Schönheitsnormen im Wandel

Natürlichkeit wird kein Maßstab mehr sein

06:47 Minuten
Der Torso einer antiken Frauenstatue vor einem orangefarbenen Hintergrund.
Ob in der Antike oder im Heute: Schönheitsnormen können sich wandeln. Ganz schwinden werden sie wohl nie. © unsplash / Daria Sheveleva
Paula-Irene Villa im Gespräch mit Martin Böttcher · 15.05.2021
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Bisher galten vor allen Menschen als schön, die von Natur aus wohlgeformt sind. Das könnte sich ändern, sagt die Soziologin Paula-Irene Villa. Denn Schönheitsbehandlungen werden immer verfügbarer und irgendwann vielleicht auch zur Norm.
Schönheit berührt uns, übt eine unglaubliche Macht auf uns aus. Wir setzen alles daran, selbst schön zu sein oder uns zumindest so zu fühlen. Immer mehr Menschen helfen nach, lassen sich Falten wegspritzen oder Kiefer und Wangen aufspritzen. Auch Schönheitsoperationen sind kein Tabu mehr. Gleichzeitig wehren sich Menschen gegen herkömmliche Schönheitsideale und fordern mehr Vielfalt.
Welches Verständnis von Schönheit wir heute haben und wie es in Zukunft aussehen könnte, erzählt die Soziologin Paula-Irene Villa im Gespräch mit Martin Böttcher.
Martin Böttcher: Die Macht der Schönheit, davon erzählen wir heute. Warum ist Schönheit uns überhaupt so wichtig? Was, was verspricht sie uns? Welche Wirkung und Aufgabe hat Schönheit?
Paula-Irene Villa: Es gibt eine starke Moralisierung von Schönheit, das gibt es eigentlich, soweit wir das überblicken können, schon immer. Also in der Antike und in verschiedenen historischen Phasen in der Moderne seit dem 19. Jahrhundert ganz sicher, dass das, was als schön gilt, auch als gut gilt, als begehrenswert, als tugendhaft vielleicht. Und inzwischen haben wir gelernt – ob das wirklich so stimmt, ist wirklich eine offene Frage in der Forschung –, aber wir meinen, dass wer schön ist, auch erfolgreicher ist im Leben. Wer schön ist, hat es leichter im Leben. Wer schön ist, verdient unter Umständen mehr Geld, allein durch die Tatsache, dass er oder sie schön ist. Also gibt es so eine Annahme, eine Unterstellung, eine Fantasie, dass es einen auch weiterbringt im Leben.
Böttcher: Die Nachfrage nach Schönheitsoperationen hat natürlich dann auch etwas damit zu tun. Auch die Nachfrage nach kleineren Eingriffen, wie zum Beispiel das Aufspritzen oder das Spritzen von Botox. Wird es irgendwann mal genauso üblich sein, solche Optimierungen vorzunehmen, wie es vielleicht heute schon üblich ist, Körperhaare zu entfernen?
Gesicht einer Frau, die Augen und Nase sind von einem Schönheitschirurgen mit schwarzem Stift gekennzeichnet worden.
Gibt es eine vermehrte Nachfrage nach kleineren Eingriffen?© picture alliance / bildagentur online / McPhoto
Villa: Wenn wir uns anschauen, wie das die letzten Jahrzehnte gegangen ist, und wenn wir uns, so wie ich das tue, die Forschung dazu angucken, würde ich ein vorsichtiges Ja abgeben.

Schönheitsoperationen werden akzeptierter

Ja, ich denke schon, dass es auf jeden Fall wahrscheinlich ist, dass wir in einigen Jahren oder Jahrzehnten uns an Formen gewöhnt haben, die also normal werden, die für uns heute noch ungewöhnlich oder außergewöhnlich sind, teuer wirken oder für die wenigen Reichen, Schönen vorgesehen sind. Ich denke schon, dass wir auf dem Weg sind, dass in diesem Bereich bestimmte kleinere minimalinvasive Eingriffe sich normalisieren. Und je verfügbarer sie werden, je weniger gesundheitlich riskant und auch je bezahlbarer und auch je akzeptierter, umso normaler wird es auch.
Böttcher: Es findet also eine Entstigmatisierung der Körpergestaltung statt, aber ändert das auch etwas an unserem Verständnis von Schönheit?
Villa: Also Schönheitsnormen, die mit Attraktivität verbunden sind, sind ambivalent. Wir haben in der Gegenwart durchaus auch so etwas wie eine Vervielfältigung, auch eine Art von Befreiung, sozusagen historisch erkämpft, wo wir heute sagen, bestimmte körperliche Aspekte, auch bestimmte Dinge, die mit Schönheit oder Hässlichkeit gewissermaßen assoziiert werden, die sind entstigmatisiert.

