Schönheit, Reichtum, Lebenskunst

Eine neidlose Schlossbetrachtung

04:12 Minuten
Das Schloss Hartenfels im Sonnenuntergang am Ufer der Elbe in Torgau.
Visueller Genuss: Schloss Hartenfels im Sonnenuntergang am Ufer der Elbe in Torgau. © imago images / Star-media
Gedanken von Martin Ahrends · 08.10.2020
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Es ist ein großes kulturelles Erbe, das uns die lange untergegangene Adelsgesellschaft mit ihren Schlössern, Gärten und Parks hinterlassen hat. Tun wir damit genug? Und vor allem: das Richtige? Martin Ahrends macht sich darüber Gedanken.
An der Elbe radle ich zwischen Dessau und Torgau, von ferne schon lächelt mir ein prächtiges Schloss zu: es thront überm Wasser und krönt die liebliche Landschaft. Als ich näher komme, erweist es sich als ungenutzt und notdürftig erhalten. Wie schade, denke ich. Es passt so ins Land und hebt das Gemüt. Es ist so ein herrliches außen, weshalb nur können wir mit dem Innen nichts anfangen?
Das Innenleben unserer Schlösser ist abgestorben nach 1918, erst recht nach 1945 im deutschen Osten. Geblieben sind diese Hüllen eines adligen Lebensstils, der uns fremd geworden ist. Auf meiner Elbradtour kommt er mir zum ersten Mal etwas näher, dieser deutsche Adel. Er hat seine Prachtbauten nicht hinter Toren und Hecken versteckt, sondern stellt sie weithin sichtbar ins Land.

Steckt in "Repräsentation" ein Präsent?

Adlige Kultur erweist sich als mitteilsam, und sich mitzuteilen heißt ja auch, mit anderen zu teilen. Angesichts des Schlosses meine ich zuerst, dass "Repräsentation" etymologisch mit "Präsent" (Geschenk) zu tun haben müsse. Ich stelle mir vor, dass der Adel klug genug gewesen sei, mit seinen Bauten etwas von dem zurückzuschenken, das ihm seine Untertanen an Abgaben aller Art zu leisten hatten.

Das Wort hat aber mit "Präsenz", mit Gegenwart zu tun: Repräsentanz ist Vergegenwärtigung. Schönheit, Reichtum, Lebenskunst – all das ist gegenwärtig, weil dieses alte Schloss hier anwesend ist. Auch für mich. Ich muss nicht Schlossherr sein, um das zu empfinden. Neidlos darf ich mir vorstellen, wie es sich lebt oder lebte dort droben über dem ewigen Fluss.

Man könnte jetzt erwägen, sich hier anzusiedeln, manches steht leer, in der nahen Kleingartenkolonie könnte man einen kleinen Spanplatten-Palast bauen, eine Miniaturausgabe des Schlosses, die dann ganz und gar etwas Eigenes wäre. Ein Gedanke, der sich lächerlich macht angesichts der Großzügigkeit dieses Schlosses, das für alle konzipiert ist, wenngleich es nicht alle in dem Sinne besitzen können, wie man eine Kleingartenlaube besitzen kann. Dies repräsentative Gebäude brauche ich gar nicht käuflich zu erwerben, es gehört mir schon – ohne notarielle Beurkundung.

Privatbesitz an Schlössern ist ein Missverständnis

Allerdings ist das Schloss an der Elbe in Privatbesitz, wie ich nun erfahre. Es gibt Streit um den Erhalt und die Nutzung. Diese Art von Privatbesitz ist wohl ein Missverständnis. Der neue Schlossherr weiß mit seinem Besitz nichts weiter anzufangen, als die Zeit darüber hingehen zu lassen. Ein Spekulationsobjekt?
So ein Schloss kann man nicht so ganz und gar privat besitzen. Es hat immer eine an alle gerichtete soziale Dimension, schon seiner Größe und Lage, auch seiner Geschichte wegen. Immer hat es auch eine Botschaft an mich, den Vorüberradelnden. Und ich frage mich, ob das in der Absicht des Erbauers lag: diese erbauliche Wirkung, die mich nicht neidisch macht, sondern zum Teilhaber.
Noch heute profitiere ich von adliger Daseinsfreude. Ich kann sie jederzeit auf mich wirken lassen und auf mich beziehen ohne Schlossbesitzer zu sein. Ich kann mich an der Anschauung erfreuen dessen, was einer "besseren Gesellschaft" Raum bot für einen gehobenen Lebensstil.
Ohne den Preis für diesen Lebensstil zahlen zu müssen, ohne auch genau wissen zu wollen, wie es damals zugegangen ist, können mir die hohen gelbe Wände am Elbstrand zu Projektionsfläche werden meiner Vorstellung vom glückseligen Leben: von guten Gesprächen, guter Musik und Literatur, von höfischen Tänzen und Schäferspielen, von zwanglos kultivierter Geselligkeit. Wie viel "Luxus für alle" könnten wir uns ersparen, wenn wir verstünden, an dem teilzuhaben, was uns repräsentieren will.

Martin Ahrends, geboren 1951 in Berlin. Studium der Musik, Philosophie und Theaterregie. Anfang der 80er-Jahre politisch motiviertes Arbeitsverbot in der DDR. 1984 Ausreise aus der DDR. Redakteur bei der Wochenzeitung "Die Zeit" und seit 1996 freier Autor und Publizist.

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