Schrecken des Krieges
Nirgendwo in Westeuropa ist die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Mordes zu werden, so groß wie in Glasgow. Das zumindest schreibt Autor Craig Robertson in seinem neuen Kriminalroman "Snapshot". Im Mittelpunkt steht Polizeifotograf Tony Winter mit seinem zwanghaften Verhältnis zu Leichen.
Es zieht sich durch die Zeiten - das Bedürfnis der Menschen, Elend, Gräuel und Tod wirklichkeitsgetreu im Bild festzuhalten und sogar noch eine ästhetische Dimension darin zu suchen. Das geht von Jacques Callots Stichen aus dem Dreißigjährigen Krieg, Goyas Grafiken über die Schrecken des Krieges "Desastros de la Guerra", über die frontal und hart aufgenommenen Fotos des New Yorker Kriminalreporters WeeGee von Unfällen, Katastrophen und Gewalt, bis hin zu den Desaster-Tableaus des mexikanischen Fotografen Enrique Metinides.
Ein großer Fan von Metinidis ist der Held von Craig Robertons Roman "Snapshot", der Polizeifotograf Tony Winter. Tony ist Zivilangestellter bei der Strathclyde Police von Glasgow und als solcher für die penible fotografische Dokumentation von Tatorten und - vor allem - von Leichen und Wunden zuständig. Denn, so lernen wir aus dem Roman, Foto ist nicht gleich Foto, und die digitale Fotografie ist bei weitem nicht der Weisheit letzter Schluss. Es gibt traditionelle Techniken, die gewisse Aspekte der Todesumstände deutlicher sichtbar machen als die Technik-Euphorie der TV-Serie CSI uns glauben machen will. Winter beherrscht all das, und vor allem ist er obsessiv. Er hat ein zwanghaftes, fast erotisches Verhältnis zu Leichen, er ist bemüht, im Tod Schönheit und Erhabenheit festzuhalten, und er muss es tun. Eine problematische Hauptfigur also, die in eine blutige Auseinandersetzung zwischen Glasgower Gangstern (so wie es zunächst aussieht, denn einer nach dem anderen werden führende Köpfe und minderrangige Handlanger der Unterwelt spektakulär "hingerichtet") hineinrutscht, die immer bedrohlichere Dimensionen bekommt und für die seine Fotos nicht ganz unwichtig sind.
Oberfläche und Tiefenstruktur sind in gewisser Weise auch das Thema des Romans: Auf einer Ebene erzählt Robertson von Gangstern und Polizisten, von Legalität und Legitimität, von Selbstjustiz und gewaltigen Frustrationen. Ein klassischer schottischer Cops & Robbers-Roman aus Glasgow, viel näher an dem rauen Milieu der sozialkritischen Kriminalromane von William McIlvanney als an den eher soften Edinburgh-Romanen von Ian Rankin. Der selbsternannte Rächer wütet unter dem Beifall der Bevölkerung, wenn wieder eine stadtbekannte kriminelle Figur möglichst grausam getötet aufgefunden wird. Aber so sieht es nur aus, der Kreuzzug eines Einzelnen ist die Oberfläche, das Problem gründet tiefer: direkt in der Polizeistruktur. Auch die Arbeit des psychopathischen Fotografen führt in eine buchstäblich tiefere Schicht der Stadt, in unterirdische Tunnel und Kanäle und gleichzeitig in eine sehr tiefe Schicht seiner Psyche und Biographie.
Beide Ebenen überblendet Craig Robertson geschickt, beide haben mit Wahrnehmung zu tun, mit dem Blick des Fotografen und Chronisten und somit auch mit unserem Blick auf eine Stadt, ihre soziale und damit auch kriminelle Topographie, den Stories, die man davon erzählen kann und den poetischen Momenten, auch wenn diese oft tiefschwarz schimmern.
Besprochen Thomas Wörtche
Craig Robertson: Snapshot
Deutsch von Ulrich Thiele
München, Heyne 2012
478 Seiten, 9,99 Euro
Ein großer Fan von Metinidis ist der Held von Craig Robertons Roman "Snapshot", der Polizeifotograf Tony Winter. Tony ist Zivilangestellter bei der Strathclyde Police von Glasgow und als solcher für die penible fotografische Dokumentation von Tatorten und - vor allem - von Leichen und Wunden zuständig. Denn, so lernen wir aus dem Roman, Foto ist nicht gleich Foto, und die digitale Fotografie ist bei weitem nicht der Weisheit letzter Schluss. Es gibt traditionelle Techniken, die gewisse Aspekte der Todesumstände deutlicher sichtbar machen als die Technik-Euphorie der TV-Serie CSI uns glauben machen will. Winter beherrscht all das, und vor allem ist er obsessiv. Er hat ein zwanghaftes, fast erotisches Verhältnis zu Leichen, er ist bemüht, im Tod Schönheit und Erhabenheit festzuhalten, und er muss es tun. Eine problematische Hauptfigur also, die in eine blutige Auseinandersetzung zwischen Glasgower Gangstern (so wie es zunächst aussieht, denn einer nach dem anderen werden führende Köpfe und minderrangige Handlanger der Unterwelt spektakulär "hingerichtet") hineinrutscht, die immer bedrohlichere Dimensionen bekommt und für die seine Fotos nicht ganz unwichtig sind.
Oberfläche und Tiefenstruktur sind in gewisser Weise auch das Thema des Romans: Auf einer Ebene erzählt Robertson von Gangstern und Polizisten, von Legalität und Legitimität, von Selbstjustiz und gewaltigen Frustrationen. Ein klassischer schottischer Cops & Robbers-Roman aus Glasgow, viel näher an dem rauen Milieu der sozialkritischen Kriminalromane von William McIlvanney als an den eher soften Edinburgh-Romanen von Ian Rankin. Der selbsternannte Rächer wütet unter dem Beifall der Bevölkerung, wenn wieder eine stadtbekannte kriminelle Figur möglichst grausam getötet aufgefunden wird. Aber so sieht es nur aus, der Kreuzzug eines Einzelnen ist die Oberfläche, das Problem gründet tiefer: direkt in der Polizeistruktur. Auch die Arbeit des psychopathischen Fotografen führt in eine buchstäblich tiefere Schicht der Stadt, in unterirdische Tunnel und Kanäle und gleichzeitig in eine sehr tiefe Schicht seiner Psyche und Biographie.
Beide Ebenen überblendet Craig Robertson geschickt, beide haben mit Wahrnehmung zu tun, mit dem Blick des Fotografen und Chronisten und somit auch mit unserem Blick auf eine Stadt, ihre soziale und damit auch kriminelle Topographie, den Stories, die man davon erzählen kann und den poetischen Momenten, auch wenn diese oft tiefschwarz schimmern.
Besprochen Thomas Wörtche
Craig Robertson: Snapshot
Deutsch von Ulrich Thiele
München, Heyne 2012
478 Seiten, 9,99 Euro