Schottische Talente auf der Weltbühne

Von Ulrich Fischer · 22.08.2011
"Fringe" heißt "Franse", und das Fringe gehört zum International Festival in Edinburgh wie die Franse zum Teppich. Hier treten die heimischen - die schottischen - Künstler auf. Hier darf jeder, der mag, zeigen, was er kann. Die Anziehungskraft für das Publikum ist groß.
Das Fringe Festival spielt, zusammen mit den anderen Festivals in Edinburgh, dem International, dem Buchfestival, dem Film- und dem Jazzfestival eine wichtige Rolle im Kulturleben Schottlands, erklärt Fiona Hyslop, Schottlands Ministerin für Kultur und Auswärtige Angelegenheiten:

"Die Festivals sind wie ein Spiegel, der nach zwei Seiten reflektiert: Einmal kann Schottland sich die Welt anschauen und sie verstehen, gleichzeitig kann die Welt kommen und Schottland sehen. Es ist ein fantastisches Schaufenster für schottische Talente auf der Weltbühne in Edinburgh."

Das Fringe wirbt mit einigem Humor damit, es sei das Besteste, nicht das Beste, das Besteste. Es ist vermutlich auch das größteste. Barry Church-Woods vom Management des Fringe, nennt imponierende Zahlen:

"Es gibt 2542 Produktionen, 258 Spielstätten, etwa 21.912 darstellende Künstler in Edinburgh und 41.689Aufführungen innerhalb der drei Festwochen."

Diese Anzahl, ja Unzahl, von Auftritten ist nur möglich, weil das demokratische Grundprinzip des Fringe beibehalten wird: niemand wird ausgeschlossen. Jeder bekommt seine Chance.

Wer sich für neue englischsprachige Stücke, vor allem aus Schottland, aber auch aus Wales und Irland interessiert, findet einen erprobten Anlaufpunkt im Traverse Theatre, der wohl besten Bühne Schottlands. Das Traverse präsentiert ein eigenes kleines, aber hochkarätiges Festival im Festival, der künstlerische Leiter des Traverse selbst hat es zusammengestellt, Dominic Hill:

"Ich mag Autoren, die nicht Küchenrealismus schreiben. Ich mag Autoren, die große Themen aufgreifen wie den Krieg, die diese großen Themen auf interessante Weise darstellen können, Stücke, die relevant sind und sie ausdrücken durch Parabeln oder Metaphern oder durch Geschichtenerzählen, das in einer nichtnaturalistischen Welt angesiedelt ist."

David Harrower hat ein neues Stück geschrieben: "A Slow Air" – "Air" ist mehrdeutig wie der ganze Titel, den man ins Deutsche als "Langsame Melodie" übersetzen könnte:

Lewis Howden spricht mit starkem schottischem Akzent den Protagonisten, das Stück dreht sich um Klassenunterschiede. Im Englischen ist der Unterschied der sozialen Schichten stärker sprachlich ausgeprägt als im Deutschen. David Harrower, dessen Stück "Messer in Hennen" auch bei uns in Deutschland ein Erfolg war, geht sehr genau mit der Sprache um – ein Zweipersonenstück, das, obwohl es den Unterschied von Edinburgh und Glasgow thematisiert, auch anderswo gespielt werden kann: Diese sozialen Unterschiede sind nur allzu weit verbreitet, geradezu universell. Ein starkes Stück, eine geglückte Uraufführung und eindrucksvolle Schauspieler.

Mark Ravenhill ist bei uns noch bekannter als David Harrower, Ravenhills Stück "Shoppen und Ficken" hat ihn schon als jungen Dramatiker weltberühmt gemacht. Auch im Libretto zu seinem neuen Musiktheaterstück "Zehn Plagen" geht es um Sex:

Ein junger homosexueller Hedonist singt von seiner Angst, mit Aids angesteckt zu werden, von seinem schlechten Gewissen, erkrankte Freunde im Stich zu lassen und seiner fast triumphalen Freude, dem Tod entkommen zu sein. Ein kurzes Monodram, sehr persönlich, fast intim, aber bei weitem nicht so bedeutend wie "Shoppen und Ficken".

David Greig, ein namhafter schottischer Dramatiker, hat auch ein neues Stück mit Musik geschrieben:

Am Anfang von "The Strange Undoing of Prudencia Hart" - auf Deutsch: "Prudencia Harts seltsames Verderben" - steht eine moritatenhafte Ballade. Prudencia, eine schöne schottische Studentin, bis auf die Knochen Puritanerin, trifft im Einundzwanzigsten Jahrhundert in einer Winternacht, in der ein Schneesturm tobt, den Teufel. [Sie muss viele Prüfungen überstehen, ehe endlich alles, alles gut wird.]

Das National Theatre of Scotland spielt in einer Kneipe, die Schauspieler mischen such unter ihr Publikum. Das ist zur Zeit der große Hit beim Fringe: Mitspieltheater. Wer in eine Vorstellung geht, muss sich darauf gefasst machen, auf die Bühne gebeten zu werden oder zumindest mitsingen zu müssen.

Es gibt auch deutsche Künstler, die im Rahmen des Fringe auftreten, vor allem als Stand-up Comedians. Henning Wehn verspricht: "The Very Best Of German Humor", das Beste des deutschen Humors zu präsentieren. Gar nicht so einfach, wir Deutschen gelten auf der Insel als völlig humorlos. Die Comedy ist im Fringe stark vertreten. Aber die Clowns werden ernst, stellt der "Independent" fest. Angesichts der Aufstände in den Städten wird auch dieser Kunstzweig nachdenklicher, kritischer, der Humor noch bissiger.

Im Rahmen des Traverse Festivals war Deutschland bestens vertreten mit "The Golden Dragon", dem "Goldenen Drachen" von Roland Schimmelpfennig. Das Act & Drum Theatre aus Plymouth beginnt mit den Schreien des armen jungen Chinesen, der von heftigen Zahnschmerzen gepeinigt wird:

Die Übersetzung von David Tushingham klingt, als sei das Stück auf Englisch geschrieben worden und die Schauspieler verwandeln sich perfekt auf offener Bühne von einem Augenblick auf den anderen – ein zentrales Kunstmittel in diesem globalisierungskritischen Stück. Das Publikum war begeistert, es wurde viel gelacht im Traverse. Dominic Hill, der Intendant des Traverse, schätzt den "Goldenen Drachen" hoch.

Am Anfang war das Verhältnis zwischen dem Fringe und dem International Festival feindselig, es folgte eine Periode der gleichgültigen Koexistenz bis beide Seiten schließlich merkten, man könne voneinander lernen: vor allem das International hat profitiert. Es war lange zu stark auf die Kunst des 19. Jahrhunderts fixiert. Inzwischen hat sich das International geöffnet. Und das Fringe kann vom International Sorgfalt, Professionalität und Qualität lernen.

Das Gegeneinander, Miteinander, Nebeneinander und Durcheinander von International und Fringe ist der Hauptgrund, der Edinburgh zu einer einzigartigen Festivalmetropole in Europa macht.