Schönheit und Schrecken

Von Jochen Stöckmann |
Franz Marc, August Macke und Robert Delaunay - Das Sprengel Museum in Hannover befasst sich in einer hochkarätigen Ausstellung mit dem Zusammenspiel der drei Künstler in der Phase vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges.
"Die haben nicht geahnt, was das für ein Krieg werden würde. Die haben die Vorstellung gehabt, in eine Art Pfadfinderlager zu gehen. Und haben dann aber sehr schnell begriffen – das merkt man an den Briefen von Franz Marc – dass in diesem Krieg alles anders war als wie sie es erwartet hatten."

Kuratorin Susanne Meyer-Büser dementiert mit ihrer streng chronologischen Hängung zwar nicht die atmosphärischen Einflüsse des heraufziehenden Weltkriegs, schärft aber vor allem den vergleichenden Blick. So wächst auch beim Besucher das Gespür für die feinen Unterschiede, für Ähnlichkeiten und Anverwandlungen, die Delaunay als "Ideengeber" bei Marc und Macke hervorrief. Begonnen hatte dieses anregende Dreiecksverhältnis 1911, da nahm Delaunay quasi als "Ersatzkandidat" an einer Ausstellung des "Blauen Reiter" in München teil:

"Das ist, glaube ich, was die jungen Deutschen interessiert hat: dass da ein junger, noch ungesetzter Franzose kommt, der für den 'Blauen Reiter' Maßstäbe setzt – und zum ersten Mal das Thema Großstadt wahrnimmt: der Eiffelturm, ein Paradigma für neue Weltsichten, die Liebe zum Flugzeug."

Ulrich Krempel, Direktor des Sprengel Museums, führt auch noch andere Einflüsse ins Feld: Städtebilder des Futuristen Umberto Boccioni oder Maler wie Kandinsky und Klee, die mit ausgewählten Arbeiten als sogenannte "Intermediatoren", als Beförderer des künstlerischen Austauschs deutscher Expressionisten mit dem "Erbfeind" Frankreich ebenfalls ausgestellt werden. Im Zentrum aber stehen zwei entscheidende Initialzündungen, mit denen Delaunay den Stil- und Richtungswechsel bei Marc und Macke auslöste. Zum einen die "Fensterbilder", von denen die deutschen Besucher im Herbst 1912 im Pariser Atelier so beeindruckt waren: Stadtansichten, vorzugsweise des Eiffelturms, die Architektur wie beim Blick durch ein Kaleidoskop in ein Mosaik schillernder Farbsplitter zerlegen. Zum anderen die "Formes Circulaires", Farbkreise, mit denen sich Delaunay 1913 in Berlin einen Namen machte:

"Delaunay hat diese Kreisformationen am Anfang als zerbrochene Kreise angelegt, im Sinne der abstrakten Kunst. Aber später sind sie wieder zusammengefügt – und damit wurden sie auf einmal plakativ. In der Tat denke ich auch, dass Robert Delaunay nur eine kurze Phase gehabt hat, in der er wirklich innovativ gewirkt hat. Während Franz Marc und August Macke diese Formen aufgegriffen haben, aber sehr individuell weiter gestaltet haben und ausgesprochen spielerisch mit diesem Vorbild umgegangen sind."

Simple Kopien, zum Verwechseln ähnliche Bilder wird man in dieser Ausstellung nicht finden, stattdessen bescheret die Schau eine große Lust des Vergleichens, schärft den Blick für Details, in denen geistige Wahlverwandtschaft aufblitzt, künstlerische Korrespondenzen sichtbar werden. Dass sich dabei die Perspektive nicht allzu sehr und ausschließlich auf drei Künstler-Persönlichkeiten verengt, dafür sorgt Delaunays Gemälde "Saint-Severin": Die emporstrebenden Pfeiler der gotischen Kathedrale scheinen auf diesem Bild im Bannstrahl eines übermächtigen Lichts dahinzuschmelzen. Delaunay formt die sakrale Architektur zum magischen Labyrinth, das die düsteren Visionen im Stummfilm "Das Kabinett des Dr. Caligari" vorwegnimmt. Zu dieser avantgardistischen, die Möglichkeiten anderer Medien antizipierenden Haltung fand Robert Delaunay, der das Ende des Ersten Weltkriegs in Spanien abwartete, anschließend nicht mehr zurück. Wieder in Paris, griff er auf bewährte Motive zurück. Sein "Eiffelturm" aus dem Jahr 1928 markiert das Ende der hannoverschen Ausstellung: ein durchaus konventionelles Gemälde, das mit seiner extremen Untersicht auf ein in monumentaler Größe aufragendes Wahrzeichen die plakative Wirkung der Fotografie nachahmt. Das letzte Gemälde von August Macke dagegen, der "Abschied" von 1914, zeigt eine Straßenszene mit gesichtslosen, zu Salzsäulen erstarrten Männern und Frauen, die eben von der "Mobilmachung" erfahren haben. Vorahnung hin oder her: hier kündigt sich der Schrecken an über das Zerbrechen einer ganzen Welt – für deren vorgebliche Schönheit Robert Delaunay ungebrochen Reklame macht.

Service:
Die Ausstellung "Marc, Macke und Delaunay. Die Schönheit einer zerbrechenden Welt (1910 – 1914)" ist vom 29. März 2009 bis zum 19. Juli 2009 im Sprengel Museum Hannover zu sehen.