Vor 20 Jahren

Urteil zum Brandanschlag von Solingen

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Die Mutter der ermordeten Kinder war bei einer Gedenk-Feier. © picture alliance / dpa
Von Monika Köpcke · 13.10.2015
Zu Beginn der 90er Jahre hatte der Krieg im zerfallenden Jugoslawien die Zahl der Asylanträge erhöht. Damals erlebte die Bundesrepublik eine Welle ausländerfeindlicher Gewalt. Trauriger Höhepunkt war der Brandanschlag auf das Haus einer türkischstämmigen Großfamilie. Vier junge Männer kamen vor Gericht. Am 13. Oktober 1995, vor 20 Jahren, wurde das Urteil gesprochen.
"Die Angeklagten sind des Mordes an fünf Menschen in Tateinheit mit versuchtem Mord an 14 Menschen und besonders schwerer Brandstiftung schuldig."
Dreimal zehn Jahre und einmal 15 Jahre Gefängnis - mit diesem Urteil ging am 13. Oktober 1995 ein Prozess zu Ende, der mit hitziger Spannung verfolgt worden war. Eineinhalb Jahre lang hatte das Düsseldorfer Oberlandesgericht 285 Zeugen und Sachverständige angehört.
Die Nebenklägerin Fadime Genç verlas einen Tag nach der Urteilsverkündung eine Presseerklärung:
"Die jungen Leute, die den Brandanschlag verübten, sitzen im Gefängnis und werden noch lange da bleiben. Wir haben die Schmerzen und die Trauer. Niemand hat einen Vorteil."
In der Nacht vom 28. auf den 29. Mai 1993 war das dreistöckige Wohnhaus der türkischstämmigen Großfamilie Genç im nordrhein-westfälischen Solingen niedergebrannt. Zwei junge Frauen und drei Mädchen verloren dabei ihr Leben.
"Ich schäme mich für diese Mitbürger, die dieses angestellt haben. Ich hatte gehofft, dass es so was 48 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr geben würde."
"Wir haben keine Worte."
"Ich empfinde eine sehr große Enttäuschung, schon wieder mal. Es nimmt in letzter Zeit sehr große Ausmaße wieder mal in Deutschland an."
Aus der Solinger Skinhead-Szene
Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln - zum Beispiel. Seit 1990 erlebte die Bundesrepublik eine grausame Welle fremdenfeindlicher Gewalt. Die Politik wollte mit einer Grundgesetzänderung, die das Recht aus Asyl einschränkte, die seit Ende der 80er-Jahre rasant ansteigende Zahl der Asylsuchenden senken. Drei Tage, nachdem der Bundestag diesen sogenannten Asylkompromiss verabschiedet hatte, brannte das Haus der Familie Genç. Eine Sonderkommission des Bundekriminalamts ermittelte. Am 31. Mai und am 3. Juni nahm sie insgesamt vier junge Männer fest. Sie waren zwischen 16 und 23 Jahre alt und bewegten sich in der Solinger Skinhead-Szene.
"In der Nacht zum 29. Mai waren die drei gestern verhafteten Beschuldigten auf einem Polterabend in einer Solinger Gaststätte in eine tätliche Auseinandersetzung mit unter anderem zwei Ausländern verwickelt, die sie fälschlicherweise für Türken hielten."
Der damalige Generalbundesanwalt Alexander von Stahl am 4. Juni 1993.
"Nachdem sie aus der Gaststätte verwiesen worden waren, trafen sie gegen ein Uhr zufällig auf der Straße den ihnen flüchtig bekannten Jugendlichen, der bereits am 31. Mai verhaftet worden war, und berichteten ihm über den Vorfall beim Polterabend."
Sinnlose Tat und Rassenhass
Die vier wollten den "Türken einen Denkzettel" verpassen und zogen zum Nachbarhaus eines der Jugendlichen, dem Haus der Familie Genç, wo sie im Eingangsbereich das Feuer legten. Eindeutige Beweise für diesen Tathergang gab es allerdings nicht, denn die Ermittlungsarbeit war von Pannen geprägt: Brandschutt war nicht gesichert, stattdessen der Bereich des Hauseingangs mit Wasser gesäubert worden, noch bevor Finger- oder Fußabdrücke festgestellt werden konnten, Verhörprotokolle waren nicht vollständig dokumentiert worden. Der Nachbarjugendliche hatte zwar sofort nach seiner Festnahme gestanden, änderte im Laufe der Verhandlung aber 18 Mal seine Aussage. Anfangs wollte er es alleine gewesen sein, dann nicht mehr, am Schluss doch wieder. Ein zweiter Angeklagter widerrief erst am 80. Verhandlungstag sein Geständnis. Die beiden übrigen beharrten auf ihrer Unschuld. Sie und ihre Angehörigen reagierten fassungslos auf den Schuldspruch. Der Gerichtsreporter Gerhard Mauz schrieb im Spiegel:
"Ein Fehlurteil? Wenn drei der Angeklagten unschuldig sein sollten - ihre Verteidigung hat verhindert, dass dies glaubhaft wurde. Nur windige Indizien? Es ist fast immer auf der Basis von Indizien zu entscheiden. Indizien sind nie nur. Es ist eine Tragödie, dass wir die Spielregeln unseres Zusammenlebens nur dadurch behaupten können, dass Menschen über Menschen urteilen. Die Mitglieder des Senats hinterließen das Gefühl, dass sie daran tragen werden - ihr Leben lang."
Die damals 18-jährige Fadime Genc sagte auch dies einen Tag nach der Urteilsverkündung:
"Der Richter hat das gestern richtig als sinnlose Tat bezeichnet, die auf Rassenhass beruht. Dabei haben wir Jugendlichen, egal, welche Hautfarbe wir haben oder aus welchem Land wir kommen, gemeinsame Interessen. Wir müssen uns gemeinsam für Verbesserungen einsetzen. Hass spaltet nur und führt im schlimmsten Fall zu solchen schrecklichen Taten, wie wir sie erleben mussten. So etwas sollte sich nie mehr wiederholen."
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