Schonungslose Härte
Das Haus der Photographie in den Hamburger Deichtorhallen zeigt über 130 Arbeiten des ukrainisch-sowjetischen Fotografen. Zu sehen sind Arbeiten, die zwischen 1995 und heute entstanden sind, und die sich alle mit den gesellschaftlichen Umbrüchen in seiner Heimat beschäftigen.
Eine Bikini-Schönheit aus der Serie "Sekretärinnen” räkelt sich lasziv auf einem Bürostuhl. Von einem anderen Foto blickt eine Soldatin mit knallrot geschminkten Lippen herausfordernd den Betrachter an. Während die Gesichtszüge der Schnüffelkinder durch Doppelbelichtung verschwimmen.
Sergey Bratkov, 1960 in der ukrainischen Millionenstadt Kharkov geboren, und seit den 90er-Jahren Fotograf, sucht in seiner Arbeit nach Bildern für den gewaltigen gesellschaftlichen Umbruch der einstigen Sowjetunion.
Kurator Ingo Taubhorn: "”Er beschäftigt sich mit Menschen, die versuchen, sich zu orientieren. Und wir als Betrachter nehmen aus unserer eigenen westlichen Erfahrung gezwungenermaßen einen Blick ein, der uns in ein Unwohlsein treibt.""
Weil Bratkov ungeschminkt vorführt, an was wir uns in Folge medialer Verharmlosung längst gewöhnt haben: die herrschenden Widersprüche des Kapitalismus. An Worthülsen wie "Freiheit” und "Wohlstand” etwa, die doch nur für diejenigen gelten, die Arbeit haben und gut verdienen.
"Seine Themen bewegen sich zwischen dem Versprechen der Ideologie und dem Versprechen der Industrie, die jetzt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion einher hält."
Dafür muss man Bratkovs Bilder genau ansehen, hinter die Fassade blicken. Wie bei der Serie "Sekretärinnen” - großformatigen Porträts leicht bekleideter junger Frauen. Sie posieren nämlich nicht für einen Schönheitswettbewerb, sondern bewerben sich für einen Arbeitsplatz.
Sergey Bratkov: "Das ist eine typisch russsische Geschichte. Ein armenischer Geschäftsmann suchte eine Sekretärin. Ich sollte die Bewerberinnen fotografieren. Nackt. Ihre berufliche Qualifikation war dem Unternehmer egal. Er wollte nur wissen, wie sie ohne Kleider aussehen."
Trotz dieser Demütigung gelingt es Bratkov, die Frauen nicht als Opfer zu zeigen - zu selbstbewusst blicken sie aus den Bildern, den Anforderungen des "freien Marktes” trotzdend.
In den Neunzigerjahren arbeitete Bratkov mit Boris Mikhailov und Sergey Solonsky zusammen. In satirischen Aktionen und Fotografien kommentierten sie die gesellschaftliche Entwicklung der Ukraine, die geprägt war von Korruption und Kriminalität.
Seit zehn Jahren lebt er nun in Moskau. Dort entstanden die großformatigen Serien über Staßenkinder, Soldatinnen, oder - für unseren westlichen Blick - lolitahaft ausstaffierte kleine Mädchen.
"Aufgemacht fast für die Freude eines jeden Pädophilen, wenn man jetzt den ersten Blick wagt. Wenn man dann aber genauer sich mit dem Werk beschäftigt, nimmt hier Bratkov den Blick des Betrachters - in diesem Fall - den Blick der Eltern - ein, die ihre Kinder zurecht gemacht haben."
So gut dies ohne Geld eben ging. Dann ließen sie Fotos machen für Casting- und Modeagenturen, in der Hoffnung, reich und berühmt zu werden - wie hierzulande die Kanditaten diverser Fernsehshows.
"Und Bratkov kann das immer sehr genau osszilieren, inwieweit er kommerzielle Aufträge so in seine künstlerische Ebene überführen kann, dass er uns selbst hier auch einen Spiegel vorführt."
Bratkov enthüllt ein Gesellschaftssystem, in dem Menschen angesichts von Massenarbeitslosigkeit, Armut, fehlender Chancengleichheit und damit fehlenden Perspektiven sich selbst - wie die Sekretärinnen - ausziehen müssen, oder ihre Kinder zur Ware machen, um ihre Existenz zu sichern. Zusammenhänge, die bei uns die wenigsten sehen wollen.
"Die "kids” waren auf der Kölner Kunstmesse ein Skandal, und mussten aus der Koje der Galerie entfernt werden. ... Aber ich finde: Nicht die Bilder sind pervers, sondern die Gesellschaft, in der es möglich ist, diese Bilder so zu produzieren, wie wir sie sehen."
Während Boris Mikhailov mit seiner anklagenden Sozialfotografie schockieren will, wählt Bratkov einen anderen, sehr ungewöhnlichen und eigentlich schwierigeren Weg: Auch er entlarvt die Verhältnisse, würdigt aber gleichzeitig den täglichen Existenzkampf der Menschen: Seine geschminkten Soldatinnen etwa können nur derart selbstbewusst gucken, weil sie einige Rubel verdienen.
Wie auch die jungen Stahlarbeiter, denen Bratkov durch dramatische Lichtführung ein Denkmal setzt. So verleiht er Menschen, die in widrigsten Verhältnissen leben, Würde. Erklärt sie zu Helden.