Auch im Alter gilt das Schönheitsdiktat

Da gibt es mehr Vielfalt womöglich, zum Beispiel in Bezug auf das Alter. Das ist ein ganz wichtiges Thema, das sozusagen älter werden nicht mehr zwangsläufig bedeutet, nicht mehr schön oder attraktiv oder interessant oder begehrenswert zu sein. Und daran lässt sich aber auch die Ambivalenz diskutieren, die Zweischneidigkeit, die diesen Schönheitsfragen immer innewohnt und überhaupt der Körperselbstgestaltung. Denn einerseits: Auch ältere Menschen können schön sein. Sie sollen es aber auch. Also es gibt auch so etwas wie einen Zwang, wie eine Leistung geradezu, wie eine Zumutung. Schön seien nicht nur zu können und zu wollen, sondern auch zu müssen.
Böttcher: Auf der einen Seite haben wir also dieses Verlangen, gewissen Schönheitsnormen zu entsprechen oder Schönheitsideale zu erlangen, aber andererseits machen sich ja auch immer mehr Menschen für Vielfalt und Body Positivity stark, was ja auch zu mehr Diversität in der Werbung zum Beispiel geführt hat oder auch auf den Laufstegen, wie passen denn diese beiden gegenläufigen Entwicklungen zusammen?
Villa: Ich glaube, das ist zunächst mal gar nicht so gegenläufig, wie es scheint. Denn auch die Body-Positivity-Bewegung, in manchen Teilen jedenfalls, setzt sich ja dafür ein, dass auch entstigmatisiert wird, dass akzeptiert wird, dass auch gefeiert wird womöglich, eben diese Form der körperlichen Selbstgestaltung. Also zu sagen, es ist dein Körper. Du darfst damit machen, was du möchtest, solange es respektvoll, gewaltfrei geschieht. Und wenn du deinen Körper operieren lassen möchtest, wenn du da etwas Bestimmtes machen lassen möchtest, dann ist das okay. Also, dass kann auch Teil von Body Positivity sein. Das passt dann wiederum zu den Dynamiken, die wir eh schon haben.

Die Herstellung von Schönheit – kein Tabu mehr

Böttcher: Schönheitsideale sind ja nicht Natur gemacht, sondern sie sind auch beeinflussbar, wandelbar. Sie hängen mit gesellschaftlichen Entwicklungen zusammen. Wie sehen Sie das? Könnten sich unsere Vorstellungen von Schönheit tatsächlich so verändern, dass unser Verständnis von Schönheit in Zukunft vielleicht viel weiter gefasst sein wird, also dass diese Vielfalt siegen wird?
Villa: Ich bin da etwas skeptisch, weil wir auch einfach als Teil unserer gesellschaftlichen Ordnung, unserer sozialen Ordnung, die uns ja ganz vieles ermöglicht, bestimmte Normen benötigen. Sie geben uns Handlungssicherheit, sie geben uns bestimmte Orientierung, wenn wir sagen, das ist schön oder das hässlich, oder das ist gut. Das sind ja Normen und Normen dienen der Verständigung gewissermaßen und der Einschränkung von Möglichkeiten, sodass wir uns in einem gewissem Rahmen verlassen können darauf, wie wir handeln und wie andere handeln.
Und sie sind aber gleichzeitig immer auch umstritten, weil sie eben so eng sozusagen sind, diese Normen. Aber sicherlich werden sich die Schönheitsnormen verändern. Das tun sie immer, und das tun sie im Moment eben auch durch die zunehmende Verfügbarkeit bestimmter Technologien. Und ich denke, dass wir in absehbarer Zeit noch stärker als jetzt eher Schönheitsnormen haben werden, die diese Idee von Natürlichkeit als Maßstab des Schönen ein Stück hinter sich lassen.
Wir kommen aus einer Tradition, in der das Naturschöne ganz vorherrschend ist, wer von Natur aus schön ist, das ist gut, wer etwas an sich machen lässt, das ist schon nicht so gut. Wir kommen aus einer Geschichte, in der man diesen Herstellungsprozess von Schönheit möglichst nicht sehen, nicht wissen, nicht kennen sollte. Das wurde verheimlicht, was da alles drinsteckt in der Herstellung von Schönheit. Und ich glaube, diese Verschleierung, die lassen wir hinter uns.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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