Schöpfer von "St. Trinian's"

Von Volkhard App |
Die Schulmädchen von "St. Trinian's" gelten in England mindestens so berühmt wie Max und Moritz in Deutschland. Ihr Erfinder, Ronald Searle, ist nun im Alter von 91 Jahren in seiner Wahlheimat Frankreich gestorben.
Die Schulmädchen, die ihn nach Kriegsende berühmt gemacht haben, sind kleine Monstren: Gören mit spindeldürren Beinen, die ihre Lehrer meucheln und Würgeschlangen mit in den Unterricht bringen. Schließlich fliegt das ganze Internat in die Luft.

Doch Searle hat die Cartoon-Liebhaber die Jahrzehnte über mit vielfältigen Motiven entzückt. Oft wirken diese Blätter ganz und gar britisch - da dämmern in einem typischen Club die Greise dahin, einige sind sogar in Spinnweben gehüllt. Zu diesen eher humoristischen Zeichnungen, auch den unförmigen Katzen und den buchstäblich schrägen Vögeln, hat er sich immer bekannt - da gab es aber auch den anderen Searle.

Skurrilen angelsächsischen Humor verband er in seinem umfangreichen Werk mit unerbittlicher Zeitkritik - und brachte mit nervös-lockerem Strich immer wieder die Zumutungen dieser Welt vor den Richterstuhl.

Auf einem Blatt ist der Kontinent Afrika als riesiger Totenkopf gezeichnet, ein Blauhelmsoldat möchte sich mit Friedenszweig im Mund über den Kugelhagel hinweg in die Lüfte erheben, doch seine Flügel sind aus Pappe. Schreckliche Erfahrungen waren die Voraussetzung für seine politische Sensibilität, denn 1942 geriet er in japanische Kriegsgefangenschaft und baute mit an der Brücke am Kwai. Er überlebte Epidemien und brutale Aufseher:

"Grundsätzlich kann ich sagen, dass ich diese Erfahrung nicht noch einmal machen möchte. Die Tatsache, dass ich sieben Jahre in der Armee war und vier in der Gefangenschaft, hat meine Weltsicht verändert. Wenn man in die Zivilisation zurückkehrt, ist man vielleicht nicht in der Lage, die eigene Erfahrung direkt mitzuteilen. Aber man kann sie einfließen lassen in seine Arbeit - in das, was jeder gerne möchte: die Welt zu verändern."

1961 beobachtete Searle den Eichmann-Prozess in Jerusalem und skizzierte den Täter als personifizierte "Banalität des Bösen". Und blieb ein empfindlicher Zeitzeuge, nahm immer wieder Stellung zu Krieg und Kapitalismus, zum Welthunger und zum Kampf um Rohstoffe.

Auf einem Blatt von 2007 trägt ein GI in einem fernen, fremden Land auf dem Rücken einen klapprigen Holzsarg statt eines Tornisters: "Der Nächste bitte", so heißt diese Karikatur.

Von programmatischer Bedeutung für die eigene Zunft war sein Bild "Der Denker" von 1977. Ein Koloss mit Erdkugel als Kopf drückt einem Zeichner die Luft weg und hält ihm den Mund zu. In der einen, schlaff herunterhängenden Hand hält der noch die tropfende Feder. Searle gab nie auf, aber vielleicht stellten sich ja Zweifel ein, den Mächten dieser Welt wirklich Paroli bieten zu können:

"So hilflos ist man auch wieder nicht. Sie haben immerhin Ihre Feder, Sie haben Tinte und Papier. Das Wichtigste ist selbstverständlich, dass Sie Verstand haben und über einen Standpunkt verfügen. Es ist geradezu der Daseinszweck von Cartoonisten, zu den Dingen, die die Welt bewegen, Stellung zu beziehen. Man macht es in der Hoffnung, vielleicht die Meinung von ein oder zwei Leuten zu verändern. Es ist nur ein kleiner Beitrag, aber ein wichtiger."

Ein vielfältiges Werk hat er hinterlassen: Illustrationen zur Weltliteratur und großformatige Werbeplakate, auf denen er mit schrillen Figuren dazu riet, für gutes Geld anständigen Rum zu verlangen. Animationsfilme schuf er und brachte immer wieder Reiseimpressionen auf den Karton: Von Dublins Whisky-Pinten, vor denen Nonnen stehen, bis zum Hamburger Rotlichtviertel mit Dominas reicht die Bandbreite. In Bayern regieren Gamsbärte, und in Ostberlin regeln Polizisten mit Hammer und Sichel den Verkehr.

Nach seinen Vorbildern befragt, musste er nicht lange nachdenken:

"Ich bin mir meiner Wurzeln sehr bewusst - der englischen, versteht sich. Die wirklichen Impulse gingen damals von Hogarth, Gillray und Cruikshank aus. Es ist eine lange Tradition, man kann seinen Wurzeln nicht entkommen - und die sind in meiner Arbeit gegenwärtig."

So groß war sein Vertrauen in die Qualität hiesiger Museumsarbeit, dass er sein Archiv mit den Entwürfen und ausgearbeiteten Blättern, den Skizzenbüchern und seiner Fachbibliothek nach Hannover verkaufte, wo das Oeuvre im Wilhelm-Busch-Museum für künftige Searle-Recherchen ein unerschöpfliches Reservoir bildet. Das Lebenswerk eines Mannes, der die mediale Bedeutung von Cartoons im ganzen eher schwinden sah:

"Ich denke, dass die Leute immer weniger an solchen Zeichnungen interessiert sind, denn das Fernsehen hat ihren Geschmack in eine andere Richtung gedrängt. Sie lesen nicht soviel und haben kein feines Gespür zum Beispiel für satirische Darstellungen. Ich persönlich glaube, es handelt sich um eine aussterbende Kunst. Ich bin ein Dinosaurier."