Sergey Bratkov: "Dass die Sowjetunion nicht mehr existiert, und die Utopie des Kommunismus vorläufig gestorben ist, ist eine Tragödie. Den Kapitalismus kann man wohl kaum feiern. Die Ausstellung heißt "Heldenzeiten”, weil ich - nach den sowjetischen Helden der Arbeit und Gargarin und den vielen anderen - heute die einfachen Leute für Helden halte, die, die ohne korrupt zu werden täglich um ihre Existenz kämpfen. Wie die Stahlarbeiter, die für 100 Dollar im Monat schuften - und stolz sind auf ihre Leistung."
Sergey Bratkov, 1960 in der ukrainischen Millionenstadt Kharkov geboren, und seit den 90er-Jahren Fotograf, sucht in seiner Arbeit nach Bildern für den gewaltigen gesellschaftlichen Umbruch der einstigen Sowjetunion.
Kurator Ingo Taubhorn: "”Er beschäftigt sich mit Menschen, die versuchen, sich zu orientieren. Und wir als Betrachter nehmen aus unserer eigenen westlichen Erfahrung gezwungenermaßen einen Blick ein, der uns in ein Unwohlsein treibt.""
Weil Bratkov ungeschminkt vorführt, an was wir uns in Folge medialer Verharmlosung längst gewöhnt haben: die herrschenden Widersprüche des Kapitalismus. An Worthülsen wie "Freiheit” und "Wohlstand” etwa, die doch nur für diejenigen gelten, die Arbeit haben und gut verdienen.
"Seine Themen bewegen sich zwischen dem Versprechen der Ideologie und dem Versprechen der Industrie, die jetzt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion einher hält."
Dafür muss man Bratkovs Bilder genau ansehen, hinter die Fassade blicken. Wie bei der Serie "Sekretärinnen” - großformatigen Porträts leicht bekleideter junger Frauen. Sie posieren nämlich nicht für einen Schönheitswettbewerb, sondern bewerben sich für einen Arbeitsplatz.
Sergey Bratkov: "Das ist eine typisch russsische Geschichte. Ein armenischer Geschäftsmann suchte eine Sekretärin. Ich sollte die Bewerberinnen fotografieren. Nackt. Ihre berufliche Qualifikation war dem Unternehmer egal. Er wollte nur wissen, wie sie ohne Kleider aussehen."
Trotz dieser Demütigung gelingt es Bratkov, die Frauen nicht als Opfer zu zeigen - zu selbstbewusst blicken sie aus den Bildern, den Anforderungen des "freien Marktes” trotzdend.
In den Neunzigerjahren arbeitete Bratkov mit Boris Mikhailov und Sergey Solonsky zusammen. In satirischen Aktionen und Fotografien kommentierten sie die gesellschaftliche Entwicklung der Ukraine, die geprägt war von Korruption und Kriminalität.
Seit zehn Jahren lebt er nun in Moskau. Dort entstanden die großformatigen Serien über Staßenkinder, Soldatinnen, oder - für unseren westlichen Blick - lolitahaft ausstaffierte kleine Mädchen.
"Aufgemacht fast für die Freude eines jeden Pädophilen, wenn man jetzt den ersten Blick wagt. Wenn man dann aber genauer sich mit dem Werk beschäftigt, nimmt hier Bratkov den Blick des Betrachters - in diesem Fall - den Blick der Eltern - ein, die ihre Kinder zurecht gemacht haben."
So gut dies ohne Geld eben ging. Dann ließen sie Fotos machen für Casting- und Modeagenturen, in der Hoffnung, reich und berühmt zu werden - wie hierzulande die Kanditaten diverser Fernsehshows.
"Und Bratkov kann das immer sehr genau osszilieren, inwieweit er kommerzielle Aufträge so in seine künstlerische Ebene überführen kann, dass er uns selbst hier auch einen Spiegel vorführt."
Bratkov enthüllt ein Gesellschaftssystem, in dem Menschen angesichts von Massenarbeitslosigkeit, Armut, fehlender Chancengleichheit und damit fehlenden Perspektiven sich selbst - wie die Sekretärinnen - ausziehen müssen, oder ihre Kinder zur Ware machen, um ihre Existenz zu sichern. Zusammenhänge, die bei uns die wenigsten sehen wollen.
"Die "kids” waren auf der Kölner Kunstmesse ein Skandal, und mussten aus der Koje der Galerie entfernt werden. ... Aber ich finde: Nicht die Bilder sind pervers, sondern die Gesellschaft, in der es möglich ist, diese Bilder so zu produzieren, wie wir sie sehen."
Während Boris Mikhailov mit seiner anklagenden Sozialfotografie schockieren will, wählt Bratkov einen anderen, sehr ungewöhnlichen und eigentlich schwierigeren Weg: Auch er entlarvt die Verhältnisse, würdigt aber gleichzeitig den täglichen Existenzkampf der Menschen: Seine geschminkten Soldatinnen etwa können nur derart selbstbewusst gucken, weil sie einige Rubel verdienen.
Wie auch die jungen Stahlarbeiter, denen Bratkov durch dramatische Lichtführung ein Denkmal setzt. So verleiht er Menschen, die in widrigsten Verhältnissen leben, Würde. Erklärt sie zu Helden.
Sergey Bratkov: "Dass die Sowjetunion nicht mehr existiert, und die Utopie des Kommunismus vorläufig gestorben ist, ist eine Tragödie. Den Kapitalismus kann man wohl kaum feiern. Die Ausstellung heißt "Heldenzeiten”, weil ich - nach den sowjetischen Helden der Arbeit und Gargarin und den vielen anderen - heute die einfachen Leute für Helden halte, die, die ohne korrupt zu werden täglich um ihre Existenz kämpfen. Wie die Stahlarbeiter, die für 100 Dollar im Monat schuften - und stolz sind auf ihre Leistung."