Schon wieder giftige Pommes

Von Udo Pollmer |
"Neuer Krebserreger in Pommes frites entdeckt" meldete ein großes Nachrichtenmagazin. Nach Acrylamid geht es nun um das Glycidamid, das "um ein Vielfaches gefährlicher ist, als der Angstmacher von einst", so die Presse.
Was genau ist Glycidamid?
Glycidamid bildet sich durch eine Reaktion von Acrylamid mit Teilen des Frittierfettes und Sauerstoff.

Wie riskant ist Glycidamid im Vergleich mit Acrylamid?
Dabei Glycidamid ist eindeutig krebserregend, Acrylamid nur manchmal. Nämlich nur dann, wenn es im Körper in Glycidamid umgewandelt wird. Das passiert bei der Ratte, aber beim Menschen spielt dieser Stoffwechselweg keine nennenswerte Rolle. Insofern ist Acrylamid für die Ratte Krebserregend, nicht aber für den Pommesesser.

Nun wurde aber Glycidamid auch in Pommes nachgewiesen. Inwieweit hat sich dadurch die Einschätzung geändert?
Da geht es um ein halbes Mikrogramm, das ist nicht der Rede wert. In einer Portion Pommes hätten wir dann ein paar Nanogramm! Da sind in Kartoffeln von Natur aus weit giftigere Stoffe, wie das Solanin oder Chaconin und noch dazu in zigtausendfach höherer Dosis enthalten. Sie überstehen das Kochen unbeschadet. Aber durch die hohen Temperaturen beim Fritieren wird ein erheblicher Teil abgebaut. Gleichzeitig entstehen beim Rösten neue wirksame Krebsschutzstoffe.

Aber im Sinne eines vorbeugenden Verbraucherschutzes wäre es doch sinnvoll auf Produkte wie Pommes zu verzichten, die bekanntermaßen Acrylamid und Glycidamid enthalten?
Dann trifft das nicht nur die Pommes, sondern gleichermaßen auch Kaffee und Knäckebrot zu. Und wie wäre es mit grünem Tee, mit Oliven, mit Pflaumensaft? Auch die enthalten reichlich Acrylamid. Und wenn Acrylamid drin ist, finden Sie natürlich auch Spuren von Glycidamid. Acrylamid ist überall.

Sie schlagen also die aktuellen Warnungen der Experten in den Wind?
"Aktuell" ist ein bisschen übertrieben – die Geschichte ist exakt ein Jahr alt und wurde zur Belebung des Sommerlochs aktiviert. Vor einem Jahr, Mitte August 2007 hatte zu diesem Thema ein hochkarätiger Kongress in Boston stattgefunden. Und da waren diese Ergebnisse von den Münchner Forschern vorgestellt worden – allerdings ohne dass derart Belangloses irgendjemanden vom Sessel gehauen hätte. Das ist hier so wie beim Acrylamid. Auch da haben die Forscher ihre altbekannten Ergebnisse auf einer Pressekonferenz als nagelneue Erkenntnisse den Medien vorgestellt. Und dann entstand der Skandal.

Aber vielleicht gab es ja auf dem Kongress auch Interessantes über Acrylamid?
Ja, z.B. dass das Erntejahr der Kartoffeln den größten Einfluss auf die Acrylamidbildung in den Pommes hat. Oder: Beim Weizen lässt sich durch eine satte Düngung mit Schwefel die Acrylamidbildung beim Brotbacken um über 80 Prozent senken.

US-Forscher, die über Jahre in zahlreichen Studien nach einem Zusammenhang zwischen der Entstehung von Krebs und Acrylamidhaltigen Speisen gesucht hatten, gestanden freimütig ein, dass sie nichts gefunden haben, egal wie sie die Daten auch massierten. Untersuchungen der amerikanischen Food and Drug Administration legen nahe, dass das Acrylamid im menschlichen Körper selbst gebildet wird. Es ist also ein körpereigener Stoff. Damit bestätigten sie Ergebnisse, die zuvor an der Medizinischen Hochschule Hannover erhalten wurden.

Halt. Das würde ja heißen, dass Acrylamid – in geringer Konzentration - dem Menschen auch Vorteile bieten könnte?
Warten wir es ab, in einigen Jahren verkaufen die Apotheken das Zeug noch als Nahrungsergänzungsmittel. Und die Zielgruppen lassen sich aufgrund der Kongressbeiträge auch schon ausmachen. Eine großangelegte europäische Studie – mit deutscher Beteiligung – versuchte herauszufinden, warum der eine Mensch mehr Glycidamid im Blut hat als der andere. Ergebnis: Je mehr Alkohol die Teilnehmer tranken, desto weniger hatten sie von dem "krebserregenden" Zeug im Blut. Und: Je dicker desto weniger Glycidamid und Acrylamid im Körper. Was tun die Deutschen angesichts dieser Datenlage: Sie warnen reflexartig vor Pommes!

Quellen:
Symposium on the Chemistry and Toxicology of Acrylamide. Boston (MA) 19. bis 23. August 2007.
Rytel E et al: Changes in glycoalkaliod and nitrate contents in potatoes during French fries processing. Journal of the Science of Food and Agriculture 2005; 85: 879-82
Marko D et al: Maillard reaction products modulating the growth of human tumor cells in vitro. Chemical Research in Toxicology 2003; 16: 48-55