem Benehmen seine Kunst studierten und sich an ihr orientierten - bis heute.

Zum ersten Mal ist es nun gelungen, dieses Nachwirken genau zu analysieren, sagt Dr. Gerhard Finckh, Direktor des von-der-Heydt-Museums und zugleich Kurator der Schau, mit berechtigtem Stolz.

"Wir haben einerseits nach Künstlern gesucht, die sich dezidiert auf James Ensor beziehen. Da haben wir Künstler gefunden wie zum Beispiel Nolde oder Heckel. Wir haben aber auch Künstler gefunden wie Asker Jorn oder Aleschinski oder Kounellis, Bernhard Schulze oder Baselitz, die Bilder gemalt haben 'à la James Ensor' oder 'aus der Formenwelt von James Ensor' oder so etwas."

Die überbordende Fantasie des 1860 geborenen Belgiers mit britischen Vorfahren, sein virtuoser Umgang mit Stift und Pinsel, mit Schere und Papier oder der Druckerpresse sprach sich bei Ensors Zeitgenossen schnell herum. Nicht nur Künstler pilgerten nach Oostende, wo Ensor in zwei kleinen Dachkammern über dem Andenkenladen seiner Eltern lebte. Ein Foto im Ausstellungskatalog zeigt Albert Einstein im angeregten Gespräch mit ihm.

Es gab unterschiedliche Gründe für andere Künstler, sich mit dem Werk von James Ensor zu beschäftigen, hat Gerhard Finckh herausgefunden.

"Zum Beispiel ist es so, dass bei Nolde dieses Maskenthema eine große Rolle gespielt hat. Das hat er bei James Ensor gesehen und daraufhin einige Masken in seine Bilder hineingemalt. Ein sehr direkter Weg. Bei den Surrealisten, bei Dali oder Max Ernst ist es sicher was anderes. Die Grundstimmung, das fand man faszinierend."

Beim Gang durch die Ausstellung entdeckt man auch andere Arten der Themen- oder Technikübernahme: Georges Grosz hatte einst denselben Galeristen wie James Ensor. Da kommt es sicher nicht von ungefähr, dass bei George Grosz Elemente auftauchen, die von Ensor bekannt sind. Bei dem einen ist es also die direkte motivische Übernahme, bei andern die Übernahme von Stimmungen. Wie Ensor auf solche Hommagen an sein Werk reagiert hat, ist leider nicht dokumentiert.

Die Untersuchung seiner künstlerischen Nachfolger ist allerdings kaum möglich ohne die Prüfung seiner künstlerischen Wurzeln. Denen gilt besonderes Augenmerk:

"Da ist ein ganzer Raum mit Frühwerken, um zu zeigen, wo er eigentlich herkommt. Dann haben wir gezeigt, wie sein Umfeld aussieht, also vor allem die berühmte Gruppe der Zwanzig, Les Vingts, die sehr wichtig war für James Ensor. Dieser Gruppe haben wir einen ganzen Raum gewidmet."

Diese heute weitgehend unbekannten Künstler haben bereits Ende des 19. Jahrhunderts die gesamte Bandbreite von Ensors Oeuvre zwischen Realismus und Surrealismus begründet. Bis zu seinem Tod mit 89 hat er immer wieder experimentiert und ausprobiert.

"Er kommt eigentlich aus seiner dunklen tonigen Malerei des späten 18., 19.Jahrhunderts, und erst allmählich hellt sich seine Palette auf, und das Ganze wird auch immer skurriler, geheimnisvoller. Vieles wird nur noch angedeutet, was im Anfang noch ausgeführt wird. Was zuerst noch ein Kohlkopf ist, wird später zu einen Kohlkopf mit menschlichen Zügen, zu etwas Maskenhaftem, Dämonischem."

An die 240 Arbeiten zeigt die Ausstellung; die Hälfte etwa von Ensor selbst. Dazu Werke seiner frühen Malerkollegen bis zu jenen, die sich an seiner Kunst orientiert haben; darunter Käthe Kollwitz, Francis Bacon oder Paul Klee. Man braucht eine gute Kondition, viel Zeit und bequeme Schuhe, um den Kunst-Parcours treppauf treppab zu bewältigen. Eine Lupe oder ein Vergrößerungsglas tun gute Dienste, um winzige Details zu erkennen, die für Ensor typisch sind. So lässt sich nachvollziehen, wie sich Gerhard Finckh bei der Vorbereitung dieser überwältigenden Schau motiviert hat.

"Man kennt ihn als bedeutenden Maler und Grafiker. Aber wenn man sich dann intensiv damit beschäftigt, das macht schon Freude zu entdecken, wie qualitätvoll das ist und wie auf dem letzten Fitzelchen Papier immer noch wieder eine kleine Genialität zum Vorschein kommt."

Eines von mehreren thematischen Ordnungsprinzipien der Ausstellung befasst sich mit der Masse. Zu diesem Verlust von Individualität hatte James Ensor eine klare Meinung. Die wurde von anderen Künstlern weitergetragen.

"Er fand offensichtlich größere Menschenmengen äußerst unangenehm, und das hat er dargestellt. Das taucht dann in den zwanziger Jahren in den Bildern zum Beispiel von Meidner, Dix oder Käthe Kollwitz auch wieder auf. Da wird das Unbehagen an der Masse, die ja immer auch bereits ist, Gewalt oder Revolution auszuüben, ganz deutlich."

Auch andere Themen, wie zum Beispiel die Religion, sind bei James Ensor zunächst ungebrochen. Aber schaut man die Heilandsgestalten genau an, merkt man, wie ironisch er auf die Religion blickt oder wie spätere Künstler mit der Religion umgehen.

Ein Schrecken ohne Ende, wie es der Ausstellungstitel unterstellt, ist dieses kulturwissenschaftliche Projekt jedenfalls nicht - ganz im Gegenteil.